Bram Stokers Dracula

 
  • Deutscher Titel: Bram Stokers Dracula
  • Original-Titel: Dracula
  • Alternative Titel: Bram Stoker's Dracula |
  • Regie: Dan Curtis
  • Land: USA
  • Jahr: 1971
  • Darsteller:

    Jack Palance (Dracula), Nigel Davenport (Van Helsing), Simon Ward (Arthur), Pamela Brown (Mrs. Westenra), Fiona Lewis (Lucy Westenra), Murray Brown (Jonathan Harker)


Vorwort

Der englische Immobilienmakler Jonathan Harker trifft in Transsylvanien ein, um dem dort ansässigen Graf Dracula ein paar Objekte in England anzudienen. Der Graf verhält sich sehr sonderbar, schließt seinen Gast in seinem Zimmer ein und entwickelt ein ungeahntes Interesse für die beste Freundin von Harkers Ehefrau Mina, Lucy Westenra. Schnell findet Harker heraus, dass sein Gastgeber ein Vampir ist, der die Verlegung seiner Operationsbasis plant, nur hat Harker nicht mehr wirklich viel von seiner Entdeckung… und schon wenige Wochen später bemerkt Lucys Verlobter Arthur merkwürdige Veränderungen an seiner Braut. Der hinzugezogene Medizinmann Dr. van Helsing weiß Bescheid – Lucy ist vampirisiert, weil Dracula sie für die Reinkarnation seiner längst dahingegangenen Geliebten Maria hält. Als Lucy nach ihrem „Tod“ Arthur an die Gurgel will, greift van Helsing zum Pfahl und verschafft ihr die ewige Seelenruh, was den Grafen mächtig anpisst. Rachedurstig vergreift er sich an Mina Harker…


Inhalt

Dan Curtis gehört zu den amerikanischen TV-Legenden, was Regie und Produktion angeht. In kongenialer Kollaboration mit einem der weltbesten Drehbuchautoren, Richard Matheson, schuf er nicht nur die unvergeßliche „Zuni Doll“-Episode aus der „Trilogy of Terror“, sondern mit „The Night Stalker“ den vermutlich besten TV-Horrorfilm aller Zeiten. Der fruchtbaren und für den anspruchsvollen Gruselgourmet zumeist erfreulichen Zusammenarbeit entstammt auch diese, ebenfalls fürs amerikanische Fernsehen 1973 entstandene Adaption des mit dem Frankensteins-Monster-Motiv klassischten aller Horror-Archetypen.

Zunächst einmal stellt sich wie bei allen Dracula-Verfilmungen die Frage nach der Werktreue. Es ist zugegeben wieder ein paar Tage her, seit ich Bram Stokers Roman gelesen habe, dennoch meine ich zu erkennen, dass Curtis und Matheson versuchen, ein gewises gesundes Mittel zwischen sklavischer Werktreue (was bei der Vorlage sowieso recht schwer ist, alldieweil Stoker seine Geschichte in der ja mittlerweile vollkommen vergessenen Form des Briefromans verfaßte, was adaptierenden Drehbuchautoren die Sache aufgrund der verschiedenen Erzählperspektiven und der gestelzten Sprache nicht erleichtert) und künstlerischer Freiheit zu erreichen. Die erinnerungswürdigen Momente der literarischen Vorlage sind jedenfalls enthalten, allen voran Harkers Begegnung mit den drei Vampir-Bräuten und Lucys Pfählung. Andere Passagen werden radikal auf ihre Essenz reduziert – die dramatische Überfahrt des Vampirs nach England mit dem „verdammten“ Schiff „Demeter“ wird auf genau eine Einstellung des gestrandeten Schiffs gekürzt (aber, boy, WAS für eine Einstellung das ist, das dürfte eine der wirkungsvollsten Grusel-Szenen überhaupt sein), an die Reinkarnations-Sache kann ich mich im Roman auch nicht erinnern, den Schlußpart (nachdem Lucy gepfählt wird) verändern Curtis und Matheson sogar völlig – anstelle, wie in der Vorlage, die Geschichte in England ausklingen zu lassen, schicken Regisseur und Autor ihre Helden auf eine dramatische Hetzjagd nach Transsylvanien, wo der Showdown in Draculas eigenem Schloß stattfindet; Puristen mag das abschrecken, aber es gibt Curtis unter den vorhandenen Bedingungen (ein besonders üppiges Budget wird die Produktion nicht zum Verbraten gehabt haben) bessere filmische Möglichkeiten. Andere Änderungen sind eher kosmetischer Natur: so erklärt das Script Dracula zum leibhaftigen Vlad Tepes (der historischen Vorbildfigur der Romangestalt) und die vom Roman ins Spiel gebrachte Fähigkeit des Vampirs, gewisse Teile der Tierwelt zu kontrollieren (ich erinnere mich vom Buch her an Ratten im Finale) beschränkt sich hier auf Hunde (und anderthalb diesbezügliche Szenen), von aus zahllosen anderen Verfilmungen bekannten Gimmicks wie der Verwandlung in eine Fledermaus ist gar nicht erst die Rede.

An dieser Stelle sei mir ein Vorgriff zur Schauspielerbewertung gestattet, aber es drängt sich eben an dieser Stelle auf, ein paar Worte zur Besetzung der Titelrolle. Auch in seinen besten Zeiten (und man kann sich schon drüber streiten, ob man in seinen „besten Zeiten“ ist, wenn man auch für Jess Franco dreht) ist Jack Palance sicher nicht der erste Name, der sich aufdrängt, wenn man vor seinem geistigen Auge nach geeigneten Dracula-Darstellern fahndet – er ist ein völlig anderer Typ „Vampir“ als seine Vorläufer, der große Theatraliker Bela Lugosi oder der Gentleman-Vampir Christopher Lee aus den Hammer-Filmen. Palance‘ (und sicher auch Curtis‘ ) Interpretation ist eigenwillig, aber reizvoll. Seinem Dracula fehlt die charmente, leutselige Seite, er ist nicht der, der mit seinen Gästen eine stilvolle Abendunterhaltung führt, hier ist der Graf von Beginn an schroff, kalt, „böse“, auf der anderen Seite offenbart er (bei seiner Begegnung mit Lucy, die er ja für die Reinkarnation seiner Geliebten hält) ungeahnte Leidenschaft. Mehr noch als in vielen anderen Verfilmungen verkörpert Palance‘ Dracula die tragische Seite des Charakters (unterstützt durch einige Rückblenden an Marias Sterbebett und einen ungeheuren emotionalen Ausbruch, als der Graf die durchbohrte Lucy in ihrer Gruft entdeckt). Die durch diese Interpretation aufgestellte These, der tapfere Kriegsheld Vlad Tepes sei erst durch den Verlust eines ihm geliebten menschlichen Wesens „böse“ geworden (auch wenn das die Frage unbeantwortet lässt, wie Tepes zum Vampir Dracula geworden ist… schließlich hätte er Maria ja, wenn er seinerzeit schon Blutsauger gewesen wäre, Maria einfach durch Vampirisierung unsterblich machen können), ist sicher gewagt, aber, wie gesagt, nicht ohne Reiz und zeugt von Mühen der Macher, der auch 1971 schon zum Allgemeingut gehörenden Dracula-Legende neue Facetten abzugewinnen.

Filmisch laboriert „Graf Dracula“ zwangsläufig an den Limitierungen, die das Medium TV (und ganz besonders „TV in den 70ern“) auferlegt, hält sich dabei aber ziemlich wacker. Curtis nutzt sehr schön die jugoslawischen (das war’s damals ja noch) und englischen Locations und inszeniert den Streifen über weite Strecken als Mischung als detailfreudig ausgestattetes Kostümdrama mit gothischen Schauerelementen und wird dabei von für TV-Verhältnisse opulenter Kameraführung gestützt – manche Einstellungen sind schlichtweg atemberaubend. Was den Horrorgehalt angeht, so hält sich Curtis lange zurück; entscheidende Szenen wie die Vampirisierung Lucys finden im Off statt und die potentiell gehaltvollen Horrorszenen werden unblutig präsentiert, so dass es um so überraschender und wirkungsvoller ist, wenn Curtis im Finale zwei-drei (für die Verhältnisse eines Fernsehfilms von Anno Tobak) deftige Effekte auffährt, auf die der Zuschauer nach dem bis dahin eher unter dem Genre „gefühlvoller Romantic-Grusel“ einzusortierende Film nicht gefaßt ist. Das Tempo des Films ist angemessen ruhig, ohne zu langweilen, anstatt sinnlos aufs Gaspedal zu treten, schwelgt Curtis lieber in den schön gothischen Settings und der viktorianischen Atmosphäre. Ein Kompliment ist Curtis auch dafür auszusprechen, dass der Streifen nicht, wie so viele andere TV-Movies, explizit auf die programmierten Werbeunterbrechungen hin inszeniert ist, sondern flüssig abläuft. Als gelungen kann man auch die musikalische Untermalung bezeichnen.

Zu den Schauspielern – Jack Palance hab ich ja schon angesprochen. Der spätere Oscar-Preisträger („City Slickers“), der auch den ein oder anderen Trash-Auftritt („Das Geheimnis der fliegenden Teufel“) auf dem Kerbholz hat, spielt den Dracula vergleichsweise „realistisch“, ein komplett anderer Approach als die Lugosis und Lees dieser Welt – Dracula ist, wie gesagt, schroff, ein wenig jähzornig und obschon mit einer persönlichen Tragödie ausgestattet, nicht sympathisch zu nennen (klar, dass die sexuelle Komponente des Vampirismus bei dieser Auslegung des Charakters ziemlich unter den Tisch fällt). Eine etwas andere Herangehensweise als bei den meisten Dracula-Verfilmungen, aber von Palance recht souverän gelöst (trotz der eher spärlichen Screentime, die der Titelcharakter, das aber im treuen Gefolge der literarischen Vorlage, hat). Nigel Davenports Van Helsing ist einer der kleineren Schwachpunkte des Films – sein Charakter leidet ein wenig an der Verknappung der Vorlage. Wieso Van Helsing über den Vampirmythos Bescheid weiß und warum Arthur ihm trotz der wilden Story, die er bezüglich der blutsaugenden Brut auftischt, weitgehend ohne Nachfragen vertraut (er ist in dieser Fassung nicht mehr als ein der Familie Westenra flüchtig bekannter Arzt), bleibt unklar. Simon Ward als Arthur, de facto der Held der Geschichte, ist mir ein wenig zu farblos, zu uncharismatisch (was aber auch irgendwo den Geist der Romanvorlage trifft) und wird von einer lieblosen deutschen Synchronisation, die ihn eher unsympathisch rüberkommen lässt, beeinträchtigt. Fiona Lewis hat als Lucy nicht viel mehr zu tun, als mit entrücktem Blick schlafzuwandeln und bleich im Bett zu liegen, was sie klaglos bewerkstelligt. Murray Brown gefällt mir sehr gut als Jonathan Harker (eine Szene bzw. sein Gesichtsausdruck, als Dracula ihm zu Filmbeginn verklickert, dass er längerfristig auf seine Dienste zurückgreifen will, ist schlicht priceless; übrigens ist zum Script noch anzumerken, dass es eine der wenigen Versionen des Themas ist, in der Harker nach dem Auftakt in Transsylvanien nicht völlig aus der Handlung verschwindet). Eine von Draculas drei Vampirbräuten wird von Sarah Douglas („Superman II“, „Chained Heat: Horror of Hell Mountain“) verkörpert.

Bildqualität: Es ist ein Kreuz – das amerikanische Publikum bekommt von Curtis‘ bekannteren Filmen wie „The Night Stalker“ oder „Trilogy of Terror“ zwar mau ausgestattete, aber technisch auf den bestmöglichen Stand gebrachte Anchor-Bay-DVDs, wir auf dieser Seite des Teichs bekommen „Graf Dracula“ als Grabbeltisch-DVD von Magic Video/Power Station (und an Magic Video und ihre billigen Pappschuber-Videos erinnern wir uns ja auch noch). Wer immer diese Scheibe gemastered hat, soll sich bitte zwecks Abholung einiger saftigen Backpfeifen bei mir melden – ich liebe ja schon bei vielen CTI-Discs den Schachzug, den Hauptfilm auf drei getrennte Titel zu verteilen, aber Magic schießt hier den Vogel ab und splittet den Film in fünf (!) Titel (wohlgemerkt, Titel, nicht Kapitel. Ich kann das schon unterscheiden), und das teilweise mitten in Wörtern! Mein Player sah sich auch weitestgehend außerstande, vernünftige Lauf- und Restzeitangaben anzuzeigen (da kommen dann schon mal Meldungen auf dem Display wie „Laufzeit: 9:00:31, Restzeit: 0:00:00“). Die Bildqualität ist angemessen schlampig – das Bild ist recht verrauscht und weist darüber hinaus gerade im ersten Drittel mit einigen wirklich groben Mastering-Schnitzern auf (was da als Master gedient hat, darüber möchte ich nicht mal spekulieren). Immerhin sind die Farben noch recht gut erhalten und auch der Kontrast geht in Ordnung, aber die Schärfewerte und die Kompression geben nicht zu Begeisterungsstürmen Anlaß. Vermutlich darf man halt bei Wühltisch-Publikationen keine Ansprüche stellen…

Tonqualität: Hier gilt analoges zum Bild. Man hielt’s für nötig, dem einzig vorliegenden deutschen Sprachtrack einen 5.1-Split zu verpassen (was bekanntlich so überflüssig wie ein Kropf ist und nur dazu verleitet, die Dolby-Anlage aus- oder auf Stereo umzuschalten). Das starke Grundrauschen ist kaum zu überhören, die Sprachqualität leidet zum Glück nicht zu sehr, d.h. die Dialoge sind gut verständlich, aber natürlich nicht auf den Level, den man auch von einer Billig-DVD erwarten kann. Zudem ärgern ein paar nervig-störende Schleifgeräusche, die hörbar nicht beabsichtigten Soundtrack darstellen.

Extras: Zwei Trailer, die wir schon seit Jahren von Best kennen: „Das Tier“ und „The Fog“.

Fazit: Es ist bestimmt nicht leicht, eine Geschichte, die viele Menschen im Schlaf kennen und selbst die, die nicht ganz firm sind, zumindest die Grundzüge nacherzählen können, neu und interessant zu adaptieren, insbesondere unter den Bedingungen und Beschränkungen des Mediums Fernsehen in den 70er Jahren. Insofern ist Dan Curtis und seinem, das muss einmal mehr erwähnt werden, kongenialen Stammautor Richard Matheson hoch anzurechnen, dass „Graf Dracula“ nicht nur die x-te belanglose Verfilmung von Stoker-Motiven darstellt, sondern mit geschickter Hand versucht, gleichsam die Essenz der literarischen Vorlage aufzugreifen als auch neue Aspekte in den Mythos einzubringen. Ein intelligentes Script, stimmungsvolle Bilder und eine angemessen hochwertige Inszenierung fügen sich so zu einem auch für ein Publikum, das mehr als nur eine Dracula-Adaption gesehen hat, sehenswerten Film zusammen. Etwas lebhaftere darstellerische Leistungen und/oder eine motiviertere Synchronisation hätten den Streifen noch aufwerten können, aber auch so ist „Graf Dracula“ der Beweis, dass das Team Curtis/Matheson in Sachen TV-Horror aus den 70ern konkurrenzlos ist – ein angenehm „altmodischer“ Grusler, der eine viel bessere DVD-Umsetzung verdient hätte.

3/5
(c) 2006 Dr. Acula


mm
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