- Deutscher Titel: Blutiger Zahltag
- Original-Titel: La ragazza dal pigjama giallo
- Alternative Titel: The Pyjama Girl Case | |
- Regie: Flavio Mogherini
- Land: Italien/Spanien
- Jahr: 1977
- Darsteller:
Ray Milland (Thompson), Michele Placido (Antonio), Dalila Di Lazzaro (Glenda), Mel Ferrer (Douglas), Howard Ross (Roy), Ramiro Oliveros (Ramsey), Rod Mullinar (Morris), Giacomo Assandri (Quint), Eugene Walter (Dorsey), Fernando Fernan Gomez (Forensiker), Antonio Ferrandis (Nottingham)
Vorwort
Spielende Kinder entdecken in einem Autowrack am Strand von Sydney eine angekokelte Frauenleiche, in einen Reissack gewickelt. Wer die Dahingeschiedene ist, ist unbekannt, klar allerdings ist, dass das Mädel, bevor es angezündet wurde, erst erschossen wurde und dann noch den Schädel eingeschlagen bekam. Overkill! Inspektor Morris, der mit seinem Kollegen Ramsey auf den Fall angesetzt wird, zieht den pensionierten Veteranen-Cop Thompson (der in der deutschen Fassung konsequent „Timsen“ genannt wird) hinzu, zu Ramseys Unbill. Thompson verklickert seinen jungschen Kollegen gleich mal, dass sie seiner Meinung nach auf dem komplett falschen Dampfer sind, wenn sie die Tat für einen Sexualmord oder vergleichbare Missetat halten.
Ramsey verfällt mangels anderer Ideen zur Identifikation der Leiche auf den Gedanken, den Kadaver konservieren zu lassen und öffentlich auszustellen. Es meldet sich Patricia Clark, die ihre Tochter erkannt zu haben glaubt. Ramsey und Morris reicht das, aber nicht Thompson, der Patricias Ehemann aufgabelt (der sie nur geheiratet hat, um an eine Aufenthaltsgenehmigung zu kommen, da er stockschwul ist). Der gibt zu Protokoll, dass seine Ehefrau mittelschwer bekloppt und primär daran interessiert ist, die Lebensversicherung für ihre Tochter zu kassieren.
Hinsichtlich der Mordtat fällt der Verdacht zunächst auf Quint, einen fetten, ungepflegten Junkie und Spanner, auf dessen Konto auch der Spleen geht, Autowracks an den Strand zu schleppen (jeder braucht ein Hobby). Quint streitet jede Beteiligung an dem Verbrechen ab, blöderweise hat er seiner von ihm bepoppten Nachbarin die Armbanduhr der Toten geschenkt. Es fällt Ramsey und seinen Schergen nicht so schwer, aus dem Dicken erfolgreich ein Geständnis herauszuprügeln. Womit der Fall für alle Beteiligten abgeschlossen wäre, bis auf Thompson, der felsenfest davon überzeugt ist, dass seine Kollegen den Falschen eingebuchtet haben. Er ermittelt weiter und kommt über das Etikett einer Reinigung, das am gelben Pyjama, dessen Reste das Mädchen trug, auf die Spur eines akut Tatverdächtigen. Das Schlimmste befürchtend, diktiert er Morris vor dem Treffen mit dem möglichen Killer seine bisherigen Theorien auf Tonband…
Parallel dazu wird eine zweite Geschichte erzählt. Die holländische Immigrantin Glenda, steiler Feger vor dem Herrn, beschläft den Universitätsprofessor Henry Douglas. Der wäre durchaus nicht abgeneigt, die Beziehung zu legitimieren, aber ein Schwanz reicht Glenda nicht. Sie hat nebenher noch den eingewanderten Dänen Roy Conner am Start, und der, von der eher unüblichen Sorte Mann, die gerne teilt, stellt ihr auch noch seinen Kumpel Antonio Attolini, einen italienischen Einwanderer vor, der, wie sich das für einen Italiener gehört, in einem Restaurant kellnert. Zwischen Antonio und Glenda funkt es sorta-kinda, und etwas überstürzt stürzen sich die Liebenden in eine Ehe. Allerdings eine Ehe, die nur von Antonio so richtig ernst genommen wird, Glenda pflegt ihre diversen Verhältnisse couragiert weiter (auch das mit Roy). Antonio ist wie alle Italiener krankhaft eifersüchtig, und, naja, einen bis mehrere Gründe hat er ja dafür. Die Situation droht zu eskalieren, als Glenda schwanger wird – und wer der Vater ist, ist nicht so einfach zu ermitteln. Antonio schmeißt Glenda jedenfalls raus, aber auf Roys Vermittlung kommt es zu einem klärenden Gespräch – nach ein wenig gegenseitigem Anschreien versöhnt man sich und will sich wieder zusammenraufen.
Das Kind könnte nun zugegebenermaßen ein stabilisierender Faktor im trauten Familienglück sein, aber leider überlebt das Blag die Geburt nur für drei Tage, was Glenda in eine schwere Depression stürzt. Das bleibt ehetechnisch nicht folgenlos und nach einem weiteren Streit packt Glenda ihren Kram zusammen, klaut Roys Wohnmobil und verschwindet. Roy hat den Durchblick – Antonio war bislang einfach zu sehr Weichei, er muss Glenda einfach mal zeigen, wer der Herr im Haus ist. Die Freunde nehmen die Verfolgung auf…
Inhalt
In letzter Zeit habe ich mich öfter gefragt, warum ich dem Giallo so lange skeptisch gegenüber stand. Und dann kommt sowas wie „Blutiger Zahltag“ und erinnert mich brutal an die Gründe…
Wobei das jetzt auch wieder nicht fair ist, denn obwohl „Blutiger Zahltag“ praktisch überall in die Giallo-Schublade gesteckt ist, hat der Streifen von Flavio Mogherini („Der unbezähmbare Supertyp“, „Vollgas“, „Das blonde Mysterium“) nur ansatzweise was mit den italienischen Exploitation-Krimis der 70er zu tun. Was natürlich auch daran liegt, dass es sich hier streng genommen um einen true-crime-Film handelt, der auf einem realen Fall basiert, der sich 1934 in Australien zutrug und der erst zehn Jahre später offiziell aufgeklärt wurde – wobei es bei dieser Aufklärung eine Menge Unklarheiten und polizeiliche Fehler gab, so dass manche Autoren heute davon ausgehen, dass weder die Identifikation der Toten noch die des Täters korrekt war.
Mogherini verlegte die Handlung in die relative Gegenwart – ich schätze hauptsächlich, um den zusätzlichen Kosten für ein „period piece“ aus dem Weg zu gehen (wobei sich der Film tatsächlich location-Drehs in Australien gönnte, also auch nicht chronisch unterfinanziert gewesen sein kann), veränderte auch ein paar biographische Daten der Figuren und baut ansonsten auf den Verwirrungseffekt, der durch die parallele Erzählung der zwei Erzählstränge auftritt, von denen man als Zuschauer zunächst nicht ahnen soll, wie sie zusammenhängen. Allerdings – 2019, wo wir an nonlineare Erzählungen und ungewöhnliche Strukturen gewöhnt sind, erschöpft sich dieser Effekt rasch; wer nicht nach spätestens zwanzig Minuten gemerkt hat, dass der Glenda-Strang die „Vorgeschichte“ des Mordes erzählt, sollte doch wieder zu den Teletubbies oder der Sesamstraße zurückkehren, für modernes Storytelling ist er dann eindeutig nicht qualifiziert.
Durch die Giallo-Vermarktung wird man an den Film allerdings höchstwahrscheinlich mit der falschen Erwartungshaltung herangehen, denn „Spannungskino“ ist höchstens eingeschränkt das Ziel von Mogherini. Der Polizeiermittlungsteil ist der deutlich interessantere Part des Films, zumindest solange Ray Milland als Thompson das Zepter in der Hand hält und auf seine eigensinnige Weise die Spuren verfolgt, die seinen „modernen“ Kollegen nicht in den Sinn kommen, weil er auf sein Bauchgefühl vertraut (das ihm z.B. sagt, dass Quint, wie es in „Murderrock“ so schön heißt, vielleicht ein Arschloch ist, aber kein Killer). Freilich lässt er durch fröhliches Unterschlagen von Beweismitteln (wie dem Reinigungsetikett, das ihn schlussendlich auf die Fährte des richtigen Mörders setzt) seinen Kollegen auch keine faire Chance, den Fall zu lösen. Milland darf den Fall aber auch nicht zum Ende führen, weil er vorher ins Gras beißen muss (huch, SPOILER?) und daher die endgültige Aufklärung den Jungspunden überlassen muss (die das dann auch wunderbar in den Sand setzen).
Die parallel erzählte Vorgeschichte ist dagegen ein echter Plombenzieher vor dem Herrn. Nicht nur, dass wir unser Eintrittsgeld bzw. den Obolus für die DVD-Fassung nicht für ein ganz besonders ödes Liebesdrama bezahlt haben, sind unsere diesbezüglichen Protagonisten durch die Bank ganz spezielle Unsympathen. Der Professor nutzt sein „white privilege“, um die junge Glenda zu verführen, Roy poppt mit ihr, obwohl er ihr Antonio vorgestellt hat (und löst am Ende auch die totale Katastrophe aus), und Antonio ist ein weinerlicher Klappspaten, der außer Jammern nichts gelernt hat. Ist aber alles nichts gegen Glenda, die ich ohne weiteres als eine der nervigsten „Protagonistinnen“ der Filmgeschichte bezeichnen möchte, eine selbstsüchtige Schlampe ohne moralisches Unrechtsbewusstsein, die selbst auf jeden moralischen Kompass in ihrer Beziehung (und Ehe!) verzichtet, aber erwartet, dass sich alle anderen an einen solchen halten. Eine Stunde in ihrer Gesellschaft und ich wäre ohne weiteres bereit, ihr persönlich den Schädel einzuschlagen, und ich halte mich für einen friedfertigen Menschen.
Ein anderes Problem dieses Handlungsstrangs ist, dass er eine „talk, not show“-Attitüde verfolgt. Wesentliche Handlungsentwicklungen wie den Vollzug der Ehe, die Schwangerschaft oder den Verlust des Babys erfahren wir „after the fact“, weil die Beteiligten drüber reden. Hey, wir haben nicht mehr 1933 bei „Dracula“, wir können sowas 1977 auch zeigen. Ist ein schieres Wunder, dass wir den Mord tatsächlich sehen dürfen.
Meine Privattheorie von oben ist übrigens, dass das Script durchaus noch als „period piece“ geschrieben wurde, man aber aus Geldgründen dann die Handlung in die Gegenwart verlegte, mache ich an ein paar Merkwürdigkeiten der Geschichte fest. Okay, ich bin weder Experte für australische Polizeiprozeduren noch die dortige Politik im Umgang mit Einwanderern (zumindest für solche, die nicht aus Drittweltländern und von der australischen Regierung ja heute gerne auf irgendwelchen Inseln eingesperrt werden), aber ich hege Zweifel daran, dass 1977 noch Polizeistandard war, Verdächtige auf der Polizeiwache zu verprügeln. Und ebenso daran, dass Immigranten 1977 rechtlose Subjekte waren, die nicht mal eine Vermisstenanzeige stellen dürfen. Eine wesentliche Ebene der Handlung ist aber ausgerechnet das „Leid“ der Einwanderer, ihre rechtlose Stellung und ihre allgemeine Schlechtbehandlung durch die Behörden. Das kaufe ich durchaus für 1934, den Zeitpunkt des echten Vorfalls, aber nicht mehr für 1977. Man korrigiere mich, wenn ich da falsch liege… Ich respektiere zwar, dass es Mogherini als „Subtext“ ein Immigrantendrama im Sinn hatte, aber wenn die im Mittelpunkt stehenden Immigranten Arschlöcher sind, fällt’s halt schwer, sich für deren (vermeintliches) Elend (denn so schlecht scheint’s denen ja auch wieder nicht zu gehen) zu interessieren. (Ich bin mir übrigens auch ziemlich sicher, dass 1977 niemand mehr auf die Idee gekommen wäre, eine nackte Frauenleiche zwecks Vorbeidefilieren der Bevölkerung auszustellen. Außer vielleicht Gunther von Hagens, aber der macht das ja geschäftlich).
Abgesehen davon ist die Geschichte recht tranig inszeniert und wirr geschnitten, und dabei meine ich nicht, dass der Film uns erst mal lange darüber im Ungewissen zu halten versucht, dass die beiden Handlungsstränge zeitlich auseinanderliegen, nein, auch innerhalb der jeweiligen Plotlines ist der Schnitt oft genug konfus. Generell könnte der Film ein bis zwei Arschtritte vertragen, um in die Puschen zu kommen. Der Film läuft eigentlich „nur“ 98 Minuten, fühlt sich aber durchaus an wie zweieinhalb Stunden…
Zumal er auch begreiflicherweise ziemlich zurückhaltend mit Schauwerten ist. Okay, man hat sich den Location-Dreh in Australien gegönnt (allerdings waren nicht alle Schauspieler auch tatsächlich im Land der Kängurus, Howard Ross z.B. nicht, dessen Szenen wurden alle in Italien gedreht), aber sonderlichen Nutzen zieht der Film nicht daraus. Besondere Härten sind nicht zu verzeichnen, außer dem soliden Make-up-Effekt für die angekokelte Leiche. Die einzige Nacktszene wird dann auch nicht von Dalila Di Lazzaro, sondern einem Double bestritten.
Passabel, wenn auch nicht super-memorabel ist der Score von Riz Ortolani („Mondo Cane“), die beiden von 70er-Pop-Sternchen Amanda Lear geträllerten Songs sind sicherlich der Höhepunkt des Films.
Abgesehen vielleicht von der darstellerischen Leistung Ray Millands. Der Oscar-Preisträger (1946 für „Lost Weekend“), der nun auch schon durch die tiefsten Trashsümpfe hatte wandeln müssen („Das Ding mit den 2 Köpfen“) scheint ordentlich Spaß dran zu haben, gegen sein Image zu spielen und fröhlich mit vulgären Gesten hantieren zu dürfen. Nach seinem „Ausscheiden“ aus dem Film geht sein Handlungsstrang leider, wie gesagt, in die Binsen.
Dalia Di Lazzaro („Engel aus Eis“, „Phenomena“, „Frankenstein ’80“) ist nett anzusehen, aber keine besondere schauspielerische Leuchte, wohingegen Michele Placidos („Allein gegen die Mafia“) acting chops sicher unbestritten sind, aber als Jammerlappen etwas fehlbesetzt wirkt. Okay finde ich dagegen Howard Ross („Unmoralische Novizinnen“, „Der Teufel führt Regie“, „Als die Frauen das Bett erfanden“), der als Roy ein bisschen aussieht wie ein junger William H. Macy und zumindest engagiert zu Werke geht. Mel Ferrer, der auch keinen Gagenscheck gesehen hätte, der ihm nicht gefiel („Lebendig gefressen“, „Großangriff der Zombies“) hat als Di Lazzaros Professorenverhältnis nicht sonderlich viel zu tun, außer als unglaubwürdiger red herring zu dienen. Der Kurzauftritt von Eugene Walter („8 1/2“, „Das Haus der lachenden Fenster“) als schwuler Sugardaddy ist amüsant.
Die DVD von Koch aus der zweiten Giallo-Box ist praktikabel. Die Bildqualtität ist hoch anständig (1.85:1 anamorph), der Ton brauchbar, wobei einige bislang fehlende italienische Dialogpassagen nicht nachsynchronisiert und auch nicht untertitelt wurden. Als Extra gibt’s ein Videointerview mit Howard Ross, der außer ein-zwei amüsanten Anekdoten leider nichts furchtbar interessantes zu erzählen weiß.
Bleibt also summa summarum ein bedächtiges (wenn man nicht gleich „langweiliges“ sagen will) true-crime-Drama mit ein paar guten schauspielerischen Leistungen, aber einer flachen Dramaturgie und ohne rechten Biss. Den kann man getrost auslassen, außer man ist beinharter Ray-Milland-Fan.
© 2019 Dr. Acula
BOMBEN-Skala: 6
BIER-Skala: 3
Review verfasst am: 06.07.2019