Blutige Seide

 
  • Deutscher Titel: Blutige Seide
  • Original-Titel: Sei donne per l'assassino
  • Alternative Titel: Blood and Black Lace |
  • Regie: Mario Bava
  • Land: Italien/Frankreich/Deutschland
  • Jahr: 1964
  • Darsteller:

    Cameron Mitchell (Massimo Morlacchi), Eva Bartok (Contessa Cristiana Cuomo), Thomas Reiner (Ispettore Silvestri), Arianna Gorini (Nicole), Dante DiPaolo (Franco Scalo), Mary Arden (Peggy Peyton), Franco Ressel (Marchese Riccardo Morelli), Claude Dantes (Tao-Li), Luciano Pigozzi (Cesare Lazzarini), Lea Leander (Greta)


Vorwort

Im Atelier der Modepäpstin Contessa Cristiana herrscht immer hektische Betriebsamkeit – allerdings werden doch eher selten die übel zugerichteten Leichen ermordeter Modelle fein säuberlich verstaut in Wandschränken gefunden, heute aber schon. Das Opfer ist Isabella, und außer Kollegin und Mitbewohnerin Peggy, so stellt der rasch hinzugezogene Inspektor Silvestri fest, weint sich jetzt nicht unbedingt alles die Augen aus dem Kopf. Das ist nur in dem Fall praktisch, wenn man die Anzahl potentieller Verdächtigen als je höher, je besser betrachtet, für vernünftige Polizeiarbeit ist das allerdings weniger toll. Silvestri kapriziert sich bei der Suche nach einem passenden Mörder auf Isabellas Ex-Freund, den Antiquitätenhändler (und Junkie) Franco, offenbar ein Modell-Groupie, der sich kreuz und quer durch Cristianas Belegschaftsliste vögelt und momentan bei Nicole, die ganz besonders wenig traurig über den Abgang Isabellas zu sein scheint, angekommen.

Wie dem auch sei, the show must go on, und niemand ist besonders überrascht, dass sich ausgerechnet Nicole freiwillig meldet, das Kleid zu tragen, das Isabella vorführen sollte. Bei der Suche nach einer zum Kleid gehörigen Brosche macht Nicole eine unerwartete Entdeckung – Isabellas Tagebuch; da dies vor versammelter Mann- bzw. Frauschaft geschieht, kann sie diesen Fund nicht geheim halten. Und plötzlich wird praktisch die gesamte anwesende Baggage hochgradig nervös, inklusive der Contessa und ihrem (zweiten) Ehemann Massimo Morlacchi. Nicole verliert aber zumindest keine Zeit, Franco über die Fundsache zu informieren, und der, auf cold turkey, kündigt an, sofort vorbeizukommen. Aber wenige Minuten später wird Nicole von einem Freund Francos angerufen und ob dessen rapide verschlechtertem Gesundheitszustand zu ihm beordert. Natürlich nichts weiter als eine fiese Falle, denn Isabellas Mörder wartet in Francos Antiquitätenschuppen und stalked’n’slashed Nicole zu Tode. Nur das, was der fiese Mördersmann haben wollte, das bekommt er nicht, das Tagebuch. Das hat sich nämlich heimlich Peggy unter den Nagel gerissen, offenbart es doch a) ihre geheim gehaltene Schwangerschaft und b) ihre finanziellen Kalamitäten. Zuerst gewillt, nur die sie belastenden Seiten zu verbrennen, entscheidet Peggy sich spontan zu einer kompletten Bücherverbrennung, und das just, als sich telefonisch Silvestri ankündigt, der Peggys Auto gefunden hat, das sie zuvor Nicole für ihre Franco-Liebesdienst ausgeliehen hatte.

Noch bevor Silvestri erscheint, erscheint aber der maskierte Killer und begehrt ultimativ die Herausgabe des (wen auch immer) kompromittierenden Tagebuchs, was Peggy aus verständlichen Gründen nicht tun kann, da Extrempuzzeln nicht zu ihren Hobbys gehört. Der Killer schlägt Peggy k.o. und entführt sie in Anbetracht des sich nähernden Polypen zum Zweck späterer Folterung. Weil Peggy renitent bleibt, segnet auch sie geschwind das Zeitliche.

Silvestri hat nu die Faxen dicke – fest davon überzeugt, dass einer der Kerle aus dem Umfeld des Modehauses der Täter sein muss, verhaftet er vorsorglich alle entsprechenden XY-Chromosomenträger: den misogynen Modezeichner Cesare, Morlacchi, den in Peggy verknallten Epileptiker Marco, Franco und den Marchese Marcello, Verlobter von Modell Greta, obwohl der notorisch zahlungsunfähige Marchese und Franco einen gegenseitigen Alibi-Pakt geschlossen haben – der leider nichts nützt, weil sie noch nichts vom Verschwinden Peggys wussten und ihre Geschichte daher nicht ganz das richtige Timing besitzt.

An einen Fortgang des Geschäftsbetriebs ist nicht zu denken – die Contessa schickt ihre restlichen Modelle (so viele sind’s ja nicht mehr) nach Hause. Als Greta in ihrem Domizil ankommt, entdeckt sie in ihrem Kofferraum die tote Peggy. In einer Kurzschlussreaktion schleift sie die Leiche ins Haus – und spielt damit dem Killer in die Karten, der sie umbringt. Das macht leider Silvestris schöne Theorie kaputt, hat er doch all seinen Verdächtigen ein hieb- und stichfestes Alibi frei Haus geliefert…


Inhalt

Ich könnte dieses Review mit einer ausschweifenden filmhistorischen Abhandlung beginnen und mal wieder die Entwicklung des ur-italienischen Genres „giallo“ (für Einsteiger: das heißt erst mal nichts anderes als „gelb“ und kommt von der traditionellen Umschlaggestaltung von billigen Kriminalromanen) darlegen. Ich überlasse das dann aber doch lieber Leuten wie Marcus Stiglegger, die lassen sich dafür bezahlen. Belassen wir es dabei, dass es sicher keine einzelne gerade Linie gibt, an deren Ende der Giallo in seiner vollendeten Form steht; neben der eigenen italienischen Genre-Tradition (auch wenn die beinahe ausschließlich von Riccardo Freda und Mario Bava gestaltet wurde) stand der Hitchcock’sche Psychothriller ebenso Pate wie der deutsche Wallace-Krimi.

Welches nun genau der erste Film war, der das Prädikat „Giallo“ als primäre Genrebezeichnung verdient, ist eine Frage, über die sich die Filmgelehrten und Scholaren die Köpfe zerbrechen mögen, „Blutige Seide“ von 1964 und aus der Hand des ersten großen Giallo-Maestros Mario Bava dürfte allerdings einer der definitiven Kandidaten sein – die Zutaten für eine schmackhafte Giallo-Mahlzeit sind jedenfalls vollständig vorhanden (soweit und so explizit das 1964 möglich war).

Für die Geschichte zuständig ist Marcello Fondato, der mit Bava schon zwei Jahre zuvor bei dessen wegweisenden Episodenfilms „Die drei Gesichter der Furcht“ zusammengearbeitet hatte. Später entwickelte Fondato sich zum Komödienspezialisten und verfasst die Bücher für einige Bud-Spencer-Vehikel wie „Der Bomber“, „Charleston“, „Sie nannten ihn Mücke“ und die Spencer/Hill-Kollaboration „Zwei wie Pech und Schwefel“ (allerdings auch das Script für den unsäglichen „Aladin“). Bava selbst wurstelte mit dem ansonsten nicht weiter aufgefallenen Giuseppe Barilla (mutmaßlich nicht verwandt und verschwägert mit dem Nudelimperium) auch noch etwas am Drehbuch.

Der Aufbau des Szenarios ist gleichsam betörend – alles dreht sich um dem Mikrokosmos des Modeateliers, nur Inspektor Silvestri und sein Gehülfentschakl sind Fremdkörper in diesem Universum, in dem praktisch alles um die diversen Egoismen der Beteiligten kreiselt. Man mag im Reigen der Modelle, ihre Anbeter und derer, die von ihnen profitieren, vergeblich nach auch nur ansatzweise sympathischen Figuren suchen (selbst die, von denen man es zunächst glaubt, belehren uns rasch eines besseren), aber „Blutige Seide“ ist der seltene Fall von Film, der keinen echten Protagonisten braucht (Inspektor Silvestri ist zwar, wenn man so will, ein positiver Charakter, und wuselt lange Zeit um die Opfer und Verdächtigen herum, ist aber, alles in allem betrachtet, für den Handlungsfortlauf keine entscheidend wichtige Figur), weil die diversen Diven, Schlampen, Arschlöcher und sonstige Widerlinge in ihrem Zusammenspiel so faszinierend sind, sich perfekt ergänzen, Allianzen eingehen, sich hintergehen etc. Dreck am Stecken (ob echt oder eingebildet) hat hier jeder, jeder hat ein Motiv, sich durch Isabellas Tagebuch bedroht zu fühlen, und ebenso hat jeder die Gelegenheit, mordend zuzuschlagen. Hier findet man mehr rote Heringe als in einer generalstabsmäßig organisierten Fischfabrik; wer Freude am Mitknobeln hat, der kommt hier auf seine Kosten.

Die Sache hat dann allerdings doch einen Haken (isn’t it always…) – Bava und seine Mitschreiberlinge bauen ein so wunderbares Diorama der Abgründigkeiten auf, dass die Auflösung, egal, wie auch immer sie ausfallen wird, mit dem set-up nicht mithalten können wird. Und so ist dann auch die Lösung des Rätsels, wie sie uns präsentiert wird, vergleichsweise banal – die letzten 20 Minuten sind, so leid es mir tut, die schwächsten des Films (was, zugegeben, für einen Giallo, der was auf sich hält, auch nicht speziell ungewöhnlich ist), fast könnte man den Eindruck gewinnen, das Finale, in dem aus dem Ensemblestück quasi ein Zwei-Personen-Spiel wird,

Dennoch – im Vergleich zu den meisten Gialli, die sich dramaturgischen Erwägungen bestenfalls aus Zufall unterwerfen, spielt sich „Blutige Seide“ stringent (wer sehen will, wie Mario Bava mit „random killing“ umgeht, ist bei seinem Spätwerk „Bay of Blood“ gut aufgehoben) und nicht unschlüssig.
 
Nichtsdestoweniger lebt ein Giallo, und ganz besonders natürlich einer eines bekennenden Ästheten wie Mario Bava, nicht von der Handlung allein, sondern auch und vor allem von seiner Atmosphäre und der visuellen Umsetzung. Und da ist Bava ein Meister seines Faches, dem allenfalls ein Dario Argento in Hochform annähernd das Wasser reichen kann (und Bava muss man zugestehen, dass während seiner „prime“ die technischen Möglichkeiten noch nicht so gegeben waren, wie sie ein Argento ein-zwei Dekaden später haben sollte). Schon mit dem stylischen Vorspann, in dem uns die wesentlichen Protagonisten vorgestellt werden, setzt der Film eine deutliche Duftmarke, und auch im weiteren Verlauf zieht Bava alle Register seines erheblichen Könnens. Jeder Frame wirkt auf maximale Wirkung durchkomponiert, jeder Schatten hat seine Bedeutung, keine Requisite steht zufällig herum – selbst die zahlreich in der Comtesse Atelier herumstehenden Mannequins scheinen danach ausgerichtet zu sein, in jede Szene den passenden Charakter anklagend anzustarren oder auf ihn zu zeigen. Überragend ist natürlich auch die Farbgestaltung, in der nichts dem Zufall überlassen bleibt.
Die Kameraarbeit von Ubaldo Terzano („Die drei Gesichter der Furcht“, „Der Dämon und die Jungfrau“), unterstützt von Signore Bava himself, ist erwartungsgemäß großartig – herauszuheben ist zweifellos der Mord an Nicole im labyrinthartigen Antiquitätenlager Francos; ich will mich nicht aus dem Fenster lehnen, aber es ist mit Sicherheit eine der ersten, prägendsten und besten stalk’n’slash-Sequenzen, von deren Bildsprache sich Legionen (meist minderbemittelter) Epigonen sich haben inspirieren lassen; ebenso natürlich wie die Figur des gesichtslosen Killers, mit langem Mantel, Hut und den obligatorischen schwarzen Handschuhen zum Archetypen der Killergestalt im Giallo werden sollte.
Wiewohl „Blutige Seide“ kein Splatterfestival ist (auch hierfür wende man sich vertrauensvoll an „Bay of Blood“), überrascht der Streifen mit ein paar wohlgesetzten Gewaltspitzen; besonders, wenn der Killer sich an Peggy gütlich hält, fällt es nicht schwer, eine direkte Linie von hier bis zu den perfiden Torture-Porn-Streifen des letzten Jahrzehnts zu ziehen.
 
Headliner im Cast sind die internationalen „Stars“ Eva Bartok und Cameron Mitchell. Zur Karriere des Letztgenannten lässt sich auf diesen Seiten ja einiges nachlesen. Wie zahlreiche B-Body-Tough-Guys der 50er sah er sich nach dem Zusammenbruch des US-Studiosystems auf unserer Seite des Atlantiks nach neuen Karrieremöglichkeiten um und landete in Italien, wo er in Mantel- und Degenfilmen, Sandalenabenteuern und Horrorfilmen amtierte. In den 70ern hielt er sich im US-TV schadlos, ehe er sich in den 80ern als professioneller „name actor“ für B- bis Z-Produktionen einen arbeitsamen Karriereherbst verschaffte. Hier ist er zwar nominell einer der Stars, taucht aber – scriptbedingt – über weite Strecken des Films etwas im Ensemble unter. Eva Bartoks Lebensgeschichte ist alleine schon filmreif – Holocaust-Überlebende, dann ins Visier der neuen Herren in ihrer Heimat Ungarn, der Kommunisten geraten, von einem US-Produzenten nach England geholt, und als potentieller kommender Superstar gehandelt, machte sie sich keinen gesteigerten Kopf über die Qualität ihrer Rollen, dafür umso mehr um ihre Affären, heiratete Curd Jürgens, hatte angeblich ein Techtelmechtel mit Frank Sinatra (angeblich der Vater ihrer Tochter Deana) und hängte die Filmkarriere 1967 an den Nagel, um sich indonesischer spiritueller Mystik zu widmen. „Blutige Seide“ markiert ihren vorletzten Leinwandauftritt, dem nur noch das israelische Drama „Sabina“ folgen sollte. In „Blutige Seide“ ist sie engagiert bei der Sache, da kann man ihr keine Vorwürfe machen.
Als teutonische Leihgabe kommt uns Thomas Reiner als steifer, aber renitenter Inspektor Silvestri. Reiner war erstaunlicherweise im deutschen Wallace-Krimi, obwohl wie dafür geboren, nie zu sehen, verdiente sich aber später ewigen Fernsehruhm als die nervige bürokratische Nemesis der „Raumpatrouille“-Orion-Crew, Ordonnanzleutnant Spring-Brauner.
Mit Arianna Gorini („The Revenge of Ivanhoe“), Mary Arden („Kriminal“), Claude Dantes („The Masked Man Against the Pirates“), Lea Leander („Rabid Dogs“) und Francesca Ungaro („Mondo Erotico“) gibt sich ein ganzes Rudel attraktiver junger Damen die Ehre, von denen keine mit überwältigenden schauspielerischen Qualitäten gesegnet ist, aber dafür haben sie eben andere Vorzüge (die sie allerdings, this being an anständiger Film, nicht so viel zeigen dürfen wie wir uns das als Zuschauer vielleicht wünschen würden). In den Nebenrollen wissen Dante DiPaolo („Samson and the 7 Wonders of the World“) als schmieriger Junkie Franco, Luciano Pigozzi („Exterminators of the Year 3000“, „Das Alien aus der tiefe“ – der spätere Alan Collins) als unheimlicher Misogynist Cesare und Massimo Righi („Battle of the Worlds“, „Marschbefehl zur Hölle“) als nervöser Marco durchaus zu überzeugen.
 
Die VZM-Blu-Ray/DVD-Combo bietet auf der Blu-Ray ordentliches, wenn auch etwas weiches Bild und soliden Ton. Als Extras gibt’s ein ausführliches Videointerview mit Cameron Mitchell sowie Trailer und Bildergalerien.
 
„Blutige Seide“ ist nahe dran am „perfekten“ Giallo – wäre der Schluss etwas zwingender, etwas packender, ich würde Höchstnoten verteilen und Arien singen, aber auch in der vorliegenden Form ist Bavas Streifen zu Recht ein Genre-Klassiker, den jeder Freund des italienischen Gewaltfilms kennen sollte und auch für die Klientel, die mit dem italienischen Kram eigentlich nicht so viel anfangen kann, sehenswert, ist es doch ein filmhistorisch nicht wegzudiskutierender Vorläufer des Slasher-Horrors, und damit unwidersprochen Pflichtprogramm.
 
©2019 Dr. Acula


BOMBEN-Skala: 3

BIER-Skala: 7


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