Beijing Bicycle

 
  • Deutscher Titel: Beijing Bicycle
  • Original-Titel: Beijing Bicycle
  •  
  • Regie: Wang Xiaushuai
  • Land: VR China
  • Jahr: 2001
  • Darsteller:

    Ciu Lin (Guei), Li Bin (Jian), Zhou Xun, Gao Yuanyuan, Huan Li Shuang


Vorwort

Peking (bzw. Beijing) heutzutage – frisch vom Land eingetroffen, heuert der sechzehnjährige Guei bei einem Fahrradkurierdienst an. Sobald er einen gewissen Umsatz zu verzeichnen hat, soll sein Dienstfahrrad ihm gehören. Ehrgeizig geht Guie das Unternehmen an, nur um, just als die magische Grenze erreicht ist, seines Drahtesels durch widerrechtliche Inbesitznahme einer dritten Partei (kurz gesagt: Klau) verlustig zu ehen. Seinem neuen Besitzer, dem Schüler Jian, der das Klaurad gutgläubig auf einem Flohmarkt erwirbt, dient das fetzige Teil als Statussymbol unter seinen Freunden (und vor allem bei der Freundin), auch wenn er das Rad vor seiner Familie verstecken muss. Guie, der sein vermißtes Rad hartnäckig sucht, kommt durch Zufall auf die Spur des Rades. Es kommt zu handgreiflichen Auseinandersetzungen, an deren Ende ein Kompromiß steht, der aber auch keinen der Beteiligten glücklich machen wird…


Inhalt

Neues Kino aus China ist in westlichen Kreisen gemeinhin sicher auf vordere Plätze bei den einschlägigen Festivals gebucht und da macht „Beijing Bicycle“, eine eher unzureichend getarnte Neuauflage des alten italienischen Neorealismusklassikers „Fahrraddiebe“, keine Ausnahme, wie der Silbere Bär bei der 2001er Berlinale beweist. Wieso eigentlich gewinnen Plotten, die keinen Menschen und schon gar keinen Feuilletonkritiker hinter dem sprichwörtlichen Ofen herlocken würden, wenn sie nicht von Wang Xiaoshuai aus Peking, sondern Hubert Müller aus Wanne-Eickel gedreht würden, Filmpreise en gros?

Okay, ich will hier nicht in frustrierten Kulturimperialismus verfallen, auch ein chinesischer Gegenwartsfilm (und damit schon mal eine Ausnahme im immer noch unter heftigen Zensurbestrebungen leidenden dortigen Filmbusiness) ist in erster Linie ein Film und damit von einer neutralen Warte aus zu beobachten. Trotzdem und auch trotz meines durchaus vorhandenen Faibles für gepflegtes Art-House-Kino, werde ich mit „Beijing Bicycle“ nicht wirklich warm (und konnte letztlich auch der Versuchung nicht standhalten, ein gerüttelt Maß des Streifens im Modus „schneller Vorlauf mit Untertiteln“ zu absolvieren, also sind meine Einschätzungen möglicherweise nicht völlig fair, aber wann ist das Leben schon mal gerecht?).

Xiaoshuai verwendet das Statussymbol Fahrrad als grundsätzliche Metapher für den Zwiespalt der modernen chinesischen Gesellschaft, die zwischen traditionellen Werten, maoistischer politischer Ausrichtung und Turbokapitalismus zu pendeln versucht, personifiziert in den beiden Protagonisten – Guei ist ein schlichtweg materialistisch orientierter Neuankömmling in der Stadt, der im Fahrrad einzig und allein die Chance auf wirtschaftlichen Wohlstand sieht, dem er alles andere unterordnet. Jian dagegen hat keine direkten materiellen Nöte, auch wenn seine Familie nicht wohlhabend ist, sieht sich aber aus „gesellschaftlichem Zwang“ dazu gezwungen, ein Fahrrad zu besitzen, da er sonst mit seinem Freundeskreis nicht mithalten kann (durchaus, auf anderem Level, Probleme, die man auch von teutonischen Schulhöfen her kennt, nur dass es da weniger die Bikes sondern die Markenklamotten und Handys sind). Aufsetzend auf diesem Bild versucht Xiaushuai sanfte Gesellschafskritik anzubringen, ohne dabei zu deutlich zu werden (und eventuell den Machthabern zu dolle auf die Füße zu treten). Ja, ich weiß, als ambitionierter kritischer Filmemacher hat man’s in mainland China nicht leicht und auch Xiaushuai hat mit einigen seiner vorhergehenden Werke schon an den gewaltigen Klippen der staatlichen Zensur bereits Schiffbruch erlitten, dennoch macht er es sich für meine Begriffe mit „Beijing Bicycle“ zu leicht. Seine „Gesellschaftskritik“ lässt sich nämlich relativ leicht mit „Kapitalismuskritik“ übersetzen und obwohl ich sicher einer der ersten bin, der an einer rein kapitalistisch orientierten Gesellschaftsordnung dieses oder jenes zu meckern hat, ist mir das einfach zu sehr der „bloß-nicht-bei-der-KP-unbeliebt-machen“-Weg, denn als Moral von der Geschicht kann man ohne weiteres implizieren, dass der es eben die Auswüchse des Kapitalismus, die bösen Einflüsse der westlichen Konsumgesellschaft sind, die sowohl die traditionellen chinesischen Werte (schon rein architektonisch durch den Kontrast von hypermodernen Wolkenkratzern einer- und von engen Gassen durchzogenen alten Vierteln andererseits versinnbildlicht) als auch die kommunistischen Ideale zugunsten materialistisch orientiertem Individualstrebens zurückdrängen. Das ist zweifellos ein valider Punkt, und ganz besonders einer, an dem die im Umbruch befindliche chinesische Gesellschaft ordentlich zu knabbern hat, aber es lässt die innenpolitische Seite der Spielkarte eben vollkommen aus dem Spiel (aus filmemacherseits nachvollziehbaren politischen Gründen, zweifellos).

Mangelnde politische Schärfe hin, Blick ins heutige chinesische Alltagsleben her, leider packt mich der Film halt auch jenseits dieser Schlagworte nicht. Ich weiß nicht, vielleicht kommen mir die Probleme chinesischer Jugendlicher einfach zu weit weg vor, weil ich genügend eigene habe (Probleme, nicht chinesische Jugendliche), vielleicht taugen weder Jian noch Guie als rechte Identifikationsfiguren (letztlich kann man nämlch den Eindruck nicht verhehlen, dass beide an ihrem Schlamassel zu einem Gutteil nicht unschuldig sind), vielleicht ist der Film trotz einiger wirklich ausgezeichneter und eindrucksvoller Szenen insgesamt einfach eine Prise zu langatmig. Bei aller handwerklichen Perfektion und dem ein oder anderen pfiffigen Regieeinfall schafft es der Streifen nicht, die Grundvoraussetzug für schlichtweg jeden Film, der mir gefallen soll, zu erfüllen – mich bei der Stange zu halten. Wenn ich schon nach dreißig Minuten auf’s Display sehe, um zu schauen, wie lang der Spaß noch dauert, ist das kein gutes Zeichen. Wie gesagt – nichts gegen kleine, leise Geschichten, aber ich brauche zu ihnen einen Zugang und den liefert mir „Beijing Bicycle“ nicht, abgesehen von sehr schöner (und dabei erstaunlich un-chinesischer) Filmmusik.

Auch gegen die darstellerischen Leistungen der beiden Jungschauspieler in den Hauptrollen lässt sich nichts sagen – sowohl Cui Lin (besonders) als auch Li Bin vermögen zu überzeugen. Beide agieren glaubhaft und natürlich, und auch die Darsteller der Nebenrollen (Aufzählung von Namen erspare ich mir an dieser Stelle) erledigen ihre Aufgaben vorzüglich, aber dafür sorgen, dass es bei mir als Zuschauer „klick“ macht, können sie auch nicht.

Bildqualität: Das von mir vielfältig gelobte Label Sunfilm lässt sich auch bei „Beijing Bicycle“ nicht lumpen. Der anamorphe 1.85:1-Widescreen-Transfer lässt keine Wünsche offen: ausgezeichnete Farben, hervorragende Detail- und Kantenschärfe, sehr gute Kompression (ganz selten stellt sich ein minimales Ruckeln ein), auch am Kontrast gibt’s nichts zu rütteln. Dass der Print frei von Verschmutzungen oder Defekten ist, versteht sich von selbst.

Tonqualität: Vier Tonspuren stehen zur Verfügung, es kann wahlweise deutsch oder chinesischer O-Ton (genauer gesagt: Mandarin, die DVD selbst ist in diesser Hinsicht etwas unpräzise) in Dolby 2.0 oder 5.1 genossen werden, O-Ton-Freunde werden bei Sunfilm selbstverständlich auch mti optionalen deutschen Untertiteln bedient. Ersichtlich handelt es sich um einen leisen Film, bei dem keine akustischen Surroundfeuerwerke zu erwarten sind. Rauschfrei und glasklar verständlich sind die Tonspuren allemal allesamt.

Extras: Die Ausstattung der Scheibe ist leider etwas mau ausgefallen. Neben dem Originaltrailer findet sich nur eine drei Texttafel starke Biographie für Regisseur Xiaushuai sowie Anmerkungen desselben zum Film auf sieben weiteren Texttafeln. Außerdem gibt’s natürlich die obligatorische Sunfilm-Trailershow.

Fazit: Schon klar, „Beijing Bicycle“ will und kann kein Unterhaltungsfilm, sondern eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Zustand der gegenwärtigen chinesischen Stadtgesellschaft sein. Ein hehres Anliegen, auch wenn’s politisch aus naheliegenden Gründen verwässert ist, nur halt eines, das *mich* nicht wirklich interessiert – zumindest nicht in der hier vorliegenden Umsetzung, das ist mir trotz inszenatorischer Stilsicherheit und ausgezeichneten darstellerischen Leistungen schlicht zu langweilig (und das Leben ist zu kurz für langweilige Filme). Polemik ahead: das klischeehafte Baskenmützen-Arthouse-Publikum, stets bereit, einen unbekannten Auteur aus einem Entwicklungs- oder Schwellenland mit critical praise zu überhäufen, wird das möglicherweise anders sehen, mir allerdings bringt der Film schlicht keinen Unterhaltungs- und auch keinen Erkenntnisgewinn, da les‘ ich lieber eine SPIEGEL-Reportage. Technisch ist die Sunfilm-DVD wieder einmal ausgezeichnet, wenn auch schmalbrüstig ausgestattet.

2/5
(c) 2006 Dr. Acula


mm
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