Auto Focus

 
  • Deutscher Titel: Auto Focus
  • Original-Titel: Auto Focus
  •  
  • Regie: Paul Schrader
  • Land: USA
  • Jahr: 2002
  • Darsteller:

    Greg Kinnear (Bob Crane), Willem Dafoe (John Carpenter), Rita Wilson (Anne Crane), Maria Bello (Patricia Olson), Kurt Fuller (Werner Klemperer), Ron Leibman (Lenny), Michael E. Rodgers (Richard Dawson), Ed Begley jr., Michael McKean, Bob Crane jr.


Vorwort

1964 zieht der beliebte Radio-DJ und glücklich verheiratete Familienvater Bob Crane das große Los – die Hauptrolle in der neuen Sitcom „Ein Käfig voller Helden“. Crane wird zu einem der ersten großen TV-Stars und ebnet sich doch gleichzeitig den Weg zu seinem Untergang. Zufällig lernt er den Hifi-Vertreter und Videotechnik-Pionier John Carpenter, der ihn die Welt des ungezügelten Sex einführt, kennen. Schnell wird klar, dass sich hinter der Fassade des gottesfürchtigen Biedermanns Crane ein sexbessener Frauenaufreißer und Pornomane der Extraklasse verbirgt, was auch dem Geschlechtsleben Carpenters nicht schadet. Cranes und Carpenters Sexorgien führen dazu, dass Cranes Ehe in die Brüche geht. Zwar heiratet Crane eine Darstellerin des „Käfig“-Ensembles, aber sein Abstieg ist nicht aufzuhalten. Nach Einstellung der Serie gilt Crane, dessen erotische Eskapaden sich herumgesprochen haben, in der Branche aufgrund eines „Imageproblems“ als nicht vermittelbar. Auch seine zweite Ehe scheitert – mühsam hält sich Crane mit Theatertourneen durch die Provinz über Wasser, nicht ohne dabei mit Carpenter die örtlichen Swinger-Szenen auszuchecken, bis Crane sein letztes Engagement annimmt…


Inhalt

Der bis heute unaufgeklärte Mord an TV-Star Bob Crane (1978 in Scottsdale, Arizona) ist immer noch eines der Mysterien der „echten“ Hollywood-Kriminalgeschichten. Unzureichende technische Möglichkeiten und schlampige Ermittlungen sorgten dafür, dass trotz diverser Indizienbeweise, Motive und Verdächtiger nie eine Verurteilung erfolgte. Der Stoff, aus dem die Schlagzeilen sind – beliebter Fernsehbiedermann führt heimlich ein ungeahntes Doppelleben um Sex, Lügen & Videotapes und wird brutal ermordet. Klingt ganz nach einem Stoff für Paul Schrader, den legendären Regisseur und Drehbuchautor, der für die besten Scorcese-Filme die Bücher schrieb und sich mit seinen eigenen Regiewerken (mal von seinem aus dem Verkehr gezogenen „Exorzist“-Prequel abgesehen) wie „Ein Mann für gewisse Stunden“ oder „Der Gejagte“ ebenfalls einen hervorragenden Ruf erarbeitet hat. Schrader ist Spezialist für komplexe, schwierige, sperrige, „zerrissene“ Charaktere, da kommt ihm Bob Crane gerade recht.

Obwohl „Auto Focus“ sich als eine Adaption des Robert-Graysmith-Buchs „The Murder of Bob Crane“ versteht, interssiert Schrader – angesichts seines Backgrounds verständlicherweise – weniger der eigentliche Mord an Crane, sondern das Psychogramm seines Opfers – wie konnte ein erfolgreicher Schauspieler mit perfektem Familienidyll sein Leben so zerstören? Damit sollte klar sein, „Auto Focus“ ist kein Thriller, sondern ein Psychodrama. Schrader zeigt in beeindruckender Konsequenz, wie Crane zum Opfer seiner Sexsucht wird und in beinahe arglos-naiver Umtriebigkeit zuerst seine Familie, dann seine Karriere und zu guter Letzt sich selbst in den Abgrund treibt – und das (natürlich auch ein Verdienst des First-Time-Screenwriters Michael Gerbosi) nie moralisierend den Zeigefinger auf Crane zu richten, dessen angeborene „likeability“ nie in Frage gestellt wird. Schrader schildert Crane nicht nur als Opfer seiner Leidenschaften und seiner Unfähigkeit, sich von schädlichen Einflüssen wie der Freundschaft zu John Carpenter zu lösen, sondern auch als solches der bigotten heuchlerischen amerikanischen Gesellschaft der 60er und 70er Jahre, in der einerseits Sex (und speziell: die Freude am Sex) als etwas ungesundes, unmoralisches und auf jeden Fall verdammenswertes betrachtet wurde, andererseits die sexuelle Freizügigkeit (lange, bevor jemand etwas von AIDS ahnte) hinter verschlossenen Türen gang und gäbe war. An diesem moralischen Dilemma (auf der einen Seite seine Sexsucht, auf der anderen Seite aber seine Sehnsucht nach einem intakten Familien- und Eheleben) ging Crane, nach Schraders nicht von der Hand zu weisenden These, genauso zugrunde wie an seiner Unfähigkeit oder seinem Unwillen, die Grenze zügelloser und gefährlicher Obsession zu achten.

Das Script, chronologisch erzählt, behandelt ausschließlich die Jahre 1964 bis 1978, also von Cranes Durchbruch bis zu seinem Tod, lässt immer wieder Raum für „leichtere“, gar humorvolle Momente, bleibt aber parallel zu den Geschehnissen in Cranes Leben (d.h. je tiefer Crane sinkt, desto weniger „Auflockerung“ gibt’s). Paul Schrader dokumentiert den Verfall Cranes auch in der filmischen Umsetzung – von wunderschönen, großformatigen Bildern in ruhigen und extrem gefälligen Steadicam-Shots, als Cranes Welt noch in Ordnung ist, wechselt der Film im Schlußakt zu intimen, fast schon aufdringlichen, wackeligen Handkamera-Aufnahmen, symbolhaft für Cranes psychischen (und ganz tatsächlichen) Niedergang. Dabei setzt Schrader dieses Stilmittel subtil genug ein (der Übergang ist sehr fließend und nicht „in your face“) – es fällt auf (und damit auch die Absicht), aber es stört nicht.

Mit etwas über 100 Minuten Laufzeit ist Schraders Film keine Tempogranate, was aber natürlich nicht die Absicht war – dank des exzellenten Scripts, Schraders ausgezeichneter Regiearbeit und der noch gleich zu würdigenden hervorragenden Darsteller wird „Auto Focus“ (der Titel ist übrigens eine nette Doppeldeutigkeit auf Cranes Fotografier- und Videoleidenschaft als auch seine Selbstsucht) in keiner Sekunde langweilig, sondern im Gegentum packend und (trotz des bekannten Ausgangs) spannend, auch wenn die Frage, wer Crane letztlich ermordet hat, eine untergeordnete bleibt (jedoch macht der Film die von Schrader und seinem Autoren unterstützte These mehr als nur deutlich). Für einen amerikanischen Film, der sich mit dem Thema „Sex“ auseinandersetzt, ist „Auto Focus“ übrigens sehr offenherzig (die internationale Schnittfassung wäre in den USA prompt Kandidat für ein NC-17 geworden, so dass die Yankees sich mit einer editierten R-Fassung zufriedengeben müssen) und direkt.

Der Soundtrack von Angelo Badalamenti bleibt dezent-unauffällig im Hintergrund.

Großartig sind, wie bereits angedeutet, die schauspielerischen Leistungen. Ich war, da Bob Crane als „Colonel Hogan“ ja auch hierzulande mittlerweile durch ständige TV-Wiederholung ein (auch visueller) Begriff, zunächst hinsichtlich Greg Kinnear etwas skeptisch – auf den ersten Blick zeichnet ihn keine so große Ähnlichkeit mit dem echten Crane aus, aber Kinnear wächst in den Charakter hinein und erweist sich als ungeahnt wandlungsfähig (auch was den physischen „Verfall“ Cranes in späteren Jahren angeht). Der Akteur, hauptsächlich eher als Komödiant bekannt („Mystery Men“, „e-m@il für dich“, „Besser geht’s nicht“) strahlt die dringend notwendige „likeability“ aus, bringt sowohl den Strahlemann Crane der 60er als auch das emotionale Wrack der 70er absolut glaubhaft rüber. Große Darstellkunst und schon ein bisschen schockierend, dass dafür nicht mal ’ne Oscar-Nominierung abgefallen ist. Die Rolle von Cranes destruktivem besten Kumpel John Carpenter ist für Willem Dafoe („Spider-Man“, „Body of Evidence“) wie gemalt – eine extrem zwiespältiger, dabei aber nicht wirklich „bösartiger“ Charakter, der nur durch die (auf Gegenseitigkeit beruhende) Abhängigkeit zu Crane (und seine Kenntnisse der Videotechnik) „auflebt“. In der prinzipiell eher undankbaren Rolle der biederen Ehefrau Anne Crane büerzeugt Rita Wilson („Die Braut, die sich nicht traut“, „Fegefeuer der Eitelkeiten“, „Schlaflos in Seattle“), ebenso wie die schon in „The Cooler“ ausgezeichnete Maria Bello („Coyote Ugly“, „Assault on Precint 13“). Fast schon beängstigend ist Kurt Fuller in der vergleichsweise kleinen Rolle des Schauspielers Werner Klemperer („Oberst Klink“ in „Ein Käfig voller Helden“). In kleinen, aber prägnanten Rollen geben sich Ed Begley jr., Michael McKean und Cranes leiblicher Sohn Bob Crane jr. die Ehre.

Bildqualität: Columbia TriStar packt den Film trotz umfangreichen Bonusmaterials in sehr schöner anamorpher 1.85:1-Widescreen-Qualität auf die Disc. Ausgezeichnete Farben, sehr gute Detail- und Kantenschärfe, auch vom Kontrast her weiß der Transfer zu überzeugen. Die Kompression verrichtet ausgezeichnete Arbeit.

Tonqualität: Der Konsument kann zwischen deutschem und englischen Ton, jeweils in Dolby 5.1-Qualität, wählen. Als psychologisches Drama ist „Auto Focus“ sicher kaum dazu geeignet, eine Dolby-Anlage auszureizen. Die Tonqualität an sich ist über jeden Zweifel erhaben (ich hab mich allerdings nur an die O-Ton-Spur gehalten; deutsche Untertitel werden natürlich mitgeliefert), mit perfekter Sprachqualität und einer idealen Tonmischung. Kurzes Reinzappen bringt mich zu der Erkenntnis, dass die DF nicht wirklich prickelnd synchronisiert ist…

Extras: Hier punktet die Scheibe ganz erheblich. Nicht weniger als drei Audiokommentare stehen zur Verfügung – Paul Schraders Regiekommentar, ein Kommentar mit Autor und Produzent sowie ein weiterer Track mit den Schauspielern. Ich schätze, ich muss mir den Film noch mindestens dreimal zu Gemüte führen :-). Wer sich mehr für den eigentlichen Mordfall und die (zweifelhafte) Ermittlungsarbeit interessiert, dürfte sich begeistert auf die gut 45-minütige (und scheinbar speziell für den DVD-Release produzierte) Dokumentation „Murder in Scottsdale“ stürzen, in der zahlreiche Zeitzeugen (Ermittler, Anwälte, Freunde, Verwandte) zu Wort kommen. Spannend! Ein kurzes Promo-Making-of (ca. 6 min) ist leider nicht sonderlich informativ. Daneben findet sich noch ein knappes halbes Dutzend geschnittener Szenen (insgesamt ca. 10 min, über’n Daumen gepeilt) an, die man sich auf Wunsch auch mit Schraders Regiekommentar zu Gemüte führen kann. Zwei „Auto Focus“- sowie drei weitere Trailer runden die Extra-Sektion ab.

Fazit: Wow. Ich hatte von Paul Schrader durchaus Großes erwartet, aber diese (im Kino beinahe zwangsläufig brutal gestrandete) 7-Mio-Dollar-Produktion (also echtes Low Budget…) ist Kino at its best: die faszinierende Studie eines katastrophalen persönlichen und emotionalen Absturzes, bedrückend glaubhaft gespielt, perfekt inszeniert. Selbst mir, dem alten Meckerbolzen vor dem Herrn, fällt schlicht nichts ein, wie man diesen Film auch nur um ein Mikron besser hätte realisieren könne. Diesen Film sollte sich jeder aufgeschlossene Filmfan, dessen Horizont auch nur leicht über „Äktschn, Horror, Titten“ (und zumindest letztere gibt’s in „Auto Focus“ reichlich) hinausgeht, mindestens einmal ansehen. Ein echtes Meisterwerk – kein feel-good-gute-Laune-Streifen, aber die Sorte Film, für die KINO erfunden wurde…

5/5
(c) 2006 Dr. Acula


mm
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