Auschwitz

 
  • Deutscher Titel: Auschwitz
  • Original-Titel: Auschwitz
  •  
  • Regie: Uwe Boll
  • Land: Deutschland/Kanada
  • Jahr: 2011
  • Darsteller:

    Avner Aizendorf (Nazi SS Lieutenant), Arved Birnbaum (SS man), Uwe Boll (Himself, SS man), Nik Goldman (?), Friedhelm Gärtner (Boy’s Father), Maximilian Gärtner (Young boy), Harold Levy (Dentist Prisoner), Alexis Wawerka (Oven Prisoner)


Vorwort

Sommer 1941: Hitler versucht sich seinen Traum vom „Lebensraum im Osten“ zu erfüllen und ist in die Sowjetunion einmarschiert. Gleichberechtigt daneben steht noch ein anderes Kriegsziel: die Vernichtung des Judentums. Wo auch immer die Wehrmacht auftaucht, folgen ihr die SS-Einsatzgruppen unter dem Kommando von Reinhard Heydrich. Diese töten Partisanen, Offiziere und vor allem „jüdisch-bolschewistische Kommissare“, also Juden. Von letzteren erschießen sie bis Jahresende 1941 insgesamt ca. 400-500 Tausend. Als die Machthaber (insbesondere Reichsführer-SS Himmler) merken, dass für einen kompletten Genozid, der sich ab September immer mehr abzeichnet, das Erschießen als Methode ungeeignet ist, da zu ineffektiv, zu brutal, zu persönlich und zu munitionsraubend, sucht man nach einer neuen, (für die Täter) schonenderen Methode. Man verwendet u. a. LKWs, auf deren Ladefläche Motorabgase geleitet werden. Doch auch die sind bald überholt durch die Vernichtungslager mit Gaskammern (je nach Standort mit Kohlenmonoxid oder Zyklon B betrieben) und das Morden erreicht eine in der Weltgeschichte niemals dagewesene Dimension. Da kommt das Konzentrationslager Auschwitz, in der Nähe der Stadt Oświęcim, ins Spiel. Es wird ausgebaut und dient bis Ende 1944 mit ca. 1,1 Millionen Ermordeten vor Treblinka (ca. 800000) als die größte Mordstätte.


Inhalt

Versuchen wir uns an diesem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte. Uwe Boll hat sich an diesem Stoff probiert und klar, da schrillen erst mal die Alarmglocken. Ausgerechnet Uwe Boll, der sich durch seine zahllosen Computerspiel-Verfilmungen viele Feinde gemacht hat. Es ist nicht seine erste Verarbeitung eines geschichtlichen Ereignisses, siehe DARFUR. Ich bin Boll-technisch relativ unbeleckt, ich habe erst POSTAL gesehen (*schäm*), ich werde da sicher noch einiges nachholen, aber den Film hier musste ich einfach persönlich beäugen. Und da ich ja irgendwie doch unter anderem auch so was Ähnliches wie ein Historiker bin (ähempt), fühlte ich mich irgendwo zuständig dafür. Danke noch mal an den Doc, der mir hierfür die Blu-Ray zur Verfügung gestellt hat (noch so eine Sache, auch auf dieser Baustelle bin ich notorisch unterbeschäftigt.)

Boll war der Meinung, dass zu wenige Leute wissen, was es mit Auschwitz auf sich hat/hatte (nach seiner bescheidenen Schätzung ca. 50 % der Menschheit) und wollte verhindern, dass die Verbrechen sich aus dem kollektiven Gedächtnis verabschieden. Für Boll haben wir aus der Geschichte zu wenig gelernt, da es immer noch Kriege und Völkermorde gibt. Ein anderer Teil hingegen leugnet die Verbrechen und manche billigen sie sogar (wobei sich die letzten beiden Dinge nicht ausschließen…). Selbsternannte Revisionisten finden in der Unwissenheit vieler Leute einen guten Nährboden für ihre Geschichtsfälschung, die letztlich nur dazu dient, Täter und Opfer umzukehren, den Nationalsozialismus von der Schuld reinzuwaschen, ihn wieder als politische Alternative zu rehabilitieren und selbstverständlich kräftig gegen Juden zu hetzen. In der Tat sind Bolls Gedanken unterstützenswert. Boll wollte außerdem einen Film drehen, der einen typischen Tag im Leben des Lagers zeigt, keine Helden-Vita wie SCHINDLERS LISTE oder OPERATION WALKÜRE, wo Leute im Mittelpunkt stehen, die sich dem Nationalsozialismus in den Weg gestellt haben, sondern den ganz banalen Tagesablauf des Lagers. Kann Boll diesen Ansprüchen gerecht werden?

Der Film ist dreigeteilt. Nach einer kurzen Einleitung sehen wir zuerst Ausschnitte aus Interviews, die Boll mit Schülern in einer Hauptschule geführt hat, dann kommt der eigentliche Film und dann noch mal Interviews, diesmal dürfen auch Gymnasiasten mitmischen, bis Boll uns durch sein Schlusswort entlässt. Boll sagt Einleitung und Schlusswort jeweils auf Deutsch und Englisch, komisch ist nur, dass sich das Gesagte inhaltlich jeweils leicht unterscheidet. Warum keine Untertitelung?

Die Schüler am Anfang zeichnen sich durch ziemliche Unkenntnis aus, Boll muss ihnen auf die Sprünge helfen, dass es überhaupt um Nazi-Deutschland geht. Die meisten wissen gerade noch so, dass Hitler gegen Ausländer war (bester Kommentar: „Hitler wollte seine eigene Gang“), wann Auschwitz aber stattfand, bringt sie ins Stammeln (einer datiert es sogar ins 16. Jahrhundert). In der zweiten Hälfte der Interviews kommen etwas schlauere Kommentare zum Holocaust. Besonders irritierend finde ich dabei ein blondes Mädel, das Deutschland-Schminke im Gesicht trägt, als käme sie direkt aus dem Stadion. Was das sollte und welchen Punkt Uwe Boll damit machen will ist mir ein Rätsel. Bekanntermaßen zeigen die Deutschen nur ungern Flagge, eine Ausnahme ist der Sport und schon darin sehen viele einen bedenklichen Nationalismus (was ich für Blödsinn halte und mein Nationalstolz ist nun wirklich nicht der größte). Eigentlich ja keine große Sache, aber in diesem Zusammenhang?? Entweder die Dame soll in ein rechtes Licht gerückt werden oder sie will die Farben demonstrativ tragen, um ihren Nationalstolz trotz Holocaust zu zeigen, das kann man aber auch verbal tun und muss keine Maskerade tragen.

Boll bohrt nach („Dann gab’s das also öfter?“, „Stalin hat doch auch 5 Millionen erschossen?“), somit gerät er gegen Ende auf die Schiene der Suggestivfragen, wobei ihm die meisten tatsächlich antworten, dass man das nicht vergleichen kann. Das Problem ist nur, was soll man denn schon auf so was antworten? Klar gab es auch andere Massen- und Völkermorde in der Geschichte, nur das mit den Vernichtungslagern der Nazis, die extra dafür gebaut wurden und der millionenfache Mord quasi als Industrieprodukt herauskam, das gab es in der Geschichte nur einmal. Nur ändert das irgendwas an der Verwerflichkeit anderer Verbrechen? Ist ein Verbrechen harmlos bloß weil es ein noch schlimmeres gab? Viel entscheidender ist doch wohl die Frage, wie geht man heute damit um? Versucht man Schlüsse aus der Vergangenheit zu ziehen oder sagt man einfach „war halt so“ und würgt mit „ihr seid auch nicht besser“ jede weitere Debatte ab? Da hätte Boll eher in dem Punkt nachhaken sollen.

Gewisse Probleme habe ich mit der Aussage von einem ganz am Ende, dass Israel mit den Palästinensern auch so was Ähnliches macht (er korrigiert sich von „genau das gleiche“ auf tendenziell ähnlich) und kann auch verstehen, dass es Hass gibt. Es gibt auch linken Antisemitismus und der argumentiert in etwa genauso, die Israelis sind Imperialisten und tun den Palästinensern dasselbe an wie die Nazis ihnen angetan haben. Das ist aber Blödsinn, denn erstens hinkt der Vergleich gewaltig und zweitens ist Hass dadurch noch lange nicht gerechtfertigt. Boll lässt dies übrigens unkommentiert so stehen und formuliert sein Schlusswort.

Für die Zweiteilung der Interviews musste Boll einiges an Kritik bzgl. Polemik einstecken, da von den Gymnasiasten erst im zweiten Part was zu hören ist. Die Kritik ist berechtigt, das Wissen der Hauptschüler kann aber nicht wirklich als repräsentativ gelten. Trotzdem – muss ja nicht unbedingt, es reicht schon wenn sich ein paar finden, die keine Ahnung mehr von dem Thema haben, um einen solchen Film zu rechtfertigen. Und Boll musste erst einmal eine Schule ausfindig machen, die ihn Interviews führen ließ.

Boll seines Zeichens will etwaige Unkenntnis durch sachlich fundiertes Wissen füllen, nur leider haut das nicht ganz hin, denn er entblößt selbst einige Lücken. Zum Beispiel als er sagt, die SS wäre die „Armee“ von Hitler gewesen bzw. der „Geheimdienst“. Beides gleichzeitig geht irgendwie schlecht und stimmt auch nicht, die SS war Hitlers persönliche Leibgarde, die nach und nach (v. a. nach Entmachtung der SA) an Einfluss gewann und als rassisch „reinster“ Orden die Verantwortung für die Konzentrationslager bekam. Oder seine Bemerkung ganz am Anfang, Auschwitz wäre 1940 gebaut worden und 1941 „auf Hochtouren“ gelaufen. Noch nicht einmal das kann man so stehen lassen, denn erstens gab es nicht nur ein Auschwitz sondern gleich drei – Auschwitz I (Stammlager, Konzentrationslager für politische Häftlinge), Auschwitz II (‑Birkenau, Arbeits- und Vernichtungslager) und Auschwitz III (‑Monowitz, Arbeitslager) und zweitens wurde Auschwitz-Birkenau erst Anfang 1942 gebaut und ca. im März begannen die Massenvergasungen. Es gab zwar im Stammlager Ende 1941 bereits erste Testvergasungen, insbesondere an sowjetischen Kriegsgefangenen, doch das meint Boll wohl kaum wenn er von „Hochtouren“ redet. Und der Film selbst, der hat leider einen ganzen Haufen faktischer Fehler zu bieten.
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Da haben wir am Anfang die Zugfahrt, das ist noch stimmig so, aber es sind zu wenige Insassen. Cheforganisator Eichmann hat sich nicht viel geschert um Platz und Hygiene und hat die Züge entsprechend gefüllt, es sei denn es wäre eine der ersten Vergasungen gewesen, was aber unwahrscheinlich ist, denn Boll will ja einen *typischen* Tag des Lagers zeigen, auch sprechen die späteren Dialoge und die Selektion (die es zunächst unregelmäßig gab und die ab Juli 1942 Standard wurde) dagegen. Oder es ist ein Tag außerhalb der großen „Aktionen“. Hier wäre es hilfreich gewesen zu erfahren, wann der Film denn genau spielen soll.

Dann an der Rampe – die keineswegs so aussieht wie die originale – nehmen die Leute ihr Gepäck mit, was auch nicht der Realität entspricht, denn die Juden hatten eigentlich ihr Gepäck direkt am Zug zurückzulassen. Dann kommt die eigentliche Vergasung (einer anderen Gruppe), wobei auch hier viele Unstimmigkeiten auffallen: Man hat zwar die Gaskammern nicht im Originalzustand vorgefunden (weil die SS sie vor der Flucht im Januar 1945 gesprengt hat), trotzdem konnte man sie anhand der Baupläne ganz gut rekonstruieren und die Kammer sieht nicht aus wie sie aussehen sollte. Noch viel schwerer wiegt, dass in einem großen Raum nur eine kleine Gruppe Menschen ist. Tatsächlich wurden die Gaskammern bis aufs äußerste vollgestopft, sodass es fast keinen Platz zum Stehen gab – das war aus der Sicht der Mörder sogar notwendig, denn das benutzte Gas, Zyklon B, zersetzte sich erst bei ca. 27 °C. Die Nazis wussten das und haben die notwendige Temperatur durch die Körperwärme möglichst vieler Menschen und einer Heizung erreicht. Das Zyklon-Gas wurde – im Film korrekt dargestellt – gelöst in gipshaltigen Würfelchen durch die Einwurfschächte über Drahtsäulen in die Kammer gebracht, nur hätten sich dort auch die Menschen herum gedrängt. Die Leute nahe an der Einwurfstellen starben sofort, für die anderen konnte der Todeskampf bis zu 20 Minuten dauern. Die SS-Männer ließen oftmals ihre Motorräder an, um das Geschreie zu übertönen – meist vergeblich. Schließlich liegen alle tot am Boden – wie gesagt, es gab in den Kammern zumeist nicht einmal Platz zum Umfallen.

Die andere Gruppe schreitet ihrerseits zur Selektion (die ein bisschen unübersichtlich ist), für den „arbeitsunfähigen“ Teil steht die Gaskammer bevor (nicht, wie Boll irgendwo sagt, 50 % der Transporte, sondern mehr als 75 %), die verbleibenden werden ins Arbeitslager geführt, dann geht das Spiel mit der Vergasung wieder von vorne los, wobei man fragen kann, ob es nicht einmal genauso getan hätte. Hier kann man vielleicht einwenden, dass pro Tag mehrere Vergasungen stattfanden und Boll dies zeigen möchte. Weniger nachvollziehen kann man allerdings die drei Erschießungen von Kindern in Zeitlupe, wohlgemerkt unmittelbar vor der Gaskammer, was keinen Sinn ergibt, denn man wollte die Opfer schließlich ruhig halten und sie so lange wie möglich über ihr Schicksal täuschen. Ein schreiendes Kind hätte man höchstens weg gebracht und dort erschossen oder einfach mit in die Kammer gepackt, oft wurden sie oben drauf geworfen. An der Stelle vermisse ich auch das jüdische Sonderkommando, das für die Täter die unangenehme Drecksarbeit erledigen musste nach den Morden, aber auch schon vorher die Leute zu beruhigen hatte. Überlebende nach dem Krieg haben sogar berichtet, dass die Menschen noch lachend in die Gaskammer gegangen sind, so perfekt war die Tarnung. In anderen Filmen hatte das mit dem Töten von Kindern vielleicht noch den Nutzen, das typische Hollywood-Tabu, keinen Kindern was Böses anzutun, mit Füßen zu treten (was prinzipiell nichts Verkehrtes ist). In diesem Kontext sieht es anders aus. Hier wirkt die Szene aufgesetzt, deplatziert und sogar schon abgedroschen (da Boll sie in mehreren Filmen zeigt).

Weniger überzeugend ist auch die Gastür, die ist viel zu dünn, um der Kraft von hunderten panischen Menschen standzuhalten. Jetzt sehen wir, wie der Einwurf des Giftgases tatsächlich funktioniert. Die Leute beginnen gegen die Tür zu klopfen (schreien aber seltsamerweise nicht, eine Massenpanik sieht anders aus), jetzt erst taucht das jüdische Sonderkommando auf und sammelt Kleidung, Schuhe, etc. auf. Nach der Vergasung betreten Boll als SS-Mann und Mitglieder des Sonderkommandos mit Gasmasken die Kammer (nicht dass man irgendwo ein Ventilationssystem sehen würde) und bringen sie in die Krematorien, wo noch Haare geschnitten werden, Zahngold gezogen wird etc. Wir sehen die Schornsteine und die Asche. Nur: Die richtigen Krematorien sahen (soweit man das noch rekonstruieren kann) anders aus und es wurden auch mehrere Leichen übereinander gestapelt darin verbrannt, nicht nur eine (die zudem sehr auffällig als Puppe zu erkennen ist). Wobei diese Szene in der Tat besser gemacht ist, als die vorher, da diesmal die Musik auf unaufdringliche Weise eine beklemmende Atmosphäre aufbaut und auch die Schnitt-Technik hinkommt. Im Gegensatz zur Zugfahrt, wo merkwürdige sanfte Blenden (mit Ausnahme von einem harten Cut) und kitschige Klaviermusik vorherrschten.

Zu den Schauspielern: Boll taucht selbst als SS-Mann auf und bereitet die Leute gelangweilt und pausenbrotfressend auf die zweite Vergasung vor, wobei er das in der Tat gut rüberbringt, wesentlich besser als der bekannte Trailer es hätte vermuten lassen. Allerdings verlässt der Film hier seine dokumentarische Struktur endgültig. Boll erklärte dazu im Interview, dass er gar nicht als Schauspieler vorgesehen war, erst als die Leute seine Regie-Anweisungen nicht befolgten kam er auf die Idee, selbst in den Ring zu steigen (was die Frage aufwirft, warum man gerade diese Szene für den Trailer verwendet hat). Zu ihm muss man nicht mehr viel sagen.

Nicht so schlecht ist der Dialog von zwei SS-Männern, der eine von beiden, mit Lederjacke und Hakenkreuzbinde war vorher schon öfter zu sehen und soll wohl der Chef sein (einen Namen bekommt er dennoch nicht), der andere hat vorher die Kinder erschossen und trägt Schulterabzeichen ohne erkennbaren Aufdruck. Man unterhält sich über belangloses Blabla, dazu gehört auch Ponyscheiße (!!!). Ich weiß nicht, ob das tatsächlich in den Lagern beredet wurde, trotzdem funktioniert die Szene als solche eigentlich ganz gut; so fallen im Hintergrund Schüsse, die die beiden überhaupt nicht mehr zur Kenntnis nehmen, Juden müssen Gold wiegen und die beiden beginnen, sich einen anzusaufen (was in den Lagern tatsächlich häufig vorkam). Dann redet man übers (geraubte) Geld und dass man das mitnehmen wird, wenn der Russe Rache nehmen wird für den Feldzug (oha, Zweifel am Endsieg waren aber in der Zeit nicht erwünscht und das hört sich auch sehr resignativ an, vielleicht schreiben wir doch schon das Jahr 1944, dann würde aber eigentlich die sogenannte Ungarn-Aktion auf dem Programm stehen und noch weniger zu den Gaskammer-Szenen passen, denn da lief das Lager wirklich an Grenzen seiner Kapazität). Was wirklich gut rüberkommt, ist für sie diese totale Abstumpfung gegen das alltägliche Töten.

Der mit Armbinde (die im Dienst eigentlich nie getragen wurde, aber den Fehler haben wir auch den Indy-Filmen nachgesehen) wurde von Arved Birnbaum dargestellt, der einige TV-Rollen hatte (SOKO KÖLN, ALARM FÜR COBRA 11, EIN FALL FÜR ZWEI, TATORT etc.) Den anderen nennt die Imdb merkwürdigerweise „SS Lieutenant“, was einem SS-Untersturmführer bzw. Unteroffizier entsprechen würde, blöderweise kann dem Abzeichen nach höchstens SS-Rottenführer (also aus der Mannschaft mit lumpigen vier Mann unter sich) sein, da die beiden aber per du sind, scheinen sie denselben Rang zu bekleiden. Er wurde von Avner Aizendorf gemimt, es war seine erste Filmrolle. Die beiden bringen auch ganz passable Leistungen, was man von den Statisten für die Juden eigentlich nicht wirklich behaupten kann, wenigstens das Sonderkommando wirkt entsprechend niedergeschlagen. Dumm nur, dass niemand in dem Film einen Namen bekommt, außer Aizendorf, der wird glaube ich mit Günschel angeredet (was die Imdb nicht bestätigt). Trotzdem soll Birnbaum wohl die Hauptperson sein, diese Show stiehlt ihm natürlich Boll durch seinen Auftritt, ansonsten herrscht Anonymität.

Dumm nur: Wichtige Personen aus der Lagerleitung finden in diesem Film nicht statt. Allen voran der bedeutendste Lagerkommandant Rudolf Höß (nicht zu verwechseln mit Rudolf Heß), der als SS-Obersturmbannführer das Lager bis November 1943 leitete und dann während der Ungarn-Aktion nochmal als „Lagerältester“ hinzugeholt wurde, um den Mord zu überwachen. Gerade seine Person wäre interessant gewesen, da er eben kein bisschen diesem Klischee vom fiesen und heimtückischen Killer entspricht, sondern wie ein ganz normaler Mensch wirkte – was die Taten umso unbegreiflicher macht (wenn man sich mit den Tätern beschäftigt, wird man feststellen, dass die wenigsten diesem Klischee entsprechen. Gut, Amon Göth, Theodor Eicke oder Oswald Pohl mögen vielleicht so ausgesehen haben, aber die meisten hätten eigentlich ganz normal ausgesehen).

Von Höß wissen wir aus seiner Autobiographie, dass er keine sadistischen Neigungen hatte sondern seine „Aufgabe“ (die er niemals in Frage stellte) möglichst gewissenhaft erfüllen wollte. Er war bei den Verbrechen meistens anwesend und überwachte das Treiben oft stundenlang (er war der Meinung, als Lagerkommandant kann er sich nicht drücken und muss auch im Hinblick auf die Moral seiner Leute entsprechende Präsenz zeigen). Von ihm fehlt im Film jede Spur, ebenso wie von einem Josef Mengele, der einer der bekanntesten KZ-Ärzte (aber ganz bestimmt nicht der einzige) war. Seine grauenhaften Experimente gehörten auch zum Lageralltag, man hätte sie also mal erwähnen können. Darüber hinaus hat Mengele an der Rampe ca. 40000 Menschen in die Gaskammer geschickt. Auch die anderen Lagerkommandanten spielen keine Rolle. Dass Boll keine einzelne Person groß in Szene setzen will, von mir aus, aber zumindest Höß hätte man aus o. g. Gründen thematisieren müssen.

Was wir nicht sehen ist z.B. das Leben in den Baracken oder die Zwangsarbeit. In Birkenau hat es zu Zeiten der höchsten Belegstärken an die 140000 Häftlinge gegeben. Wir sehen mal ganz kurz ins „Arbeitslager“ (wobei ich mir nicht sicher bin ob es eine solche Torüberschrift gegeben hat), wo ein paar Juden Zwangsarbeit verrichten, aber das war es auch schon.

Was mir fehlt ist die Auseinandersetzung mit den Holocaustleugnern, die Boll sich auf die Fahne geschrieben hat. Boll meint, hauptsächlich durch die brutalen Bilder könnte man denen beikommen, das sehe ich eigentlich nicht so. Viele historische Laien stehen den Leugnern mit ihren Verdrehungen und Rechentricks hilflos gegenüber, weil sie nicht das historische Rüstzeug haben, um gegen Behauptungen der Leugner vorzugehen. Wenn schon, dann sollte man hier ansetzen und den Leuten genügend Fakten an die Hand geben, damit sie entsprechend Kontra geben können. Boll verlässt sich hier zu stark auf die Wirkung seiner Bilder. Klar kann man in so einem Film nicht auf die Argumentationsweise der Geschichtsfälscher eingehen, aber um ein Beispiel zu nennen – am Ende sieht man nicht, was mit der Asche der verbrannten Juden passiert, diese wurde in den naheliegenden Fluss geworfen oder – die Widerwärtigkeit und der Zynismus der Täter kannten keine Grenze – zum Düngen der Felder verwendet (!!). Ein typischer Trick der Leugner ist es, zu behaupten, es wären niemals Berge von Asche gefunden worden, also kann demnach der Holocaust nicht stattgefunden haben. Hier hätte Boll konsequenter sein müssen.

Der Film bekam übrigens den Vorwurf, sich stilistisch an Naziploitern der 70er und 80er zu orientieren, aber hier muss ich sagen, das kann man nicht stehen lassen, denn exploitativ ist der Film auf keinen Fall. Dass der Vorwurf kommt, war klar, denn erstens hat Boll den Film back-to-back mit BLOODRAYNE: THE THIRD REICH geschossen und zweitens überschreitet er mit der Darstellung einer Vergasung ein Tabu, das bisher im Film gegolten hatte. Zum ersten kann ich sagen, ich habe besagten Streifen nicht gesehen, aber ich denke, dass Boll sehr wohl umschalten kann zwischen den beiden. Und AUSCHWITZ ist nunmal keine Exploitation, sondern bestenfalls ein gescheiterter Versuch, das Leiden auf Zelluloid zu bannen. Auch finde ich nicht, dass Boll respektlos mit den Opfern umgeht (wenn man die schwachen schauspielerischen Leistungen nicht selbst als Respektlosigkeit wertet, was ich nicht tue).

Zum zweiten darf man tatsächlich fragen, ob man so was zeigen darf/muss. Boll meint: ja, denn nur so kann man auch Holocaustleugnern den Boden unter den Füßen wegziehen. Diese Meinung kann ich so nicht teilen, denn damit sagt er ja eigentlich, andere Filme über das Thema hätten ihre Wirkung verfehlt, alleine schon aus dem Grund, weil sie die Morde nicht zeigen. Boll will sich auch nicht der Welt der politisch „Korrekten“ ergeben, die meinen, dieses oder jenes könne man nicht auf Zelluloid bannen (dem kann ich prinzipiell zustimmen). Nur ob man es im Umkehrschluss zeigen muss, wie Boll meint, ist die andere Frage. Insgesamt zeigt auch Boll nicht jedes brutale Detail, so hatte ich nicht den Eindruck, er würde zu weit gehen. Stanley Kubrick sagte glaube ich mal, ein realistischer Auschwitz-Film wäre unansehbar, und unansehbar ist AUSCHWITZ nun keineswegs (realistisch auch nicht unbedingt *hust*). Insgesamt ist der Film auch nicht so hart, für wie hart Boll ihn hält, da ist MEN BEHIND THE SUN ein ganz anderes Kaliber, der den Gewaltfaktor in solche Höhen schraubt, dass sich mehr die „Ich muss das Allerhärteste gesehen haben“-Fraktion angesprochen fühlt. Davon ist Boll meilenweit entfernt, trotzdem erstaunlich, dass die FSK den Film ab 12 freigegeben hat. Bei ersten Ankündigungen der DVD und Blu-Ray pappte noch das rote Siegel auf der Hülle. Boll liebäugelte also mit der Kontroversitäts-Keule. Die FSK ist bei Historienfilmen kulanter und legt viel Wert darauf, in welchem Zusammenhang brutale Szenen stehen. Auch der Untergang war gewalttechnisch nicht ohne, bekam trotzdem FSK 12.

Zur Blu-Ray: Das Bonusmaterial ist ziemlich gut. Man bekommt eine wirklich sehenswerte Dokumentation zum Thema geliefert, die für sich schon ihr Geld wert ist (und in der auch einiges zur Sprache kommt, was man im Film nicht erfährt), daneben noch aufschlussreiche Interviews mit dem Regisseur.
Die Scheibe aus dem Hause Savoy Film selbst denke ich ist technisch auf der Höhe der Zeit, ich muss aber einräumen, kein Experte auf dem Gebiet zu sein. Ich finde Bild und Ton gelungen, nur am Anfang des Films fällt auf, dass manche Dialoge zu leise sind, das liegt aber, denke ich, eher am Film selbst. Ansonsten gibt’s nichts zu bemängeln.

Fazit: „Auschwitz“ macht es einem nicht leicht. Klar hat er von allen Seiten wieder vernichtende Kritiken bekommen, das liegt aber sicher mitunter daran, dass Boll es mit seinen Kritikern nie leicht hatte und Boll-Bashen bei vielen Leuten zum guten Ton gehört. Insofern möchte ich Boll irgendwo auch wieder in Schutz nehmen, bei aller berechtigten Kritik, sein Anliegen ist ehrbar und der Exploitation-Vorwurf ist einfach falsch. Dennoch muss man dem Film ankreiden, dass er viele historische Fakten falsch darstellt, Geschehnisse ausblendet und Boll muss sich deutliche Lücken in einigen Bereichen vorwerfen lassen. Das ist umso schlimmer, als Boll ja mit dem Anspruch auftritt, einen wichtigen, gehaltvollen Film zu dem Thema abzuliefern, den man in Schulklassen zeigen kann. Auch filmisch kann er nicht wirklich überzeugen. Und die Kinder-Kopfschüsse hätten in diesem Film nicht unbedingt sein müssen. Rein von der historischen Genauigkeit her wäre er so bei 2/10, für die schauspielerischen Leistungen der SS-Leute und wegen Bolls Anliegen komme ich noch zu einer wohlmeinenden 3 von 10. Bolls Film ist zwar nicht ganz der Super-Gau, den man befürchtet hat, aber gesehen haben muss diesen Film keiner. Doch formulieren wir es halbwegs positiv: der Film ist sicher keine gute Auseinandersetzung mit dem Thema, aber es ist immerhin eine Auseinandersetzung. Möge sich Boll dieses Schlusswort zu Herzen nehmen.


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