Amuck!

 
  • Original-Titel: Alla ricerca del piacere
  • Alternative Titel: Hot Bed of Sex | In Search of Pleasure | Leather and Whips |
  • Regie: Silvio Amadio
  • Land: Italien
  • Jahr: 1972
  • Darsteller:

    Farley Granger (Richard Stuart), Barbara Bouchet (Greta Franklin), Rosalba Neri (Eleanora Stuart), Petar Martinovitch (Rocco), Dino Mele (Sandro), Umberto Raho (Giovanni), Nino Segurini (Commissario Antonelli), Patrizia Viotti (Sally)


Vorwort

Die junge Blondine Greta tritt ihren Job als neue Sekretärin des Bestsellerautors Richard Stuart an. Der lebt mit seiner Ehefrau Eleonara abgeschieden in einer Villa auf einer Insel nahe Venedigs. Die Atmosphäre im Hause Stuart ist recht seltsam – das Dienstpersonal z.B. muss über nacht die Insel verlassen -, aber Stuart selbst scheint nett genug zu sein. Doch schon bald überhört Greta zufällig ein Gespräch ihres Brötchengebers mit dem Polizeikommissar Antonelli. Es geht um das spurlose Verschwinden von Gretas Vorgängerin Sally. Stuart kann dazu nichts erhellendes beitragen, doch Greta nimmt mit dem Kommissar Kontakt auf. Sie ist nämlich keineswegs zufällig hier, sondern gerade, um zu klären, was mit ihrer Freundin und Kollegin passiert ist. Solange es allerdings keine Hinweise gibt, kann Antonelli nichts machen…

Greta wird indes in die merkwürdigen Spielchen der Stuarts hineingezogen – im Rahmen informeller Orgien lädt Richard zum gemeinsamen Pornokucken ein, und Eleonora hat angeblich übersinnliche Visionen über Gretas nahes Ableben. Und zudem ist der neue Roman, den Stuart Greta diktiert, recht unverblümt ihre eigene und Sallys Geschichte – und Sally ruht demnach am Grunde der Lagune. Nichtsdestotrotz kommen Richard und Greta sich näher. Richard erklärt Sallys Tod als eine Art Unfall. Sie sei eher versehentlich von Rocco, einem milde retardierten, dafür körperlich um so attraktiveren Fischer, während einer spontanen Party in Richards Abwesenheit zu Tode gekommen. Das heißt aber noch lange nicht, dass Greta nicht in Lebensgefahr ist. Bei einer kleinen Entenjagd unter Freunden macht Eleonara sie als Beute aus und auf der Flucht stolpert Greta auch noch in Treibsand…


Inhalt

Wenn man sich mit altgedienten Filmsammlern unterhält, die ihr Hobby nicht erst seit gestern bestreiten, hört man immer wieder, dass früher doch alles irgendwie, naja, nicht besser, aber spannender gewesen sei – damals, in den Zeiten, als man noch zweihundert Kilometer zu Fuß bei 30 Grad minus durch zwei Meter hohen Schnee zu einer obskuren Videothek gerobbt ist, nur weil man über seine konspirativen Kontakte erfahren hatte, dass die ein noch obskureres holländisches VHS-Tape eines Paul-Naschy-Werwolfhobels rumliegen hat. Und, ja, es ist natürlich was dran, dass es für Jäger und Sammler schwer geworden ist, mit ihren Schatzis beim virtuellen Schwanzvergleich zu punkten, wenn mittlerweile jeder indonesische Trashfilm von 1978 schlimmstenfalls zwei Mausklicks weit entfernt ist.

Wer aber die Filmsammelei nicht betreibt, um Statussymbole zu pflegen, sondern weil ihn die Filme interessieren, der preist das Internet freilich als Segen – und als Möglichkeit, Filme zu entdecken, von denen man unter normalen Umständen nicht mal geahnt hätte, dass sie existieren. Als ich neulich nach einer ungeschnittenen DVD des alten Thai-Actionkloppers „Mission Firegame“ fahndete, landete ich auf der Website eines amerikanischen Bootlegshops (an dieser Stelle, um den Punkt gleich aufzugreifen – ja, wenn keine offizielle Veröffentlichung existiert oder in Aussicht steht, halte ich es für legitim, Bootlegs zu kaufen) und, was soll ich Euch sagen, ich hätte mit Freuden das komplette Programm des Ladens aufgekauft (wo sonst findet man tatsächlich die vollständige TV-Miniserien-Version von „Einer gegen das Imperium“?). 90 Prozent des Angebots waren mir völlig unbekannt, so dass ich zu meiner bewährten Selektionsmethode griff – reißerischer Titel, reißerisches Cover, reißerische Tagline, also so ziemlich genau das, wovor ich meine Leser immer warne, weil man mit tödlicher Präzision vom erstandenen Produkt enttäuscht sein wird. Aber ich predige ja immer wieder: don’t do what I do, do what I say…

Jedenfalls landete so auch “Amuck!” bei mir, ein im deutschen Sprachraum nie gelaufener Giallo aus der Werkstatt von Silvio Amadio, der sich seinen überschaubaren filmemacherischen Ruhm hauptsächlich durch einige der in den 70ern hochgradig populären Italo-Sexklamotten Marke „Flotte Teens“ erabeitete, aber wie die meisten italienischen B-Lister durch alle kassenträchtigen Genres vom Sandalenfilm über Spaghettiwestern bis Poliziotteschi wilderte und dann zwangsläufig eben auch im Mord- und Totschlag-Genre des Giallo landete. Der englische Verleihtitel, das Artwork und die Sprüche der Verleihwerbung versprechen Abgründe der „sexual frenzy“, aber wie so oft kann der Film selbst die vollmundigen Versprechungen der Werbung nicht einhalten.

„Alla ricerca del piacere“, wie der Film sich in seiner Muttersprache nennt (und was so viel wie „Auf der Suche nach der Lust“ bedeutet, also schon etwas zurückhaltender formuliert als das hysterische „Amuck!“ – nur echt mit dem Ausrufezeichen – der US-Fassung), ist im Grunde seines Herzens noch nicht mal ein richtiger Giallo, denn wer wie im typischen Argento-Vertreter des Genres einen geheimnisvollen Killer, der sich couragiert durch einen umfangreichen weiblichen Cast schnetzelt, erwartet, bleibt hier auf dem Trockenen. Wir haben’s vielmehr mit einer Art Psychodrama mit beigefügtem (und recht schnell aufgelösten) murder mystery zu tun, das nicht einmal andeutet, auf einer whodunit-Ebene funktionieren zu wollen.

Viel wichtiger nämlich als die Aufklärung des mysteriösen Verschwindens Sallys ist dem Film das „Abgleiten“ Gretas unter den unheilvollen, unmoralischen Einfluss des dekadent-hedonistischen Pärchens Richard und Eleonora – wobei dieser angeblich so verdammenswerte Lebensstil nicht nur aus heutiger Sicht ziemlich harmlos ausfällt. Was tun Dick und Elli schon wirklich „Böses“? Sie praktizieren „freie Liebe“ (im weitesten Sinne, Richard hält sich aus den Ferkeleien weitgehend raus) und führen ihren Partygästen Amateurpornofilme vor. Meine Güte, das ist schon Evil Inc., da kannste jede Ilsa wegschmeißen. Eleonora ist immerin „verrucht“ genug, um offen bisexuell zu sein und – im frühen, eh, Höhepunkt des Films, einer in, öh, anregender slow-motion gefilmten Liebesszene) Greta zu verführen.

Aber es muss ja nicht immer Schock und Sleaze sein – nur hat „Amuck!“ abseits seiner behaupteten Exploitation-Werte recht wenig auf der Pfanne. Die ganze Chose ist, sagen wir mal, wacklig konstruiert, und das in allen Aspekten. Weder ist es psychologisch auch nur ansatzweise nachvollziehbar, warum Greta – obwohl Eleonara recht offen versucht, sie während der Entenjagd umzubringen – Vertrauen zu Richard fasst (der dafür auch nicht wirklich viel Anlass bietet, geradem it seinen kryptischen Andeutungen bezüglich Sallys Abgang), noch gibt’s eine vernünftige Motivation dafür, warum Eleonara und Richard Sallys Tod (eh, SPOILER?) zum Anlass nehmen, sich den perfekten Mord hinzukonstruieren (jetzt aber wirklich eine SPOILER-Warnung): Sallys Tod war, runtergebrochen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, ein Unfall – nichts hätte das dekadente Ehepaar daran gehindert, der Polizei reinen Wein einzuschenken, Konsequenzen hätten sie nicht zu befürchten gehabt. Man kann darüber streiten, ob das Paar den fatalen Ausgang der spontanen Party, in deren Verlauf Sally zu Tode kam, willentlich in Kauf genommen oder absichtlich so hinmanipuliert hat (im Vertrauen darauf, dass der tumbe Rocco, der quasi „ausführendes Organ“ war, angesichts einer heißen Biene so reagiert, wie er es dann auch tat), aber etwas strafrechtlich Verurteilbares scheint mir da nur schwierig hinzukonstruieren sein. Und da das ganze Storykonstrukt auf der Prämisse fußt, dass Eleanora und Richard ganz schlimme Finger sind, jede Spur des „Mordes“ verwischen und auch Greta als potentielle Zeugin beseitigen wollen, aber nie wirklich einen *Grund* dafür findet, leidet der Streifen unter totaler Unglaubwürdigkeit.

Andererseits sind die wenigsten Gialli dafür bekannt, von Figuren zu handeln, die sich wir normale Menschen benehmen und generell davon befreit, irgendeiner auch nur internen Logik zu folgen (was es mir nach wie vor ziemlich schwer macht, dieses Genre in mein Herz zu schließen. Ich hänge nämlich der alten sprichwörtlichen Überzeugung nach, dass ein Film herzlich gerne eine doofe Prämisse haben kann, aber eben auf der logisch aufbauen muss). Versuchen wir also Inhalte zu verdrängen und uns auf die, hüstel, künstlerischen Aspekte zu konzentrieren. Amadio ist halt allerdings kein Argento, nicht mal ein Martino oder Lenzi. Wiewohl ich einschränkend zugeben muss, dass mir nicht die Widescreen-Fassung vorliegt, sondern ein 4:3-Transfer, lässt sich auch von diesem ablesen, dass „Amuck!“ nicht die visuelle Klasse hat, um über seine inhaltlichen Schwächen hinwegzutäuschen. Aldo Giordano, auch hinter der Kamera bei einigen Spencer/Hill-Krachern („Vier Fäuste für ein Halleluja“, „Die rechte und die linke Hand des Teufels“), ansonsten aber eher in der Holzklasse des Italofilms unterwegs, filmt die Nummer geschäftsmäßig, ohne Inspiration (in der Tat ist das Einschalten der Zeitlupe für die „erotischen“ Szenen so ziemlich das einzige, was dem Film *überhaupt* einfällt). Ein paar halbwegs nette Bilder von Venedig abseits der üblichen Touristenecken verbuchen wir noch auf der Haben-Seite, andererseits halten die auch ziemlich den Betrieb auf – und „Amuck!“ ist von Haus aus kein Sprinter, nicht mal ein Mittelstreckenläufer (bestenfalls ein fußkranker Geher). Alles plätschert in gemächlichem Tempo vor sich hin, selbst die vermeintlichen Highlights entfalten nicht wirklich Druck oder Spannung.

Teo Usuelli steuert einen recht lässigen , aber im Vergleich zu Bruno Nicolai und Konsorten auch wenig memorablen Score bei (der, weil „The Big Lebowski“ einen Clip aus „Amuck!“ verwendet, aber immerhin auch zu großen Hollywood-Ehren kam).

Dank mehrerer attraktiver Damen im Cast, die auch bereit sind, ihre Textilien abzulegen, gibt’s immerhin ein bissl was zu kucken – die lesbische Szene mit Rosalba Neri und Barbara Bouchet, die, wie gesagt, überraschend früh kommt, ist aber das unübertroffene High des Films.

Womit wir dann schon nahtlos beim Cast wären. Barbara Bouchet („Milano Kaliber 9“, „Das Auge des Bösen“, „Casino Royale (1967)“ ist zwar ein steiler Zahn, aber schauspielerisch keine große Leuchte und wirkt über die komplette Laufzeit ein wenig… abwesend. Rosalba Neri (Das Schloss der blauen Vögel, Der heisse Tod, „Lady Frankenstein“, „Marquis de Sade: Justine“) ist schon deutlich lebhafter, aber so wirklich viel verlangt ihr die Rolle auch nicht ab. Farley Granger, der immerhin in „Cocktail für eine Leiche“ und „Der Fremde im Zug“ tragende Rollen für Hitchcock spielte, und in Italien landete, nachdem er die 60er im US-TV verbracht hatte, schloss Giallo-technisch noch „Der Tod trägt schwarzes Leder“ und „Schön, nackt und liebestoll“ an. Man merkt Granger aber schon an, dass er an Produktionen diesese Kalibers nicht sein Herzblut verschenkt – es ist recht steif und hölzern (was auch an der Sprachbarriere liegen mag). Charismatisch ist jedenfalls was anderes. Petar Martinovich (Rocco, hart an der Grenze des politisch Korrekten…) war auch in „Lady Frankenstein“ mit von der Partie, Nino Segurini kann der Genrefan auch in „Vom Satan gezeugt“ entdecken.

Bildqualität: Von einem Bootleg darf man keine Wunderdinge erwarten – das Master ist ein immerhin ungeschnittenes VHS-Band, und dementsprechend ist die Angelegenheit recht unscharf und kontrastarm, aber brauchbar genug, um sich ein Bild vom Film zu machen. Wie erwähnt, habe ich die 4:3-Vollbildfassung vorliegen, Anbieter Cult Action hat aber auch eine Widescreen-Fassung (ital. OV mit engl. Untertiteln) im Angebot.

Tonqualität: Englischer Mono-Ton, dumpf und undynamisch.

Extras: Ein Schwung Horror-Trash-Trailer, inkl. „Lady Frankenstein“.

Fazit: „Amuck!“ wird heute niemanden mehr vom Hocker hauen – allenfalls erzkonservative Fundamentalisten dürften vom hier Gezeigten „geschockt“ werden. Von „sexual frenzy“ kann keine Rede sein – das ist vergleichsweise harmloser Blümchensex (von wegen „Leather and Whips“, wie ein Alternativtitel kreischt), selbst in den „heikleren“ Passagen.. Die Story selbst ist unglaubwürdig und in sich unstimmig, und visuell reißt der Streifen auch keine Bäume aus. Abseits der Neri/Bouchet-Liebesszene fallen mir wenig Argumente pro „Amuck!“ ein. Giallo-Allesseher mögen sich den Film auf ihre To-Do-Liste setzen, aber wer nur gelegentlich ins Genre schmeckt, ist mit den bekannten Klassikern deutlich besser bedient.

2/5
(c) 2014 Dr. Acula


mm
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