- Deutscher Titel: American Splendor
- Original-Titel: American Splendor
- Regie: Shari Springer Berman, Robert Pulcini
- Land: USA
- Jahr: 2003
- Darsteller:
Paul Giamatti (Harvey Pekar), Hope Davis (Joyce Brabner), James Urbaniak (Robert Crumb), Judah Friedlander (Toby Randloff), Harvey Pekar (als er selbst), Joyce Brabner (als sie selbst)
Vorwort
Harvey Pekar ist ein notorischer Loser – gerade seiner zweiten Frau scheidungstechnisch verlustig gegangen, schiebt der Platten- und Comic-Sammler in seinem langweiligen Aktenschubserjob in einem Krankenhaus mächtig Frust. Bis ihm eines Tages die Große Idee (TM) kommt – warum nicht aus seinem deprimierenden Alltagsleben einen Comic machen? Harveys Freund, der berüchtigte Underground-Comic-Zeichner Robert Crumb („Fritz the Cat“) hält das für einen großartigen Einfall und erklärt sich bereit, Harveys Strichmännchen-Zeichnungen in Comic-Kunst zu übertragen. „American Splendor“, so sarkastisch wird das Heft betitelt, entwickelt sich umgehend zum Kult-Hit, aber an Harveys Leben ändert sich nicht viel. Immer noch ist er allein und gefrustet, bis es ihm eines Tages gelingt, einen weiblichen Fan namens Joyce zu einem Besuch zu überreden. Die durchgeknallte Joyce und der manisch-depressive Harvey beschließen noch am ersten Abend die Eheschließung. Sieht so aus, als könnte es aufwärts gehen mit Harvey, der zum Stammgast in der David-Letterman-Show und damit zum household-Begriff in den USA wird. Doch auch das verkauft keine Comics, die Ehe mit Joyce kriselt vor sich hin, und dann wird bei Harvey auch noch Krebs diagnostiziert…
Inhalt
Comic-Verfilmung einmal anders. „American Splendor“, die zynisch-sarkatischen Alltagsbeobachtungen von Harvey Pekar, die seit Mitte der 70er Jahre etwa jährlich erscheinen, sind keine gewöhnliche Comic-Kost – schließlich dokumentiert Pekar im Comic sein eigenes Leben, so dass eine filmische Adaption eigentlich nur zum Biopic werden kann (womit Pekar dann auch zu seinem Freund Robert Crumb aufschließt, der schon 1994 seine Lebensgeschichte verfilmt bekam). Die nicht einfache Aufgabe, einen Film über ein Comic über ein wahres Leben zu drehen, nahm sich das Regie-Ehepaar Robert Pulcini und Shari Springer Berman, die zuvor einige preisgekrönte Dokumentationen gedreht hatten, für ihr Spielfilmdebüt vor.
Die Herkunft der beiden Regisseure aus dem Doku-Genre merkt man „American Splendor“, man ist versucht zu sagen „gottseidank“ an – denn das Regie-Team erkannte die Anforderungen des Stoffs und beschloss, die Herausforderungen icht nur anzugehen, sondern sogar noch die ein oder andere Metaebene hinzuzufügen. So wird die eigentliche Spielhandlung des Films immer wieder für kurze, dokumentarische Sequenzen mit dem echten Harvey Pekar (der auch die voice-over-Erzählung besorgt) – und einigen anderen realen Vorbildern von Filmcharakteren – unterbrochen, der die den Film kommentiert oder auf Interviewfragen der Regisseure Antwort gibt. Da wir darüber hinaus noch eine Eröffnungssequenz in Pekars Kindheit sowie Original-Aufnahmen seiner Letterman-Auftritte haben, ergibt das mit dem „Film“-Pekar satte vier Inkarnationen der gleichen Figur, und wenn der Film-Pekar nach Los Angeles reist, um sich dort ein Theaterstück ansieht, das auf den Comics basiert, und damit der Film-Pekar einem Bühnen-Pekar zusieht, kann das, wenn man darüber nachdenkt, vor lauter Metaebenen schon die ein oder andere Gehirnwindung zum Platzen bringen (und da sind die verschiedenen animierten und gezeichneten Pekar-Inkarnationen, die immer wieder eingestreut werden, noch gar nicht mitgerechnet).
Zum Glück widerstehen die Regisseure zumindest der Versuchung, die Geschichte auch noch non-linear zu erzählen – zwar beginnt der Film 1950, springt dann nach 1975, um ins Jahr 1962 zurückzukehren (um die Freundschaft Pekar-Crumb zu definieren), doch nach der neuerlichen Rückkehr ins Jahr 1975 bleibt der Film dann in chronologischer Reihenfolge. Durch die Unterbrechung der laufenden Handlung durch die Interview-/Doku-Sequenzen mit dem echten Pekar ist der Film sowieso schon – im positiven Sinne – episodenhaft genug, noch mehr Zeitsprünge wären da des Guten zuviel gewesen.
Der Film verleugnet auch die Herkunft seines Quellmaterials aus der Comic-Welt in keiner Sekunde – schon die Vorspann-Sequenz, in der die Credit-Angaben Panel für Panel wie in einem Comic abgearbeitet werden, macht dies deutlich. Auch im weiteren Filmverlauf gibt’s immer wieder kurze animierte Sequenzen oder einzelne Comic-Panele, die eingeblendet werden, einzelne Shots sind sogar wie Comic-Panele geframed und in einer brillanten Sequenz gegen Ende werden, filmisch betrachtet (im Kontext der Story macht das an der Stelle durchaus Sinn) die Grenzen zwischen der „dreidimensionalen“ Realität und der gezeichneten Welt verwischt (auf ausgezeichneten technischem Niveau, übrigens). Das reicht den Filmemachern dann aber auch durchaus an visuellen Mätzchen (klar, das sind schließlich bewährte Doku-Filmer und keine Kunstfilmer), wobei die Übergänge zwischen Realaufnahmen und den vereinzelten gezeichneten Sequenzen perfekt gelöst wurden.
Ihr habt’s bereits gemerkt, ich hab meine übliche Review-Struktur etwas verändert und zunächst die technisch-handwerklichen Aspekte abgehandelt. Die Story selbst kann man kaum kritisch betrachten, schließlich ist das Ding eine real-life-Geschichte; auch wenn sich die Filmemacher (auch als Autoren tätig) natürlich einige künstlerische Freiheiten erlauben, bleibt der Film – soweit ich das beurteilen kann – sehr nah an der wahren Geschichte. Es ist keine besonders spektakuläre Geschichte, das ist klar, und es fehlt ihr streng genommen sogar an einer wirklichen Identifikationsfigur, denn Harvey Pekar, so wie er vom Film gezeichnet wird (und da der echte Harvey ersichtlich keine Probleme mit seiner hiesigen Zeichnung hat, wird das wohl auch so hinkommen), kann man nur mit viel Müh und Not als Sympathieträger bezeichnen. Er hat einen, vorsichtig ausgedrückt, schwierigen Charakter, neigt zu Jähzornsausbrüchen, hat ein rein grundsätzliches Problem mit Ordnung und Sauberkeit (hm, verdammt, ich kann mich mit dem Kerl stärker identifizieren als es mir lieb ist), macht aus seinem Leben, trotz seines Erfolgs mit der Comic-Reihe, irgendwie zu wenig und ist auch nur unzureichend beziehungsgeeignet – kurz gesagt, manche Menschen würden ihn einen ordentlichen Kotzbrocken nennen. Dass einem der Typ trotzdem im Verlauf der nicht gerade turbulenten, aber zumindest kurzweiligen 97 Minuten irgendwie ans Herz wächst, ist auch ein Verdienst des Schauspielers (dazu mehr am passenden Ort). Auch die weiteren wichtigen Figuren werden mit all ihren Schwächen (und allen ist zu eigen, dass sie mehr Schwächen als Stärken zu haben scheinen) gezeichnet (Harveys mindestens ebenso schwierige Frau Joyce, sein seltsam sprechender Arbeitskollege Toby [der es in der Tat allein durch die Bekanntschaft mit Harvey zu Ruhm in MTV-Einspielern kam und hier auch in „wahrer“ Person auftritt], der stolz darauf ist, ein „genuine nerd“ zu sein).
An dieser Stelle muss ein – auch von Publisherseite gestütztes – Missverständnis aufgeklärt werden. „American Splendor“ wird mit Coversprüchen wie „der witzigste Film des Jahres“ als Komödie beworben. Es ist keine Komödie. Harvey Pekars Leben ist nicht lustig, sondern im Gegenteil eher traurig, und ein Film, der authentisch seine Geschichte erzählt, kann, so er sein Objekt nicht nur verarschen will, und das will „American Splendor“ nicht, eben auch nicht lustig sein. Gewiss, der Streifen hat lustige Momente und einige Szenen, über die man schallend lachen kann (z.B. wenn Harvey Pekar über das Supermarkt-Kassen-Syndrom stolpert, das sicherlich jedem, der zum Einkaufen nicht nur die Mama beschäftigt, ein Begriff ist), aber der Grundtenor ist ein ernsthafter. Aber dieser Ton ist genau der richtige, Pekars Comic ist schließlich kein „funny“.
Für Paul Giamatti, der sich bis hierhin in etlichen großen Filmen als Nebendarsteller durchgeschlagen hatte (u.a. „Planet der Affen“, „Verhandlungssache“, „Big Mamas Haus“) stellt die Rolle des Harvey Pekar seine erste Hauptrolle dar (direkt danach ergatterte er die Hauptrolle im wie „Splendor“ vielfach ausgezeichneten „Sideways“). Auch wenn Pekar, der echte, zurecht anmerkt, dass sich die physische Ähnlichkeit Giamattis mit ihm in Grenzen hält, schauspielerisch liefert Giamatti eine echte Glanzleistung ab, sowohl in den dramatischen als auch den heitereren Momenten. Hope Davis („About Schmidt“, „Arlington Road“) als Joyce Brabner vermag ebenfalls voll zu überzeugen. In Nebenrollen finden wir James Urbaniak („Teknolust“, „Confessions of a Dangerous Mind“) als Robert Crumb und – dead-on, der Vergleich ist möglich, weil der echte Toby Radloff ja auch mitspielt – Judah Friedlander („Showtime“, „Starsky & Hutch“).
Bildqualität: Sunfilm, bekanntlich mittlerweile ziemlich verlässlicher Lieferant guter Qualität, legt den Streifen in bildschönem anamorphen 1.85:1-Widescreen vor. Der Transfer besticht durch sehr gute Schärfewerte, sehr schöne Farben (die Farbgebung des Films unterliegt durchaus künstlerischen Motiven), guten Kontrast und eine unauffällig werkelnde Kompression. Verschmutzungen, Bilddefekte oder Masteringfehler sind nicht zu verzeichnen. Bestens (und selbst mein mit Sunfilm-Scheiben normalerweise etwas auf dem Kriegsfuß stehender Player entschied sich dazu, den Film klaglos und ohne auch nur das leisteste Layerwechsel-Ruckeln abzuspielen. Geht doch…)
Tonqualität: Drei Tonspuren stehen zur Auswahl – die (leider etwas sterile) deutsche Synchro ist wahlweise Dolby 5.1 oder dts zu geniessen, der englischsprachige O-Ton in Dolby 5.1. Schon allein aufgrund der Lebendigkeit ist die O-Ton-Version deutlich vorzuziehen – natürlich handelt es sich nicht um ein Surround-Festival, es ist ein Film der leisen, aber perfekt abgemischten Töne. Die Sprachqualität ist hervorragend, der Mix ausgezeichnet differenziert. Deutsche Untertitel werden mitgeliefert.
Extras: Neben dem (von mir noch nicht angetesteten) Audiokommentar ist die Ausstattung doch vergleichsweise mager. Unter „Behind the scenes“ verbergen sich zur Abwechslung mal keine unkommentierten Drehaufnahmen, sondern kurze (sehr kurze) Interviewsequenzen mit Co-Regisseurin Berman, Pekar, Joyce Brabner sowie Effekt- und Titeldesignern (insgesamt knapp fünf Minuten). Etwas über drei Minuten dauert die Featurette „The Road to Splendor“, vom Cover großspurig als „making of“ angepriesen, in Wahrheit ein kurzes und recht amüsantes Filmchen über die Premiere des Films beim Festival von Cannes, zu der auch Pekar und Brabner anreisten. Produktionsnotizen der Regisseure auf vielleicht fünf Texttafeln sowie Text-Biografien für selbige und Pekar runden, neben dem Originaltrailer und drei weiteren Trailern aus dem Sunfilm-Programm, die Scheibe ab. Allerdings sollte derjenige, der die deutschen Untertitel für die Extras angefertigt hat, doch ein anderes berufliches Gebiet wählen – das liegt schon heftig neben der Spur („Spring Break Party“ = „Frühlingspausenparodie“??? Waggawagga… Die Subs für den eigentlichen Film sind aber brauchbar).
Nicht vergessen sollte man aber die *extrem* liebevolle Aufmachung der DVD, die in einem Digipak mit transparentem, aber bedruckten Plastikschuber kommt. Schuber und Digipak ergeben zusammen ein sehr schönes Cover, das dazu noch die Metaebene Comic/Realfilm perfekt transportiert. Da könnte man wirklich zum Verpackungsfetischisten werden. Reizend gemacht. Weitere Zugabe ist ein 24-seitiges Comic-Booklet, von deutschen Zeichnern gestaltet, dass nochmals einige Punkte aus Pekars Biographie nacherzählt. Die Zeichner bemühen sich, den typischen Robert-Crumb-Stil nachzuvollziehen, aber es wirkt halt leider nur wie eine billige Kopie dese Meisters. Trotzdem – der gute Wille zählt.
Fazit: Abgesehen von der etwas irreführenden Bewerbung als witzige Komödie fällt mir nicht wirklich etwas ein, was ich an „American Splendor“ zu bekritteln hätte (gut, vielleicht nehme ich den Film selbst etwas ZU ernst, weil mir doch einige Parallelen zu meinem eigenen traurigen Dasein auffallen, nur, dass ich anstelle Comics zu zeichnen, halt doofe Filmreviews schreibe. Jeder das, was er zu können glaubt…) Die tragikomischen (naja, ein wenig komisch sind sie halt dann doch, gell) tristen Alltagsabenteuer des Harvey Pekar funktionieren jedenfalls auch als Film, dank der kongenialen Regiearbeit von Berman und Pulcini, die genau mit dem richtigen Ansatz an das Projekt herangegangen sind – kein bloßes Abfilmen der Comics, sondern eine vielschichtige, aufgrund seiner diversen Metaebenen (mein Gott, ich werfe wieder mit Worten um mich) fast schon philosophische Herangehensweise mit sowohl künstlerischem als auch dokumentarischen Anspruch und dennoch, nicht zuletzt aufgrund der ausgezeichneten darstellerischen Leistung von Paul Giamatti, auch noch unterhaltsam. Ein wirklich völlig * anderer * Film, von Sunfilm in einer insgesamt als sehr gelungen zu bezeichnenden DVD-Veröffentlichung auf den Markt gebracht.
5/5
(c) 2006 Dr. Acula