- Deutscher Titel: Allein
- Regie: Thomas Durchschlag
- Land: Deutschland
- Jahr: 2004
- Darsteller:
Lavinia Wilson (Maria), Maximilian Brückner (Jan), Richy Müller (Wolfgang), Victoria Mayer (Sarah)
Vorwort
Die Studentin Maria lebt ihr Leben in vollen Zügen – Parties, Alkohol, Tabletten, Sex, alles ungezügelt und ohne Limit. Ist sie einmal nicht in „action“, schlägt ihre Stimmung radikal um – sie * kann * nicht alleine sein, dann wird sie depressiv, verstümmelt sich selbst, spielt mit Selbstmordgedanken. „Borderline-Syndrom“ nennen das die Seelenklempner. Ihre beste Freundin Sarah versucht nach bestem Wissen und Gewissen, Maria zur Seite zu stehen, doch ihre Ratschläge verhallen zumeist ungehört. So pflegt Maria auch weiterhin ihre ungesunde Beziehung mit dem älteren Wolfgang, eine Sache, die nur auf Sex und materiellen Gefälligkeiten beruht. Bis eines Tages Jan, ein angehender Tierarzt, auftaucht. Ohne von Marias vielfältigen Problemen zu ahnen, sucht der eher zurückhaltende Jan Kontakt zu ihr. Anfänglich betrachtet Maria ihn nur als eine weitere belanglose Affäre, doch als ihr klar wird, dass Jan andere Interessen hat als nur ’ne schnelle Nummer zwischen Tür und Angel, beginnt sie nachzudenken. In der Tat übt der „normale“ Jan einen mäßigenden Einfluss auf ihr Seelenleben aus, doch als er aus Studiengründen für einige Tage verreist, bricht ihre selbstdestruktive Ader wieder voll aus – sie lässt sich wieder von Wolfgang, den sie schon in die Wüste geschickt hatte, flachlegen und erleidet einen Zusammenbruch. Kann Jans Rückkehr das schlimmste verhindern?
Inhalt
„Allein“ ist zugegeben ein Film, den ich mir vermutlich nicht angesehen hätte, wäre er nicht in Form eines Rezi-Exemplars frei Haus bei mir angeliefert worden. Dramen über psychische Krankheiten, egal, was für Showcases für darstellerische Fähigkeiten sie auch immer sein mögen, sind nicht gerade mein bevorzugtes Metier, und wenn der Kram dann auch noch aus Deutschland kommt und beim „Max-Ophüls- Festival“ mit diversen Auszeichnungen bedacht worden, kann man schnell bei dem (meist nicht mal unberechtigten) Vorurteil landen, dass solche Filme primär für das Publikum solcher Festivals gedreht werden, zur Freude von pseudointellektuellen Filmkritikern, die sich in den Feuilletons der Sonntagszeitungen dann seitenweise über den künstlerischen Anspruch dieser Werke auslassen können, und dabei fröhlich zu ignorieren, dass Filme im Optimalfall auch ein etwas breiteres Auditorium ansprechen könnten.
Der Debütlangfilm von Thomas Durchschlag, zuvor nur mit einigen Kurzfilmen in Erscheinung getreten, lässt mich diese Ansicht nicht gerade im Sturm revidieren. Ohne Menschen, die unter dem „Borderline“-Syndrom leiden, oder ihren Freunden und Angehörigen nahe treten zu wollen, diese psychische Störung ist eine, die es einem unbelasteten Zuschauer eher schwer macht, sich mit dem Protagonisten, dem Kranken, zu identifizieren, weil, ich bin mal wieder ehrlich und oute mich als Unsympath oder sonstiger Mistkerl, zumindest ich bei Ansicht von „Allein“ häufiger mal das Bedürfnis hatte, Hauptfigur Maria mal ein paar kräftige Ohrfeigen zu verpassen und „was bist du für ’ne blöde Kuh“ in die Horchlöffel zu blasen. Na logisch, das ist unfair – Maria ist ein Opfer ihrer Krankheit, aber das ändert nichts daran, dass ich jedenfalls oft einen neuen Ausbruch, eine neue Stimmungsschwankung nur mit heftigem Augenrollen quittierte.
Aber seien wir fair – das ist, vermute ich mal, genau der gewünschte Effekt, denn so oder ähnlich dürfte es den meisten „Unbelasteten“ sein, die es mit einem Borderliner zu tun bekommen. Das Fiese an dieser psychischen Krankheit ist eben, dass sie sich nach außen hin, Dritten gegenüber, nicht als Krankheit äußert, sondern sich nur durch radikale Stimmungsschwankungen, launisches und irrationales Verhalten bemerkbar macht – in den depressiven, selbstdesktruktiven Phasen bekommt man einen Borderline-Patienten ja gemeinhin nicht zu Gesicht. Diese Realitätsnähe bedingt aber, filmisch gesprochen, zwangsläufig, dass man als Nicht-Betroffener nur schwer mit der Figur „Maria“ connecten kann; zumal der Film in purer Absicht auch nie explizit erwähnt, dass Maria am Borderline- Syndrom erkrankt ist (Regisseur und Autor Durchschlag erhofft sich durch diesen Kniff breitere Relevanz, ich bin nicht ganz sicher, ob das eine glückliche Entscheidung war, zumal der Streifen jetzt, in seinem zweiten Leben auf DVD, ausdrücklich als „Borderline“- Film vermarktet wird).
Es ist vielleicht der größte Schwachpunkt des Films, dass er trotz der Tatsache, Maria quasi im Alleingang das Storykonstrukt stemmen zu lassen, sich kaum mit den Hintergründen der Figur beschäftigt. Wir bekommen Maria, so wie sie ist, vor den Latz geknallt und müssen damit zurechtkommen. Was ihre Störung ausgelöst hat, wie sie sich z.B. Sarah, ihrer besten Freundin gegenüber, bemerkbar macht, bleibt weitgehend außen vor (es gibt zwei kurze throwaway-lines, die in diese Richtung tendieren, jeweils geäußert von Sarah – zum einen äußert sie ihr Unverständnis darüber, dass Maria eine Therapie abgebrochen hat, zum anderen verweist sie kurz auf Marias Vater, der offensichtlich ein auslösendes Element, eine Ursache der Persönlichkeitsstörung, war, ohne dass näher auf das Wie & Was eingegangen ist).
Ein bisschen kennzeichnend für den Aufbau der Geschichte könnte man die Anekdote nennen, die mir bei Ansicht des Films widerfahren ist… bekanntlich tun sich alle drei in meinem Haushalt vorhandenen DVD-Player mit Sunfilm-Scheiben schwer und der, für den ich mich entschieden hatte, stoppte den Film nach gut 70 Minuten und sprang ins Hauptmenü zurück. Ich hatte zunächst überhaupt nicht bemerkt, dass der Film noch weitergehen sollte – ich hielt es absolut für denkbar, dass der Film an dieser Stelle (Sarah und Maria diskutieren gerade nach ihrem Zusammenbruch, wie’s weiter gehen soll) finis ist… Vielleicht wär’s auch die bessere Stelle für ein Ende gewesen, denn der Schlussakt inklusive Semi-Happy-End gehört m.E. nicht zu den herausragenden Parts des Films.
Technisch-handwerklich steht der Streifen, wie angesichts seiner Festivalbepreisungen irgendwo zu befürchten war, in der Tradition des (nicht wirklich) guten alten deutschen Autorenkinos der 70er Jahre – d.h. er ist filmisch ziemlich spröde, wobei er von stellenweise ausgezeichneter Kameraarbeit von Michael Wiesweg profitiert. Durchschlag versucht, mit für FSK-12-Verhältnisse ziemlich, eh, gewagten Sexszenen (inklusive full frontal nudity von Richy Müller, falls jemand auf genau diesen Anblick schon seit dem „Arche Noah Prinzip“ wartet) und inflationärem Gebrauch der Vokabel „ficken“ zu schocken – ich kann mir nicht helfen, auf mich wirkt das immer etwas aufgesetzt (vielleicht kenn ich aber nur die falschen Leute, in meinem Bekanntenkreis redet man nämlich nicht so). Tempomäßig braucht der Film eine gute halbe-dreiviertel Stunde Anlaufzeit, bis sich die Story als solche (zentral halt die Beziehung zwischen Maria und Jan) zu entwickeln beginnt und selbst dann kommt eher weniger das Gefühl eines echten „flows“, einer sich entwickelnden Geschichte auf als, was aber sicher Absicht ist, eine Aneinanderreihung von Vignetten aus Marias Leben. Es macht den Film trotz seiner Laufzeit von knapp 88 Minuten insgesamt recht anstrengend.
Was die Mühe allerdings lohnt, das muss man herausstellen, ist das wirklich überwältigende Spiel von Lavinia Wilson („Schule“), die in einer sagenhaften Tour-de-Force als Ein-Frau-Show den Film trägt. Ihr Mut sowohl zur körperlichen als auch seelischen Freizügigkeit ist bemerkenswert; es gibt, vor allem in Deutschland, wohl nicht viele Darstellerinnen, die in einer Rolle wie dieser so glaubhaft, so packend aufgehen. Das ist aber im Umkehrschluss das Problem für Maximilian Brückner („Sophie Scholl“, außerdem der neueste „Tatort“-Kommissar des Saarländischen Rundfunks), bei dem man in den gemeinsamen Szenen mit Wilson oft das Gefühl hat, nicht nur sein Charakter, sondern auch der Schauspieler selbst stünde Wilson und ihrem Spiel mit gewisser Ratlosigkeit gegenüber. Richy Müller, wie bereits gesagt, erstmals in Emmerichs „Arche Noah Prinzip“ wirklich aufgefallen und seither mit einer stetigen Karriere im TV-Bereich, kann in seinen Auftritten als Marias Dauer-Sex-und-Geschenke- Affäre Wolfgang durchaus überzeugen, ebenso Victoria Mayer als Sarah.
Bildqualität: Sunfilm legt den Streifen in anamorphem 1.85:1-Widescreen vor und abgesehen von dem unplanmäßigen vorzeitigen Stop, den ich oben geschildert habe, lief die Scheibe relativ klaglos durchh. Das Bild ist eher auf der grobkörnigen Seite, bietet sich also weniger für Genuss am Beamer oder PC-Bildschirm an. Der Transfer selbst ist störungs- und verschmutzungsfrei, mit, vermutlich dem Quellmaterial geschuldeten eher durchschnittlichen Schärfewerten, gutem Kontrast und unauffälliger Kompression.
Tonqualität: Sunfilm liefert die deutsche Sprachfassung wahlweise in Dolby 5.1 und Dolby 2.0. Spektakuläre Klangerlebnisse sind nicht zu erwarten, die Tonspuren sind aber rauschfrei und ausgezeichnet verständlich.
Extras: Die beiden zentralen Bonuspunkte sind zum einen eine ca. halbstündige Dokumentation über die Entstehung des Films, in der hauptsächlich Regisseur/Autor Durchschlag und Hauptdarstellerin Lavinia Wilson zu Wort kommen – nicht uninteressant, aber etwas langatmig gestaltet; zum anderen ein ebenfalls im Halbstundenbereich eintickendes Gespräch mit einem Experten für Borderline- Persönlichkeitsstörungen, dem der geneigte Zuschauer, erfreulicherweise anhand des Films, viele Informationen über das Krankheitsbild und seine Therapierbarkeit entnehmen kann. Trailer und Sunfilm-Trailershow runden das Paket ab, ein Audiokommentar wäre willkommen gewesen, fehlt aber.
Fazit: „Allein“ ist ein schwieriger Film zu einem schwierigen Thema. Sein „Mainstream“-Appeal dürfte gegen Null tendieren, denn neben dem Komplex „Borderline“, der nun einmal am ehesten für aus erster oder zweiter Hand Betroffene interessant sein dürfte, fehlt dem Streifen auch *filmisch* die Zugänglichkeit. Lässt man sich auf den spröden, ungeschönten Blick auf die Realität eines unterschätzten Krankheitsbildes ein, wird man mit einer hervorragenden schauspielerischen Leistung von Lavinia Wilson belohnt, die gar nicht hoch genug einzuschätzen ist. Ein Film, den man sich zur erbaulichen Unterhaltung ansieht, wird natürlich trotzdem nicht draus – sagen wir’s mal so rum: „Allein“ hat durchaus ein Publikum verdient, aber ich bin nicht sicher, ob ich dazu gehöre…
3/5
(c) 2006 Dr. Acula