Achterbahn

 
  • Deutscher Titel: Achterbahn
  • Original-Titel: Rollercoaster
  •  
  • Regie: James Goldstone
  • Land: USA
  • Jahr: 1977
  • Darsteller:

    George Segal (Harry Calder), Richard Widmark (Hoyt), Timothy Bottoms (Young Man), Henry Fonda (Simon Davenport), Susan Strasberg (Fran), Harry Guardino (Keefer), Helen Hunt (Tracy Calder), Dorothy Tristan (Helen), Harry Davis (Benny), Stephen Pearlman (Lyons), G.F. Rowe (Wayne Moore)


Vorwort

Katastrophe in Ocean-Views-Vergnügungspark – eine Achterbahn entgleist und stürzt in die Amüsier- und Budengassen. Viele Tote sind zu beklagen, und die Frage bleibt (für die Filmcharaktere, nicht für uns, die wir bereits informiert sind), was ist die Unglücksursache? Als Vertreter der Bauaufsicht, die die Anlage abgenommen und für sicher erklärt hat, und das erst wenige Wochen vor dem Unglück, wird Harry Calder zur Unglücksstelle beordert. Materialermüdung oder Fahrlässigkeit scheint ausgeschlossen und die einzige Zeugenaussage, die eines alten Jahrmarktsveteranen, der jemanden auf der Bahn gesehen haben will, lange nachdem der hierfür zuständige Mitarbeiter seine tägliche Inspektion vorgenommen hat, wird verworfen, als der Parkchef erklärt, dass der alte Zausel nur aus Mitleid beschäftigt wird und sich den lieben langen Tag mit seiner Frau unterhält, was weniger problematisch wäre, wäre er jemals verheiratet gewesen… So zieht Calder unverrichteter Dinge wieder ab und das Rätsel bleibt für den Moment ungelöst.

Ein paar Tage später erfährt Calder auf obskurem Weg (per Käfigeinlage in einer Tierhandlung) von einem Feuer in einem Vergnügungspark in Pittsburgh – dort waren keine Tote oder Verletzte zu beklagen, aber Calder wird hellhörig. Die Branche ist im Allgemeinen mega-sicher und zwei vermeintliche Unfälle innerhalb einer Woche strapazieren nach Calders Ansicht die Grenzen der Wahrscheinlichkeit. Suspekt ist auch, dass die jeweiligen Parkchefs seine Anfragen rüde abblocken. Calder versucht, an die Eigentümer der Parks, Großkonzerne und deren Chefs, heranzukommen und findet heraus, dass just die Eigentümer der zwei betroffenen Anlagen im gleichen Hotel in Chicago abgestiegen sind. Calder reist nach Chicago und platzt in ein Meeting von nicht weniger als fünf Parkeigentümern. Wo er schon mal da ist, befindet das Komitee, kann er auch bleiben – und hört so aus erster Hand die per Tonband übermittelte Forderung eines gemeinen Erpressers, der sich zum Arrangement der beiden Anschläge bekennt und weitere androht, sofern man ihm nicht das bescheidene Sümmchen von einer Million Dollar aushändigt. Ich wäre nun der Ansicht, dass man sich ernsthaft überlegen sollte, die Kohle auszutüten, denn geteilt durch fünf ist das sicher nicht mehr als eine lauschige Tageseinnahme eines der Parks, natürlich steht aber auch das Argument im Raum, dass der Erpresser dann fröhlich weiter erpressen würde. Calder empfiehlt, das FBI einzuschalten, zumal der Ganove bereits in beneidenswerter Selbstsicherheit mitgeteilt hat, dass es ihm grad wurscht ist, ob die Manager die Polizei hinzuziehen oder nicht. Man schaltet, aber Agent Hoyts erste Amtshandlung ist es, Calder von den weiteren Ermittlungen auszuschließen. Auch recht, denkt sich Calder, er hat ja noch eine Familie (d.h. geschiedene Frau, Tochter, und neue Freundin).

Womit er nicht gerechnet hat, ist dass der Erpresser, der das Manager-Meeting per Wanze überwacht hat, von ihm ganz angetan ist und sich unbescheiden wünscht, dass Calder die Geldübergabe durchführt. Dem kann sich auch Hoyt nicht verschließen und ehe er sich’s versieht, hockt Calder in einem Flieger nach Virginia.

Die Übergabe soll stilecht in einem Vergnügungspark durchgezogen werden. Zwar ist jeder zweite Besucher FBI-Agent mit dem Auftrag, jede Bewegung Calders zu überwachen, aber wer ein guter Erpresser ist, ist seinen Gegnern immer mindestens zwei Schritte voraus. Zuerst wird Calder seine Verkabelung los, dann bekommt er ein Funkgerät zugestellt (von niemand geringerem als Steve Guttenberg in seinem ersten Filmauftritt) und in der Folge vom Erpresser kreuz und quer durch den Park und seine Fahrgeschäfte gehetzt – das hält auch die Agenten ordentlich auf Trab und früher oder später, wie El Erpresso korrekt spekuliert, wird irgendjemand einen Fehler machen, und sei’s Calder, dem der Erpresser versichert, dass sein Funkgerät nicht nur der Kommunikation dient, sondern auch eine fernzündbare Bombe ist. Oops! Am Ende des langen Tages ist Calder seinen Geldkoffer los und der Erpresser mit der Kohle spurlos verschwunden. Um es mit Team Rocket zu sagen: Das war wieder ein Schuss in den Oooofeeeeeeeeen…

Nun könnte die Geschichte – wenn auch nicht unbedingt zum Wohlwollen aller – eigentlich beendet sein, aber leider hat sich Agent … nicht an des Erpressers Anweisungen gehandelt und die Scheine markieren lassen. An diese Möglichkeit hat der Gangster allerdings gedacht und ist nun begreiflicherweise etwas ungehalten. Calder bekommt einen persönlichen Anruf des Psychopathen, der Vergeltung in Form eines weiteren Anschlags ankündigt.

Und da Calder glaubt, der Wahnsinnige mache ihn persönlich für das Fiasko verantwortlich und werde sich eine Bahn aussuchen, die er (also Calder) abgenommen hat, versteift er sich auf den Gedanken, dass das Ziel des Erpressers die große Unabhängigkeitstags-Show in Magic Mountain mit Eröffnung der neuen Super-Achterbahn „Revolution“ sein wird. Agent Hoyt ist skeptisch, aber wem kann man heute noch trauen wenn nicht seinem Bauchgefühl?


Inhalt

Ich bin ein erklärter Fan von Achterbahnen und sonstigen mechanischen Verrichtungen, die dazu gedacht sind, masochistischen Zahlern zum Vergnügen die inneren Organe und Gliedmaßen umzuarrangieren. Vergnügungsparks sind vor mir nicht sicher und, wie ich bei Wiederansicht von „Achterbahn“ sicher dreißig Jahre nach seiner TV-Ausstrahlung im ZDF (wenn ich mich recht erinnere) feststellte, habe ich zwischenzeitlich die „Revolution“ in Magic Mountain, auf und um der sich die Klimax des Films abspielt, tatsächlich selbst ausprobiert. Das gibt glatt noch zusätzliche Nostalgiepunkte…

Aber zum Film. „Achterbahn“ hat es nicht immer leicht gehabt. Die meisten Kritiker warfen den Streifen in den Topf meist von Irwin Allen produzierter Katastrophenfilme, wie sie die Lichtspielhäuser in den 70ern in schöner Regelmäßigkeit heimsuchten, von „Erdbeben“ bis „Flammendes Inferno“ und zurück. Dabei ist „Achterbahn“ alles andere als ein Katastrophenfilm – ja, er beginnt mit einem (künstlich herbeigeführten) Unglück, aber das ist absolut nicht das Herzstück des Films – wie auch Regisseur James Goldstone seinerzeit bemerkte, will der Film vielmehr ein Hitchcock’scher Suspense-Thriller sein. Vermutlich wurde seinerzeit das Marketing diesbezüglich falsch gewichtet und auf jeden Fall lief „Achterbahn“ gegen die Konkurrenz eines unbedeutenden kleinen Science-fiction-Films namens „Krieg der Sterne“ und wurde allenfalls ein moderater finanzieller Erfolg, jedenfalls nicht genug für Universal, um sich da ernstlich drüber zu freuen oder weitere Filme mit dem Gimmick „Sensurround“ zu entwickeln.

„Sensurround“, die älteren Zuschauer und Leser erinnern sich, war ein spezielles Audio-Verfahren, das durch Verstärkung der Bass-Spuren für außerordentlichen akustischen Druck im niederfrequenten Bereich sorgte und besonders spektakuläre Krawallszenen vorzüglich unterstützen konnte (so vorzüglich, dass in manchen Kinos der Putz von der Decke rieselte oder sich die Besucher von Sälen nebenan über die Störung beschwerten). Das System debütierte mit „Erdbeben“ und fand noch in „Midway“, der Kinofassung von „Kampfstern Galactica“ und eben „Achterbahn“ Verwendung. Dummerweise war der Sensurround-Prozess äußerst aufwendig und machte eine Umrüstung der Kinos notwendig, und dafür war am Ende der Ertrag durch zusätzliche Ticketverkäufe zu gering, so dass das System leise, nach dem Kinostart des zweiten Galactica-Films eingeschläfert wurde.

Zurück zu „Achterbahn“. Der Film basierte auf einer Idee des Charakterdarstellers und voice actors Tommy Cook, der über die Wohltätigkeits-Tennis- und Golf-Turniere, die er veranstaltete, gute Kontakte in die Produktionsetage von Universal hatte. Mit seiner Idee eines angepissten Vietnam-Veteranen, der nach seiner tour of duty keinen Job findet, kein Geld hat, und deshalb auf die Idee kommt, seine auf Staatskosten erworbenen Kenntnisse im Bereich Sprengstoffe gewinnbringend anzuwenden, wurde er zunächst beim Produzenten des „Weißen Hai“ – dem gefiel das Treatment zwar, aber er mochte es nicht selbst angehen, weil er nach der Fischsuppe gerne in einem komplett anderen, nicht-thrillenden Genre tätig werden wollte, und referierte ihn an seinen Produzentenkollegen …, der sofort zuschlug, aber Cook aus der weiteren Kreativarbeit heraushielt.

So fiel im fertigen Film der Hintergrund des Bombenlegers komplett durch den Rost – zwar haben wir weiterhin das Psychospielchen zwischen Harry Calder, den sich der Bomber als seinen persönlichen Prügelknaben aussucht, und dem Psychopathen, aber was den ticken lässt, bleibt außen vor (der arme Kerl bekommt über den ganzen Film hin nicht mal einen Namen – der Abspann kreditiert ihn einfach als „Young Man“. Ab zum YMCA!). Nur ein winziger Hinweis auf eine mögliche militärischen Vergangenheit des Erpressers bleibt erhalten, als er an einer Schießbude abräumt und deren Attendant einen fellow veteran vor sich glaubt und stolz sein Army-Tattoo vorzeigt, was der junge Mann aber mit höflicher und stiller Nichtachtung straft. Ein „blink-and-you-miss-it“-Moment, der praktisch alles ist, was der Film an Charakterbackground für seinen Schurken übrig lässt. Harry Calder, unser Held, hat da schon etwas mehr mit auf den Weg bekommen, auch wenn da wieder nicht alles unbedingt notwendig ist (dass Calder geschieden ist, mag einigermaßen progressiv für einen Major-Film sein, werden doch hier meist die intakten Familienwerte hochgehalten, tut aber für die Story exakt nichts zur Sache). Eigentlich würde reichen, dass Calder ein „everyman“ ist, der in eine Sache hineingezogen wird, die eigentlich drei Nummern zu groß für ihn ist, und die ihn in akute Gefahr bringt – ein klassischer Hitchcock-Protagonist a la „Der unsichtbare Dritte“ oder „Der Mann, der zuviel wusste“.

Womit wir denn auch beim entscheidenden Thema wären – „Achterbahn“ ist eine Lehrstunde in Suspense der besten Hitchcock-Manier. Ich weiß nicht, ob der alte Alfred den Film noch gesehen hat (möglich wär’s allemal gewesen), aber wenn ja, dann sollte er begeistert gewesen sein. Im Endeffekt besteht der komplette Film „nur“ aus drei meisterhaften Suspense-Szenen, die durch ein bisschen Dialog und Exposition verbunden werden. Wir haben den Auftaktcrash, den Gladstone beinahe unerträgliche zwölf Minuten lang hinauszögert, das nervenzerfetzende Katz- und Mausspiel der Geldübergabe (sicher ungefähr eine halbe Stunde lang), und das Finale in Magic Mountain (auch noch mal eine knappe halbe Stunde) – und nur die erste dieser Sequenzen hat einen vordergründigen „pay-off“ in Form des tatsächlichen Crashs. Dennoch ist der Streifen speziell in diesen Sequenzen keine Sekunde lang langweilig, wirkt keine einzige Einstellung überflüssig, trägt jeder neue Kniff, mit dem Gladstone und das Drehbuch die Konfrontation, das Ziel der Szene weiter hinauszögern, zur Erzeugung nahezu atemberaubender Spannung bei.

Selbstverständlich trägt zur Stimmung und Atmosphäre des Films bei, dass in echten Vergnügungsparks gedreht werden konnte (auch wenn viele der angefragten Parks aus Angst vor Besucherrückgang dankend ablehnten… Magic Mountain hingegen war ein brandneuer Park und interessiert an jeglicher Art von Publicity; der Park in Pittsburgh, in dem gedreht werden sollte, gehörte zu denen, die absagten, weswegen die dort spielende Sequenz ein paar deutlich bemerkbare Abkürzungen nehmen musste) – echter Trubel, echte Fahrgeschäfte, echte Achterbahnen (Tommy Cook behauptet, dass der große Run der Parks, sich gegenseitig mit großen und schnellen Bahnen zu übertreffen, durch „Achterbahn“ ausgelöst wurde. Maybe, maybe not).

Einzig dass die Produktion zur Vermeidung eines R-Rating auf ein paar härtere Sequenzen verzichten musste (der Auftakt-Crash war in seiner ursprünglichen Fassung ziemlich heftig und gorig, mit herumliegenden verstümmelten Leichen; und auch das Finale sollte deutlich blutiger sein), und ein paar der Effekte sehr deutlich mit Dummies arbeiten, reißt etwas aus der Stimmung heraus (weswegen ich auch zu denen gehöre, die einem Remake mit allen 3D-Schikanen und technischen Mätzchen nicht abgeneigt wären). Ein Pluspunkt ist dagegen der Score von Altmeister Lalo Schifrin.

Der Cast ist auch nicht übel – George Segal gehört für mich zu den weithin unterschätzten Darstellern. Für Tommy Cook war er nicht die erste Wahl (er hätte James Franciscus bevorzugt), aber Segal, der mit komödiantischen Stoffen ebenso gut umzugehen weiß wie mit dramatisch-ernsthaften, macht seine Sache außerordentlich gut („Achterbahn“ war übrigens der Film, für den er seinen höchsten Gagenscheck kassierte – 750.000 Dollar). Segal ist auch im hohen Alter noch aktiv und gehört zur Belegschaft der beliebten Sitcom „Die Goldbergs“.

Seinen Gegenspieler gibt Timothy Bottoms („Johnny zieht in den Krieg“, „Im Schatten des Kilimandscharo“, „Invasion vom Mars“) – er hat zwar, wie gesagt, nicht viel an Charakter mitbekommen, womit er arbeiten könnte, legt aber trotzdem eine durchaus intensive Vorstellung als der enorm selbstsichere und gelegentlich dreiste Erpresser hin.

Der verdiente Alt-Mime Richard Widmark („Alamo“, „Coma“, „Der Todeskuss“) bringt als Agent Hoyt eine no-nonsense-Vorstellung, und niemand geringeres als Henry Fonda gönnt sich einmal mehr einen Drehtag oder zwei in der eigentlich unwesentlichen Rolle von Calders Chef bei der Bauaufsicht – die Sorte Rolle, die Fonda im Herbst seiner Karriere gerne mal für eine nette kleine Gage, wenig Arbeit und „name value“ für den betreffenden Film spielte. Calders neues Gspusi Fran ist Susan Strasberg („Ein Toter spielt Klavier“), die Tochter des berühmten Schauspiellehrers Lee Strasberg. Als Calders Tochter Tracy begrüßen wir die junge Helen Hunt in ihrer zweiten Filmrolle nach „Swiss Family Robinson“.

Erwähnen sollte ich vielleicht noch den Auftritt der Sparks, die vor der Eröffnung der „Revolution“ den Massen einheizen. Die Band bezeichnete den Auftritt später als größten Fehler ihrer Karriere – hm, ich würde sagen, eine Kapelle, die in über 40 Jahren nie wirklich groß was gerissen hat und deren größter Hit genauso gut von den Pet Shop Boys stammen könnte, sollte sich da nicht SO weit aus dem Fenster lehnen…

Die „40th Anniversary Edition“-Blu-Ray von Koch/Universal zeigt den Film in schönstem Bild, prallen Farben und mit genug Körnung, um auch Puristen zufriedenzustellen. Deutscher und englischer Ton sind gut, und als Extras gibt’s ein Interview mit Tommy Cook, Trailer und TV-Spots sowie einen Erste-Reihe-Sitz im „Revolution“-Rollercoaster in seiner heutigen Konfiguration in Magic Mountain.

Summa summarum – ein nahezu perfekter Suspense-Thriller, der jedem Genrefreund (und ganz besonders jedem Amusement-Park- und Achterbahn-Freund) Freudentränen der Rührung über die Wangen rinnen lassen sollte; den sollten sich aspirierende Jungregisseure dringend zu Gemüte führen, um zu verstehen, *wie* man Suspense einsetzt, um den Zuschauer auf der Sitzkante rutschen zu lassen. Der gute und gut aufgelegte Cast schadet freilich auch nicht…

© 2019 Dr. Acula


BOMBEN-Skala: 1

BIER-Skala: 7


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