Absolution

 
  • Deutscher Titel: Absolution
  • Original-Titel: Absolution
  • Alternative Titel: Murder by Confession | Anthony Shaffer's Absolution |
  • Regie: Anthony Page
  • Land: Großbritannien
  • Jahr: 1978
  • Darsteller:

    Richard Burton (Father Goddard), Dominic Guard (Benjamin „Benji“ Stanfield), David Bradley (Arthur Dyson), Billy Conolly (Blakey), Andrew Keir (Rektor), Willoughby Gray (Brigadier Walsh), Preston Lockwood (Father Hibbert), James Ottaway (Father Matthews), Brook Williams (Father Clarence), Jon Plowman (Father Piers)


Vorwort

Ein strenges katholisches Jungeninternat irgendwo in der englischen Provinz – Latein- und Religionslehrer Father Goddard herrscht hart, aber seines Erachtens gerecht über seine ca. 16-jährigen Zöglinge. Sein Lieblingsschüler, Benjamin Stanfield, für den Goddard eine Karriere als Priester zumindest nicht ausgeschlossen hält, wird – ebenso wie der Lehrmeister selbst – von Brillenschlange Arthur Dyson, dem „Krüppel“ mit seiner Beinschiene, genervt. Arthur würde gern „dazu“ gehören, aber niemand will ihn wirklich als Freund haben, und im Unterricht bringt er im Lateinunterricht den Lehrplan mit unplanmäßigen Fragen nach römischer Kriegstaktik durcheinander. Trotzdem geht alles seinen Gang, bis Blakey, ein Hippie-Kiffer-Biker mit recht relaxter Lebenseinstellung, im nahen Wald sein Zelt aufschlägt. Benji freundet sich mit Blakey an, der ihm zeigt, dass es noch etwas anderes als die strenge, rigide Internatsatmosphäre gibt. Als Goddard von der ungewöhnlichen Freundschaft erfährt, verbietet er Benji den weiteren Umgang mit Blakey, was Benji natürlich erstens nicht auf sich sitzen lässt und zweitens, unter Inspiriation von Blakey, auf eine Idee bringt – er beichtet Goddard wilde Sexorgien mit Blakey und dessen momentaner Schlafsackgefährtin, wohlwissend, dass Goddard aufgrund des Beichtgeheimnisses keine disziplinarischen Maßnahmen ergreifen kann. Der Plan geht auf – Goddard ist angemessen entsetzt, kann aber nichts tun, wenn Benji ihn zukünftig im Lateinunterricht strahlend anlächelt. Als Blakey von Polizisten, die die Schule bestellt hat, verprügelt wird, will der weiterziehen – und Benji, der darum bittet, nicht mitnehmen. Wenig später sitzt Benji wieder in Goddards Beichtstuhl und berichtet völlig aufgelöst, Blakey im Affekt getötet zu haben. Goddard eilt an den von Benji genannten Tatort und findet dort – eine Vogelscheuche und einen Kürbis, dieweil Benji sich mit einigen Schulkameraden im nahen Gebüsch scheckig lacht. Wieder ist Goddard aufgrund des heiligen Beichtgeheimnisses machtlos. Als Benji den Mord an Blakey wenig später *erneut* beichtet, glaubt Goddard zunächst natürlich an einen weiteren schlechten Scherz – bis er tatsächlich die Leiche am angegebenen Ort findet. Und Benji kündigt im Beichtstuhl einen weiteren Mord an…


Inhalt

Ich erwähnte es schon mehrfach – Mill Creeks „Drive-In Movie Classics“-Box ist eine Wundertüte. Zwar hatte ich wegen akuter Unlust die zwei eigentlich in schlichter Disc-Reihenfolge nächsten Titel (zwei Blaxploiter, die mich wirklich nicht ansprachen, zumal einer davon noch nicht mal ein echter „xploiter“, sondern eher ein moralinsaures Familiendrama zu sein scheint) übersprungen, dafür geht’s auf Disc 4, Seite A, mit einem Werk weiter, das man nicht unbedingt in dieser Gesellschaft erwarten müsste. Ein britisches Drama mit Richard Burton, geschrieben von „Wicker Man“-Autor Anthony Shaffer, dem einzigen mir bekannten Drehbuchschreiber, der’s geschafft hat, dass „seine“ Filme seinen Namen im Titel tragen (wie auch „Wicker Man“ meldet sich „Absolution“ on-screen mit der Einblendung „Anthony Shaffer’s Absolution“). Klingt nicht nach dem üblichen Autokino-B-Movie-Fodder – und, welch Überraschung, ist’s dann auch nicht.

Das Beichtgeheimnis ist ein charmantes plot device – es stellt einen Protagonisten, der sich an ein solches gebunden fühlt, vor ein kniffliges moralisch-ethisches Dilemma: Aufklärung oder gar Verhinderung eines Verbrechens gegen Glauben. Shaffer interessiert sich, obwohl „Absolution“ ein gerüttelt Maß an Spannung aufbaut, nicht zentral für die Thriller-/Krimiseite, sondern müht sich um eine authentische Darstellung des Mikrokosmos eines katholischen Internats mit all seiner bedrückenden, freiheitsraubenden und freudlosen Atmosphäre (übrigens datiert sich der Film auf das Jahr 1970, als Goddard seinen Schülern verbietet, das Fußball-WM-Halbfinale im Fernsehen zu kucken, obwohl Rivelino spielt… naja, England war da ja auch schon ausgeschieden, hähä). Im Unterricht werde keine kritischen Fragen geduldet, die Schüler müssen auf Freiräume und Privatsphäre verzichten (obwohl die Schlafplätze immerhin durch Vorhänge und Stellwände abgeteilt sind), obwohl man sich seitens der Schulleitung für regelrecht progressiv hält und den Jungs gestattet, eine komische Oper aufzuführen (was, denke ich, genau das ist, was ein sechzehnjähriger Knabe *unbedingt* in seiner raren Internatsfreizeit tun möchte). Einflüsse von außerhalb, erst recht solche, die den status quo von Autorität, Gehorsam und den überalterten Moral- und Bildungsvorstellungen an den Karren fahren könnten, sind unerwünscht (Blakey ersucht, bevor er sich im Wald häuslich einrichtet, bei Goddard einen Job als Hausmeister, Tellerwäscher oder Gärtner, wird aber als asoziales Element eingestuft und mehr oder weniger höflich vom Hof gejagt). Für Benji, der sich trotz seiner „Lieblingsschüler“-Position unzweifelhaft eingeengt fühlt, ist die Freundschaft zu Blakey daher eine echte Befreiung, obwohl er die „Freiheiten“, die der Hippie ihn anbietet (freie Liebe und Joints) nicht wirklich in Anspruch nehmen will, ihm reicht schon die Option. Das Freundschafts-Verbot von Goddard (in der ersten Filmhälfte noch die Nebenfigur, hier steht Benji im Blickpunkt, im zweiten Part kehrt sich dieses Verhältnis um) führt dann zu dem Plan, das vorher in einer Religionsstunde thematisierte Beichtgeheimnis auszunutzen – wobei Blakey und die namenlose Schlampe, die den Vorschlag mitunterbreitet, eigentlich nur einen bösen, aber harmlosen Streich im Sinn haben, der Benji von Goddards Einfluss emanzipieren soll (sie verdächtigen den Priester nämlich, an Benji, sagen wir mal, mehr als nur berufliches Interesse zu haben und mit der Mär der wilden Orgie könnte Benji einerseits – dank des Beichtgeheimnisses – weiterhin die Schule besuchen, Goddard, so ist jedenfalls der Gedanke, wird sich aber von ihm fernhalten).

Wie schon gesagt, nach diesem entscheidenden plot point verschiebt sich der Blickwinkel des Films – nun steht nicht mehr der in seiner Freiheit eingeschränkte Schüler im Mittelpunkt, sondern der strenge Lehrer, der – erst recht nach der zweiten Beichte, der ersten „Mord“-Beichte – davon ausgehen muss, dass seine strenge Rigidität ursächlich für Benjis erst vermeintlichen, dann tatsächlichen Gewaltausbruch mitverantwortlich ist und der nicht nur den vordergründigen Konflikt zwischen Gewissensentscheidung und Beruf(ungs)ehre austragen muss, sondern von den weiteren Ereignissen derart mitgenommen wird, dass er (und, da wir mittlerweile als Zuschauer aus seiner Perspektive mitsehen) zunehmend die Kontrolle über sich selbst verliert, sowohl nach außen (Goddard wird gegenüber seinen Schülern noch härter, verbietet harmlose pin-ups in den „cubicles“ und macht Dyson wegen des Gebrauchs von Rasierwasser, Marke „Old Pagan“, zur Schnecke) als auch innerlich – da Benji außerhalb des Beichtstuhls begreiflicherweise alles abstreitet und Goddard offen der Geistesschwäche bezichtigt, macht der Verstand des Pfarrers in der Tat langsam winke-winke (bis zu Alpträumen, in denen er von seinem Lieblingsministranten Benji in der Schulkirche während laufenden Gottesdienstes erwürgt wird).

Für den nächsten Absatz SUPER EXTREME SPOILER-Warnung (denn ich drösele jetzt die Auflösung, äh, auf): Der fortschreitende Kontrollverlust, was für einen streng autoritätsgläubigen Pfaffen schon in sich eine persönliche Katastrophe darstellen dürfte, führt dann nicht nur zum schockierenden Finale, in dem Goddard, im Glauben, Benjis nächstes Mordopfer gefunden zu haben, den ihm neugierig gefolgten Schüler Witchfinder Generaled, sondern zum wirklich überraschenden Schlusstwist, in dem der Priester feststellen muss, dass er manipuliert wurde – nicht Benji hat die Morde begangen, sondern der Krüppel Dyson, der sich aufdringlich zum Mitwisser des ursprünglichen Streichs gemacht hat und von da an seinen eigenen Racheplan für die jahrelangen Demütigungen durch Goddard (bzw. durch dessen Duldung) verfolgt hat und ihn, da er dem Priester das Märtyrertum (alle Morde auf seine Kappe zu nehmen und in den Knast einzufahren) nicht „gönnt“, in den Selbstmord treiben will (was bekanntlich eine Todsünde ist). Man kann über die Psychologie dieses Twists geteilter Meinung sein, aber er ergibt sich meines Erachtens doch ziemlich schlüssig (auch wenn ein paar finster-diabolische Blicke Benjis, der aber ja seinen eigenen, ursprünglichen Plan weiter verfolgt, im Nachhinein etwas deplaziert wirken), auch wenn das eigentliche „Finale“ durchaus Schock genug gewesen wäre; man kann kritteln, dass es ein Twist um des Twists Willen ist (manch einer deutet hier Giallo-Einflüsse in Shaffers Script), aber er entbehrt nicht der bösen Wirkung. (SPOILERENDE).

Mit bösem Willen könnte man „Absolution“ einen anti-religiösen Unterton zumessen, aber das geht an der Sache vorbei – es geht hier weniger um Glaube und Religion an sich als vielmehr um äußerliche und innerliche Repression und den Konflikt zwischen Überzeugung und Moral, sicherlich auch religiöse Aspekte, aber auch allgemeingültig; die katholische Religion stellt m.E. hier einfach nur eine griffige Metapher dar, die diese Problematik gut versinnbildlicht (und natürlich kann, wer will, den Film durchaus religionskritisch interpretieren, aber Goddard ist, auch wenn das Script ihn nicht sonderlich sympathisch zeichnet, keine negative Figur).

„Absolution“ ist kein Script und demzufolge auch kein Film, der, obwohl es ihm gelingt, in der zweiten Filmhälfte intensiven Druck aufzubauen, oberflächliches Spannungskino sein will – das macht sich auch im Tempo bemerkbar, denn, inszeniert von Anthony Page, der ansonsten hauptsächlich TV-Stoffe wie „Die Grace Kelly Story“ oder „Tschernobyl – Die letzte Warnung“ realisierte, bedient sich der Streifen durchaus über weite Strecken eines quälend langsamen, bleiernen Rhythmus, der die bedrückende, düstere, einerseits gothisch-unheimliche, andererseits klaustrophobisch-beängstigende Atmosphäre des Internatslebens adäquat umsetzt; nicht der Film, bei dem man vor atemloser Spannung gebannt auf der Sitzkante herumrutscht, aber einer, in den man, wenn man sich auf die ruhige, bedächtige Erzählweise einlässt, durchaus hineingezogen werden kann. Page setzt dementsprechend auf eine sachliche, gimmickfreie Inszenierung, die auf den ersten Blick kühl und abweisend erscheinen mag, mit den langen Einstellungen auf dunkle Korridore in einem alten Gemäuer, teilweise pointiert beleuchtet, Bezüge zu gothischen Schauergeschichten herstellt, und überlässt ansonsten weitestgehend den Schauspielern das Feld. Ursprünglich in Deutschland mit einer FSK-18 bedacht, hat man den Streifen inzwischen auf eine verkaufsfreundlichere 16er-Freigabe zurückgestuft, und die geht, schon allein aufgrund des schockierenden und überraschend brutalen letzten Mordes in Ordnung.

Nun gibt es Kritiker, die – sicherlich auch mit Recht – behaupten, dass der große Richard Burton („Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“, „Kleopatra“, „Der Spion, der aus der Kälte kam“) in den 70ern Jahren mit Freude eine Parkuhr gespielt hätte, solange der Gagenscheck stimmte, und im zutreffenden Bewusstsein, als Schauspieler bereits alles erreicht und bewiesen zu haben, was zu erreichen und zu beweisen gewesen wäre (abgesehen vielleicht von einem Oscar, für den er insgesamt siebenmal nominiert wurde, den er aber nie mit nach Hause nehmen durfte), jegliche berufliche Disziplin in den Wind geschossen habe, aber in „Absolution“ liefert er eine beeindruckende, nuancierte und motivierte Vorstellung ab – lediglich im Finale setzt er etwas zu sehr auf Theatralik, um die Verzweiflung seines Charakters zu verdeutlichen, da wäre weniger dann wirklich mal mehr gewesen. Die Jungschauspieler Dominic Guard (Pippin in Bakshis unglückseliger „Herr der Ringe“-Adaption und später hauptsächlich im britischen Fernsehen tätig) und David Bradley („Zulu Dawn“) leisten beachtliches – speziell Guard kann über weite Strecken überzeugen. Billy Conolly (Lemony Snicket: Rätselhafte Ereignisse, „Garfield 2“, Fido, „Akte X – Jenseits der Wahrheit“) deutet in seinem Filmdebüt bereits sowohl sein komödiantisches als auch sein dramatisches Talent an und bestreitet banjospielend einige Stücke des Soundtracks (inklusive des Opening Themes). Andrew Keir („Quatermass and the Pit“, „Dracula: Prince of Darkness“, „Rob Roy“) ist in einer kleinen Rolle als Rektor zu sehen.

Bildqualität: Auch wenn MiG den Streifen in seiner anamorphen Widescreen-Glorie jüngst auf DVD veröffentlicht hat, liegt mir, wie oben schon gesagt, „nur“ die Mill-Creek-Ramsch-Vollbildfassung vor. Der Transfer ist für die Verhältnisse der Drive-In-Box ordentlich, mit nur einem kleineren Masteringfehler und vergleichsweise wenigen Verschmutzungen und Defekten. Schärfe und Kontrast bewegen sich im knapp durchschnittlichen Bereich, die Vollbildbearbeitung sieht nicht wirklich störend aus.

Tonqualität: Der übliche bestenfalls knapp durchschnittliche englische Mono-Ton wird geboten, manchmal etwas dumpf, manchmal etwas knarzig, aber noch ausreichend zum Verständnis der Dialoge.

Extras: –

Fazit: Mit seinen Original-Stoffen hatte Anthony Shaffer (im Gegensatz zu seinen Hercule-Poirot-Agatha-Christie-Adaptionen) kein großes Glück – „Wicker Man“ wurde von den verständnislosen Studiobossen so verstümmelt, dass eine ungekürzte Fassung allen Mühen zum Trotz nicht mehr zu bewerkstelligen sein wird, und auch „Absolution“ ging bei seiner Original-Veröffentlichung gnadenlos unter (in den USA wurde der Film gar erst 1988, mit satten zehn Jahren Verspätung und vier Jahre nach Burtons Tod, herausgebracht). „Absolution“ ist, im Gegensatz zu „Wicker Man“ sicherlich kein Klassiker für die Ewigkeit, aber dennoch ein durchaus beeindruckendes Werk, gleichsam großes Schauspielerkino als auch Beispiel für ein ausgeklügeltes Script, das moralische Fragen aufwirft, ohne sie wirklich beantworten zu können (oder zu wollen); Anthony Page ordnet sich diesen beiden Faktoren auch klaglos unter – „Absolution“ ist „Anthony Shaffer’s Absolution“, nicht „Anthony Page’s Absolution“ – der Regisseur interpretiert nicht die Vorlage, er ist in diesem Fall wirklich schlicht ausführender Handwerker. Denen, die moderne Thrillerkost gewohnt sind, wird „Absolution“ zu langatmig, zu langwierig, zu schwer sein, aber wer noch in der Lage ist, einen Film zu würdigen, der sich von seiner ganzen Anlage her perfekt an sein Szenario anpasst, die bedachte Erzählweise mit ihren repetetiven Bildern als bewusstes Sinnbild für die bleierne Atmosphäre des Handlungsortes nutzt, wird mit einem außergewöhnlichen Filmerlebnis belohnt. Kein Film für Freunde rasanten Spannungskinos, aber eine hochinteressante Herausforderung für Freunde von ethischen, moralischen Exkursen im Rahmen einer Thrillerhandlung.

4/5
(c) 2012 Dr. Acula


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