RocknRolla

 
  • Deutscher Titel: RocknRolla
  • Original-Titel: RocknRolla
  •  
  • Regie: Guy Ritchie
  • Land: Großbritannien
  • Jahr: 2008
  • Darsteller:

    Gerard Butler (One-Two), Tom Wilkinson (Lenny Cole), Thandie Newton (Stella), Mark Strong (Archy), Idris Elba (Mumbles), Tom Hardy (Handsome Bob), Karel Roden (Uri Omovich), Toby Kebbell (Johnny Quid), Jeremy Piven (Roman), Ludacris (Mickey), Jimi Mistry (Councillor), Matt King (Cookie), Geoff Bell (Fred the Head), Dragan Micanovic (Victor)


Vorwort

Lenny Cole ist der große Pate der Londoner Unterwelt, hat seine schmierigen Greifer überall, wo er Geld wittert, und verdient seine Kohle, wie es sich für eine Boomtown wie die Briten-Hauptstadt gehört, mit Immobilienspekulationen – genauer gesagt luchst er hoffnungsvollen Investoren, die von ihm Hilfe bei der, äh, Überzeugung der genehmigungserteilenden Behörden erhoffen, deren gewinnträchtige Grundstücke ab, nicht ohne trotzdem auf Bezahlung seiner erklecklichen Provisionen zu bestehen. So geht’s dann auch den Kleingaunern One-Two und Mumbles, ihres Zeichens Mitglieder der Gangstervereinigung „Wild Bunch“, die nun ihr Grundstück los sind, dafür aber bei Lenny 2 Millionen Pfund Schulden haben, auf deren Abgeltung der humorlose Pate reichlich ultimativ besteht…

Auf der anderen Seite würde Lenny gern mit dem russischen Oligarchen Uri ins Geschäft kommen, der dringend ein neues Fußballstadion o.ä. errichten möchte. Für sieben Millionen Euro wäre Lenny gern bereit, seinen beträchtlichen Einfluss bei den Stadtoberen geltend zu machen. Zum Dank verleiht ihm Uri sogar sein „Glücksgemälde“. Hätt‘ er mal besser nicht gemacht, denn seiner Buchhalterin Stella, die mit kreativen Bilanztricks dafür zuständig ist, aus den Geschäftsbüchern die benötigten Schwarzgelder abzuzwacken, ist das bloße Zahlenschubsen zu langweilig – sie ist fasziniert von der verruchten Gangsterwelt und gibt daher – ausgerechnet – One-Two den Tipp, wo, wann und wie die sieben Mille abzugreifen wären. Der Coup gelingt – One-Two und Mumbles können ihre Schulden bezahlen und sogar noch Handsome Bob, der aufgrund eines fiesen Informanten fünf Jahre gesiebter Luft entgegensehen würde, selbstredend via Lenny freikaufen.

Während Uri wutschnaubend einen zweiten Bargeldtransfer in Auftrag gibt, den Stella pflichtschuldigst wieder an One-Two weitermeldet, wird Lenny Uris Glücksgemälde geklaut. Hauptverdächtiger ist sein Stiefsohn Johnny Quid, seines Zeichens Rockstar und Junkie und, wenn man den Revolverblättern glauben will, gerade erst im Drogenrausch über die Reling seiner Yacht gefallen und ersoffen. Da Uri mittlerweile recht deutlich auf Rückübertragung der gepinselten Leihgabe besteht, muss Lenny seinen Chief Henchmen Archy darauf ansetzen, den Totgeglaubten – mitsamt der bemalten Leinwand, wenn’s sich einrichten lässt – schleunigst aufzutreiben. Das würde sich ja alles beinahe noch aufdröseln lassen, würde Johnny das ehrlich geklaute Gemälde nicht geklaut, müsste One-Two sich nicht unerwarteter homosexueller Nachstellungen seitens Handsome Bobs erwehren und hätten Uris tschetschenische Geldboten nicht eine erstaunliche Dienstauffassung…


Inhalt

Guy Ritchie kehrt zurück zu seinen Wurzeln. Nachdem Ex-Mr.-Madonna, wohl nach der Einsicht, dass nicht mal ein hipper, bei Publikum und Kritik gleichermaßen beliebter Jungregisseur es schafft, Madonna zum ernsthaften Filmstar aufzubauen (gut, wenn man als großes Starvehikel einen italienischen Schundfilm remaked, muss man sich nicht wundern), den Pop-Zombie in die Wüste geschickt hat, kann er endlich daran gehen, seinen durch Werke wie den famosen „Bube Dame König grAs“ und den populären „Snatch“ begründeten und durch Kappes wie den bereits referierten „Swept Away“ arg lädierten Ruf wieder aufzupolieren.

Nachdem Ritchie nach seinem phänomenal mißglückten (und gefloppten) „Revolver“ sogar in die Niederungen des TVs abtauchen musste und mit „Suspect“ einen gestrandeten Pilotfilm abdrehte, erbarmte sich Joel Silver via seiner Produktionsfirma Dark Castle des Briten – „RockNRolla“ ist seine Rückkehr in die Londoner Unterwelt, in der er wieder mal mit unverhohlener Sympathie für die Underdogs, aber ebenso beißendem Spott den Klassen- und Kulturkampf in Gangsterkreisen auf’s Korn nimmt. Der Streifen, als erster Teil einer geplanten Trilogie angelegt, ist, wenn man übellaunig sein will, allerdings nicht wirklich originell und gießt „nur“ Ritchie-erprobte Mechanismen des „jeder-bescheißt-jeden-alle-gegen-alle-und-am-Schluss-hat-alles-irgendwie-miteinander-zutun“ erneut auf – wie er es in „Bube Dame König grAs“ und „Snatch“ schon erfolgreich tat. Dem geneigten Vielkucker erschließt sich somit grundlegend wenig neues, wenngleich es natürlich immer noch bewunderungswürdig ist, welche Kapriolen Ritchie sein Script schlagen lässt, welche Verwicklungen und Verstrickungen er seinen Charakteren zumutet, und wie gleichermaßen schlüssig und befriedigend er die Chose schlussendlich aufdröseln kann. Den Weg bis zur – wie üblich mit gewaltsamen Toden en gros garnierten – Auflösung pflastert Ritchie mit einer Fülle von LOL-Momenten (teilweise sogar nicht mal hauptamtlich beabsichtlich – die hysterisch-witzige Sexszenen-Montage mit Butler und Newton ist der Tatsache geschuldet, dass Butler zu dem Zeitpunkt heftig erkältet war und Newton sich weigerte, mit ihm rumzuknutschen. Ein einfallsreicher Regisseur wie Ritchie macht da eben aus der Not eine Tugend) aus Situationskomik, Slapstick und schwarzem britischen Humor.

Dieweil Ritchie die grundlegenden Strukturen, Mechanismen und Konstrukte seiner bewährten Story zwar nur leicht variiert, erlaubt er sich zumindest im Setting her ein angebrachtes Update – die Ritchie-Gangster des Jahrgangs 2008 kloppen sich nicht (hauptsächlich) um simple Hehlerware und Dope, sondern verkehren in den besten Kreisen, machen Multi-Millionen-Geschäfte, haben Politiker und Behörden in der Tasche und umgeben sich mit dem gewissen Touch des „seriösen Geschäftsmanns“; es werden nicht mehr finstere Drogendeals in schäbigen Spelunken abgeschlossen, sondern millionenschwere Immobilienverträge auf Luxusyachten und bei High-Society-Partys; und doch ist diese „heile Welt“ des „sauberen“ Verbrechens in Gefahr – wie im echten Leben sowohl auf kleiner Flamme (man denke an die Reeperbahn) als auch im Big Business (Abramowitsch & Konsorten) drängt das neue Geld aus dem ehemaligen Ostblock auf den Markt und diese neuen „global player“ sind nicht gewillt, sich an die etablierten Regeln, „gentlemen agreements“ und allgemeinen Höflichkeitsregeln unter „Klasse“-Ganoven zu halten; ein Konflikt, der im realen Leben – im legalen wie auch im illegalen Bereich, und speziell natürlich in der Grauzone dazwischen – durchaus so stattfindet. Ritchie macht daraus keinen speziellen Punkt, aber er thematisiert es am Rande, wenngleich mehr als zusätzliche Komplikation für seine Charaktere.
Selbige sind durchaus stimmig, Ritchie macht keinen Hehl daraus, dass seine Sympathien den mit den Anforderungen der neuen Kriminalitätswelt leicht überforderten Kleinganoven gehören; One-Two, Mumbles und der Rest des „Wild Bunch“ sind vielleicht sogar etwas zu sehr „weißgewaschene“ fröhliche Gesellen, deren Gesetzesübertritte nach Meinung des Autors und Regisseurs wohl nur bessere Lausbubenstreiche darstellen, Lenny Cole ist ein angemessen hassenswerter Mistbolzen, Uri der charmant-brutale neureiche Russe, der sowohl auf Champagnerempfängen als auch beim Knochenbrechen gleichermaßen richtig am Platze ist (und ein feines Gespür für die Schwächen seiner Geschäftspartner hat), Johnny Quid ein widerliches Drogenwrack mit Allüren, und irgendwo zwischendrin steht als Moderator (und Erzähler) Lennys rechte-Hand-Mann Archy, der versucht, irgendwie die Kontrolle über die Ereignisse, die ihm zunehmend entgleitet, mit aller Macht festzuhalten. Es sind keine fulminant originellen und einfallsreichen Figuren, aber solche, die man, wenn man, und das hat Ritchie nun schon mehrfach erwiesen, ein Händchen dafür hat, ohne größere Kunststückchen vollbringen zu können, in einen hyperkonstruierten, aber eben ausgesprochen spaßig-unterhaltsamen Plot hineinsetzen und sich quasi auch als Autor entspannt zurücklehnen und zusehen kann, wie sie sich nach Kräften weiter in die respektiven Bredouillen hineinreiten.

In Sachen filmischer Umsetzung hat sich Ritchie seit 1998 allerdings deutlich entwickelt – ob positiv oder negativ, bleibt dem Auge des geneigten Betrachters überlassen. Gedrechselte Strukturen, non-lineare Erzählweise (wobei sich das in „RockNRolla“ auf ein paar eher überraschend eingefiedelte Flashbacks und die Betrachtung einiger zentraler Ereignisse als verhackstückte Mini-Rückblenden, die in Gesprächssequenzen eingebunden wären, beschränkt) beherrschte er schon immer, aber der eher räudigem, gewalttätig-blutigem Look von „Bube Dame König grAs“ ist mittlerweile einem extrem glattpolierten, zugegebenermaßen durchaus beeindruckend elegant-slickem Look gewichen. Die Kameraführung von David Higgs („Lesbian Vampire Killers“, „St. Trinians 2“) ist nicht nur über alle Zweifel erhaben, sondern ab und an regelrecht einfallsreich, manchmal gehen allerdings sämtliche Gimmick-Pferde mit Ritchie durch (z.B. wenn in einer Party-Tanzszene die Dialoge als Texteinblendungen irgendwo im Bild visualisiert werden) – Ritchie ist für „style over substance“ latent anfällig und es gibt eben leider mehr als einen Moment, in dem er die Grenze von inspirierter Innovation zu selbstbeweihräuchernder „look what I can do“-Attitüde geflissentlich überschreitet.
Dramaturgisch hat er weniger Probleme – die Story ist so turbulent, dass er keine großen action set pieces braucht, um die Plotte voranzutreiben – für eine annoncierte „Action-Komödie“ kommt „RockNRolla“ mit einem Minimum echter on-screen-Action aus (Ritchie spielt manchmal mit der Erwartungshaltung des Publikums auf ein größeres Blutbad, z.B. beim ersten Überfall auf Uris Geldboten), so dass die Schübe echter Aktion (hauptsächlich im Zusammenhang mit dem zweiten Überfall) hübsch effektiv sind. Leider (hm) hat Ritchie den Härtegrad deutlich heruntergeschraubt – „RockNRolla“ ist in seiner Gewaltanwendung hollywood-glattgebügelt zimperlich; richtig blutig darf’s nicht werden, auch nicht, wenn bleihaltig und impliziert graphisch gestorben wird (etwas komische Weltsicht, zumal der Streifen aufgrund seines reichlich „fuck“-haltigen Vokabulars ja sowieso nie etwas anderes als ein Kandidat für ein R-Rating war; da hätte man dann auch die Gewalt etwas weniger cool-komisch denn zynisch-hart gestalten können).

Bonuspunkte verdient „RockNRolla“ sich für den geschmackvollen (aber im Gegensatz zum Titel nicht wirklich rock-lastigen) Soundtrack, in dem sich u.a. The Clash, The Pretty Things, Lou Reed, The Hives, The Subways – und für einen sekundenkurzen Schnippsel Wang Chung – verewigen dürfen.

Das Darstellerensemble ist vielköpfig und durchaus namhaft – wie es sich für einen Ensemblefilm gehört, in dem sich der Autor einer klaren Definition von Haupt- und Nebenrollen verweigert, sondern vielmehr ein gutes Dutzend praktisch gleichberechtigter Hauptfiguren auffährt, handelt es sich nicht um absolute Top-Stars, sondern dafür um vernünftige Schauspieler. Gerard Butler („300“, „Lara Croft: Die Wiege des Lebens“) überzeugt als Ganove-mit-dem-nicht-sooo-verkehrten-Herzen speziell im Zusammenspiel mit seinen Wild-Bunch-Gefährten Idris Elba („Prom Night“, „28 Weeks Later“) und Tom Hardy („Star Trek: Nemesis“, Bronson – faszinierend, der Typ kann im gleichen Jahr einen schwulen, physisch nicht sonderlich eindrucksvollen Gangster als auch einen brutalen Schläger überzeugend spielen); Tom Wilkinson („Michael Clayton“, „Batman Begins“, „Vergiss mein nicht“, „Der Patriot“) ist als noch oben (sprich zum Reibach hin) buckelnder, dafür aber nach unten (jeder andere Mensch) um so heftiger tretender Lenny eine wahre Schau, Thandie Newton („Run Fatboy Run“, „Crash“, „The Chronicles of Riddick“) nicht nur ein echter Hinkucker, sondern auch, trotz eines leicht underwritten wirkenden Charakters, schauspielerisch kein Reinfall.
Mark Strong („Sunshine“, „Revolver“, „Tristan & Isolde“) und Toby Kebbell („Alexander“) erfüllen ihre Rollen gleichfalls mit Leben, und auch die US-Importe Jeremy Piven („Entourage“, „Operation: Kingdom“, „Smokin‘ Aces“) und Rapper Ludacris („Crash“, „Hustle & Flow“, „Max Payne“) sind in ihren eher kleinen Parts durchaus gefällig. Ziemlich großartig ist Karel Roden („Orphan“, „Largo Winch“, „Bathory“, „Hellboy“) als charmant-unangenehmer superreicher Russe Uri.

Bildqualität: Bei einer aktuellen Major-Veröffentlichung sollte man keinen Grund zur Klage haben und Warner liefert auch keinen. Der 2.40:1-Widescreen-Transfer (anamorph) ist ausgezeichnet, kontraststark, gestochen scharf und frei von jeglichen Verschmutzungen oder Defekten.

Tonqualität: Auch beim Ton gibt’s keinen Mecker, zumindest soweit es die englische O-Ton-Spur, die man aufgrund der Akzentarbeit der Akteure bevorzugen sollte, betrifft – exzellente Sprachqualität, angenehmer Musik- und Soundeffektmix, keinerlei Rauschen, kein Knistern. Für die nicht angetesteten deutschen und spanischen Sprachversionen verbürge ich mich nicht, aber ich denke, das sollte auch in Ordnung gehen (alle Spuren liegen übrigens in Dolby Digital 5.1 vor). Untertitel liegen in den wichtigsten west-, mittel- und nordeuropäischen Sprachen vor, deutsche und englische Subs für Hörgeschädigte ergänzen das Spektrum.

Extras: Eine deleted scene, ein Audiokommentar mit Guy Ritchie und eine Featurette, in der Ritchie „aus seiner Sicht“ durch London führt. Nicht umwerfend, aber auch kein bare-bones-Package (mir lag die Amaray-Sparausgabe vor, das Steelbook könnte, ohne dass ich das näher überprüft habe, mehr zu bieten haben).

Fazit: Wer von Guy Ritchie bei seinem wiederholten Abtauchen in die britische Unterwelt strukturelle Innovationen erwartet, dürfte von „RockNRolla“ leicht enttäuscht sein – die Story variiert nur die Twists und Turns, die der Maestro bereits in „Bube Dame König grAs“ und „Snatch“ zelebrierte, aber dies wieder auf hohem Niveau, sehr unterhaltsam, stellenweise brüllend komisch und formvollendet. Mit der „Formvollendetheit“ hat’s Ritchie stellenweise übertrieben, aber das tut dem Film an sich keinen argen Abbruch; noch ist Ritchie clever genug, da und dort ein inszenatorisches Mätzchen zu setzen und nicht in reines Stylegewichse zu verfallen (was ich, soweit ich das anhand bisher vorliegender Einblicke beurteilen kann, für das demnächst erscheinende „Sherlock Holmes“-Re-Imagening leider befürchte). Etwas weniger selbstauferlegte Coolness, dafür etwas mehr zwingende Härte hätte ich mir vorstellen können, aber insgesamt habe ich mich, auch dank eines bestens aufgelegten Darstellerensembles, das nicht seines „name values“ wegen, sondern – man höre und staune – offensichtlich aufgrund Talents verpflichtet wurde, prächtig amüsiert. Da zücke ich dann auch mal leicht euphorisierte vier Silberscheiben.

4/5
(c) 2009 Dr. Acula


mm
Subscribe
Benachrichtige mich zu:
guest
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments