Stadt in Panik

 
  • Deutscher Titel: Stadt in Panik
  • Original-Titel: Paura in cittá
  • Alternative Titel: Fear in the City |
  • Regie: Giuseppe Rosati
  • Land: Italien
  • Jahr: 1976
  • Darsteller:

    Maurizio Merli (Mario Mori), James Mason (Polizeipräsident), Raymond Pellegrin (Lettieri), Silvia Dioniso (Laura Masoni), Fausto Tozzi (Esposito), Gianfilippo Carcano (Don Saverio), Franco Ressel (Locasio), Cyril Cusack (Giacomo Masoni)


Vorwort

Aus dem Gefängnis in Rom bricht ein schlappes Dutzend Gauner aus, überwiegend der Bande des stadtbekannten und mit-ausgebrochenen Gangsterbosses Lettieri zugehörig. Die Gang verbreitet umgehend Angst + Schrecken, indem sie die Informanten, die sie dereinst hinter italienische Stahlgardinen brachten, killen. Der Polizeipräsident ist ratlos – so ratlos sogar, dass er sich wider besseres Wissen der dienstlichen Anweisung nicht entziehen kann, Commissario Murri zu reaktivieren.

Der ist wegen seines Hangs zu exzessiver Gewalttätigkeit eigentlich in langfristigen Zwangsurlaub geschickt worden, aber harte Zeiten, harte Maßnahmen usw. Damit Murri nicht über die Stränge schlägt, wird er dem stellvertretenden Staatsanwalt Lo Cascio unterstellt, der aufpassen soll, dass Murri schön im Rahmen der schriftlich ausformulierten Gesetze operiert. Murri ist ein Anstandswauwau alles andere als recht, aber was will man machen? Der Kommissar rekrutiert seine alten Partner Esposito (der ins Archiv strafversetzt wurde) und Donnie, der dafür seinen zivilen Job als Medizinmann an den Nagel hängt. Auf ihre bewährte Weise schnappt das Trio gleich mal ein paar Räuber, die nach aufregender Verfolgungsjagd gestellt und von Murri heftig verdroschen werden.

Für den eigentlich zu klärenden Fall ist nur doof, dass auch Murri sich keine Hinweise schnitzen kann, wo’s keine gibt. Sein einziger Anhaltspunkt ist die Identität eines der Ausbrechers – ein alter Knacker namens Massoni, der „nur“ wegen Sterbehilfe für seine Frau verurteilt wurde und in ein paar Wochen eh entlassen worden wäre. Welchen Grund sollte der Halbgreis haben, so kurz vor der staatlich verordneten Freiheit noch an einem riskanten Ausbruch teilzunehmen? Murri vermutet, dass der alte Knabe zur Flucht gezwungen wurde, aber warum? Einzige lebende Verwandte des Herren ist seine Nichte Laura, die schwer genug aufzutreiben ist. Wie sich herausstellt, arbeitet sie als Luxuscallgirl im Etablissement von Katja Fiorella, wo Murri sich als zahlungskräftiger, aber anspruchsvoller Kunde einschleicht und Lauras Dienstleistungen bestellt.

Ihr gegenüber offenbart sich Murri aber gleich als Bulle und fragt sie über den Onkel aus, allerdings ohne gesteigerten Erfolg. Auch Laura fällt kein Grund ein, warum sich Massoni auf seine alten Tage einer berüchtigten und brutalen Bande angeschlossen haben sollte. Dafür aber kommen sich die junge Frau und der Kommissar näher, auch wenn Murri traumatisiert ist, hat er doch dereinst Frau und Kind bei einem Bombenanschlag verloren.

Als einige Mitglieder von Lettieris Bande eine Bank überfallen und Geiseln nehmen, löst Murri das Problem auf seine Weise. Am Ende sind die Gangster tot und der entsetzte Priester, der als letzte Geisel bei den Gangster war, wird Zeuge, wir Murri den letzten Ganoven kaltblütig exekutiert. Lo Cascio ist begreiflicherweise wenig begeistert, aber Murri verteidigt seine Methoden. Dennoch warnt der Staatsanwalt – wenn dem Kommissar noch mal der Abzugsfinger abrutscht, wird Lo Cascio alles dafür tun, um den Cop hinter Gitter zu bringen.

Weitere Recherchen mit Laura bringen Murri aber auf die Idee, warum genau Lettieri sich für den alten Massoni so interessiert. Der war früher Verwaltungsangestellter bei der Bahn und in seinen Zuständigkeitsbereich fiel die Koordination des Transports aus dem Verkehr gezogener Banknoten. Könnte es sein, dass Lettieri es auf den nächsten milliardenschweren Geldtransport abgesehen hat?


Inhalt

Wenn es einen Namen gibt, der quasi stellvertretend für den italienischen Polizeifilm der 70er steht, dann ist das Maurizio Merli. Der Mann mit dem markanten Schnauzbart kam eher zufällig ins Genre, nachdem sich Produzenten, Regisseur und Hauptdarsteller (Franco Nero) des 73er-Gassenhausers „Tote Zeugen singen nicht“ nicht über eine Fortsetzung bzw. einen Nachzieher einigen konnten und der Producer dann eben Mario Girolami und den Nero nicht unähnlich sehenenden, aber eher unbekannten Merli für „Verdammte heilige Stadt“ (1975) verpflichtete, womit für Merli eine hektische Periode der Betriebsamkeit folgte, die ihn bis so 1981 rum in ein gutes Dutzend polizioteschi beförderte. Während das italienische Genrekino sich in andere Richtungen weiterentwickelte, konnte Merli nicht mitgehen. Auf die Rolle des eigensinnigen, brutalen Bullen festgelegt, fand er kaum noch Beschäftigung. 1989 verstarb er während einer Tennispartie im Alter von nur 49 Jahren an Herzversagen.

Aber wir wollen jetzt nicht in Trauer vergehen, es gibt ja genug Merli-Filme, an denen wir uns an einer Performance des Mannes in seiner Blüte delektieren können. „Stadt in Panik“ war der fünfte polizioteschi, der innerhalb von nur zwei Jahren in die Kinos geprügelt wurde. Neben Regisseur Giuseppe Rosati („Vier Teufelskerle“, „Die linke Hand des Gesetzes“), mit sechs Regiewerken einer der Italo-Regisseure mit relativ kleinem Output (dafür aber einem der schönsten anglisierten Pseudonyme: Aaron Leviathan, das er sich für den 83er-Whodunit „Eine mörderische Karriere“ zulegte) werkelte Giuseppe Pulieri am Script, den wir hier auf diesen Seiten als Autor des Mystery-Giallo „Psycho Maniacs“ kennengelernt haben und der Rosati auch als Regieassistent diente.

Selbst Kenner der Materie und erklärte polizioteschi-Historiker geben zu, dass das Drehbuch sicher nicht die Stärke von „Stadt in Panik“ ist – es hakt die üblichen Klischees und Tropes des Genres mit sicherer Hand ab, fügt dem üblichen Prozedere aber kaum neue Elemente hinzu. Es gibt die gewohnten Zutaten – den moralisch aufrechten, aber zweifelhafte Methoden anwendenden Bullen, die ihm und seinen Methoden ablehnend gegenüberstehenden Vorgesetzten, eine skrupellose Gangsterbande, Verfolgungsjagden, einen Banküberfall, mehrere shoot-outs, alles streng nach Baukasten. Es gibt halt nur eine begrenzte Anzahl an Möglichkeiten, diese Elemente, die offensichtlich als zwingend notwendig fürs Genre erachtet wurden, zu kombinieren.

Wie praktisch alle polizioteschi ist auch „Stadt in Panik“ natürlich ein Kommentar zur gesellschaftlichen und politischen Lage des Italiens der 70er Jahre, eines Landes, das zwischen den Umtrieben des organisierten Verbrechens und den Terroranschlägen der Roten Brigaden (bzw. den rechtsextremen U-Booten, die von P2 und GLADIO beauftragt wurden) zerrieben wurde. Selbst der traditionell politisch links orientierte italienische Genrefilm schwenkte dadurch in reaktionäre Gefilde – es wurde das entschlossene Eingreifen gegen die kriminellen Umtriebe gefordert, etwas, was sowohl Volk als auch Filmemacher dem Staat und seinen Organen nicht mehr zutraute, sei’s, weil man sie für verweichlicht oder für viel zu verstrickt mit der Mafia hielt (eine Befürchtung, die sich im Nachgang als völlig berechtigt herausstellen sollte). Ich denke, einen guten Teil der Verdrossenheit der Italiener mit den „etablierten“ Parteien und das seit über 20 Jahre herrschende Faible für Populisten wie Berlusconi, Salvini oder Beppe Grillo resultiert aus der tatsächlich begründeten Verachtung für die klassischen Christ- oder Sozialdemokraten, die sich viel zu oft mit der Mafia ins Bett gelegt oder gar ihre eigenen mafiösen Strukturen gebildet hatten.

Wie gesagt, das ist dann auch die politische Leitlinie von „Stadt in Panik“ – inkompetente Behördenhengste halten den tapferen Kämpfer auf der Straße davon ab, seinen Job, die Bürger vor dem Verbrecher zu schützen, effektiv auszuführen. Das ist ein solch festgefahrener Topos, dass Merli eigentlich in all seinen Polizeifilmen den gleichen Charakter spielen könnte, da gibt’s nicht viel Varianz. „Stadt in Panik“ erlaubt ihm vielleicht etwas mehr Tiefgang – Murri ist nicht nur durch das erlittene Trauma der verlorenen Familie zum Proto-Punisher geworden, der nur einen toten Gangster für einen guten Gangster halt, es behindert ihm auch im Aufbau einer ehrlichen Beziehung zu Laura, doch, auch wenn ein ordentlicher polizioteschi seinen Helden nicht in ein „happily ever after“-Ende entlassen kann, ihm wird ein Hoffnungsschimmer erlaubt, dass die Zukunft vielleicht doch positiv werden kann.

Von der handwerklichen Seite gibt’s recht wenig auszusetzen – um die Zeit drehten die Italienier einen patenten Polizeifilm mutmaßlich im Schlaf, und auch wenn die bewährte Formel nicht abgewandelt wird, so wird sie doch kompetent umgesetzt. Die Motorrad-Verfolgungsjagd zu Beginn ist durchaus anständig, die shoot-outs sind knackig und blutig. Die Kameraarbeit ist überwiegend zweckdienlich, ohne Experimente, ebenso der Schnitt, der sich nur erlaubt, hin und wieder kurze Flashback-Sequenzen zum Tod von Murris Familie einzublenden (aber sie erst kurz vor der finalen Aktion aufzulösen. Aber bis dahin haben wir uns alles Nötige längst selbst zusammengereimt). Als Background verwendet Rosati das Rom des normalen Bürgers, nicht das des Touristen, wir bekommen also nicht das Klischee-Rom, sondern das, in dem sich das alltägliche Leben der Bevölkerung abspielt.

Abgesehen von der reichlichen Gewalt darf man sich an der Schönheit von Silvia Dionisio erfreuen, die sich dankenswerterweise beinahe komplett entblättert.

Eher unter die Schublade „schön scheußlich“ fällt der Score von Giampaolo Chiti („Haie kennen kein Erbarmen“), der als Leitmotiv durchaus ohrenfolternde dissonante Klänge einsetzt.

Schauspielerisch trägt natürlich Maurizio Merli die gesamte Operation. Und man muss schon feststellen, für jemanden, der quasi nur als Zweitbesetzung von Franco Nero den Durchbruch schaffte, bringt er erstaunliche Ausstrahlung und große Screenpräsenz mit, ganz abgesehen davon, dass er als harter Hund, der sowohl Fäuste als auch Kanone einzusetzen weiß, absolut überzeugend ist. Als geplagter Polizeipräsident reüssiert Hollywood-Mime James Mason („Sprengkommando Atlantik“), dem man keinen Vorwurf machen könnte, würde er durch die Rolle schlafwandeln, aber er spielt sie mit vollem Einsatz, ein einziger nervöser Tick vom Scheitel bis zur Sohle. Den Gangsterchef Lettieri spielt der Franzose Raymond Pellegrin („Kaiserliche Venus“, „Der Rächer aus dem Sarg“), der aber insgesamt wenig Möglichkeiten hat, sich in den Vordergrund zu spielen (im Fokus des Films steht nun mal der Ermittler, nicht der Täter).

Silvia Dionisio („Eiskalte Typen auf heißen Öfen“, „Horrorsex im Nachtexpress“) ist supersüss und fällt auch darstellerisch nicht durch den Rost. Fausto Tozzi („Liebe am Ende der Welt“, „Ein Pate kommt selten allein“, „Die Valachi-Papiere“) gibt Murris zerknitterten Partner Esposito, der britische Charakterdarsteller Cyril Cusack („1984“, „Mein linker Fuß“, „Catholics“, „Fahrenheit 451“) stargastet als der alte Massoni.

„Stadt im Panik“ findet sich in der verdienstvollen „Eurocrime“-Blu-Box von Koch Media, die sich jeder Genreinteressierte bei Gelegenheit unter den Nagel reißen sollte. Der Film wird in wunderschönem 1.85:1-Widescreen präsentiert, weniger toll ist allerdings der recht knarzige und schepprige deutsche Synchronton. Als Disc-Extra gibt’s eine gut zwanzigminütige Featurette namens „Maurizio Merli – Bis an die Zähne bewaffnet“, die Merlis polizioteschi-Karriere in gebotener Kürze rekapituliert. Die Box beinhaltet darüber hinaus die Filme „Gewalt über der Stadt“ und „Convoy Busters“ sowie die abendfüllende Dokumentation „Eurocrime“.

„Stadt in Panik“ ist sicherlich nicht der allerbeste polizioteschi, aber ein passabler repräsentativer Genrevertreter, der alles beinhaltet, wofür das Genre bekannt und bei seinen Fans beliebt ist. Mag die Nummer auch nicht die Originalität an und für sich sein, so wird solides Entertainment geboten, und Maurizio Merli zeigt eindrucksvoll, warum er die Nummer 1 der polizioteschi-Kommissare war, ist und immer sein wird.

© 2019 Dr. Acula


BOMBEN-Skala: 5

BIER-Skala: 6


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