Joan Lui – Eines Tages werde ich kommen und es wird Montag sein

 
  • Deutscher Titel: Joan Lui - Eines Tages werde ich kommen und es wird Montag sein
  • Original-Titel: Joan Lui - Ma un giorno nel paese arrivo io di lunedi
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  • Regie: Adriano Celentano
  • Land: Italien/BR Deutschland
  • Jahr: 1985
  • Darsteller:

    Adriano Celentano (Joan Lui), Marthe Keller (Judy), Claudia Mori (Tina), Federica Moro (Emanuela), Edwin Marian (Capt. Arthur), Gian Fabio Bosco (Winston), Mirka Setaro (Musica), Rita Rusic (Sängerin im Tempel), Haruhiko Yamanouchi (Yarak), Sal Borghese (Frank)


Vorwort

Eines Montags taucht er in einer italienischen Stadt auf – Joan Lui. Charismatisch, musikalisch begabt, in der Lage, aus der Szenerie eines brutalen Überfalls ein sponantes Happening mit Gesang und Tanz zu machen, und generell mit der gesellschaftlichen Gesamtsituation unzufrieden. Was die Menschheit so in den letzten 2000 Jahren rum angestellt hat, findet sein Wohlgefallen nicht. Trotzdem und/oder deswegen wird Joan in Nullkommanix zum Popstar, dessen Singles sich wie geschnitten Brot verkaufen. Seine Karriere wird von der raffgierigen Agentin Judy gefördert; argwöhnisch betrachtet dagegen Tina, Chefredakteurin der kommunistischen Tageszeitung „Kurier des Ostens“, den kometenhaften Aufstieg des Sängerknabens, den sie nur für einen zeitgeistig verpackten Ruhigsteller im Dienste des Großkapitals hält.

Bei einem Auftritt in einer zur Disco umgebauten Kirche singt Joan in einer unbekannten Sprache, löst apokalyptische Szenen und eine Massenpanik aus und heilt, wo er gerade dabei ist, noch ein paar Kranke – darunter ist allerdings Yarak, Vorsteher eines internationalen Verbrechersyndikats, das mit Drogen, Waffenhandel und Prostitution sein Geld verdient, und der Joan herzlich gerne korrumpieren würde. Trotz einer vierzigtägigen Entführung bleibt Joan standhaft und gewinnt immer weiter an Einfluss – vom Staatspräsidenten lässt er sich sogar einen „Knopf“ spendieren, mit dem er sich jederzeit in alle Fernsehprogramme einschalten kann.
Das kann auf die Dauer nicht gut gehen; dieweil Joan eine wachsende Gruppe Anhänger um sich schart, mit denen er in einer Art Kommune in einer zum Fernsehstudio/Theater umgebauten Fabrik lebt und gelegentlich Yarak schadende Skandale aufdeckt, nimmt der Verbrecherboss – nicht uneigennützig – den Auftrag zur Ermordung des singenden Predigers entgegen. Während einer Live-Sendung soll Joan getötet werden…


Inhalt

Es gibt Filme, die einen irgendwie ein Leben lang begleiten – „Joan Lui“, ein insgesamt eigentlich recht wenig bekannter Celentano-Film, gehört dazu. 1986 war der Mann mit der großen Nase durchaus noch eine große Nummer im europäischen Kintopp, ganz speziell in Deutschland. Ulkige Gassenhauer wie „Der gezähmte Widerspenstige“ oder „Gib dem Affen Zucker“ waren sensationell gut im Kino gelaufen und auch qualitativ schwächere Celentano-Klamotten wie „Asso“ oder „Bingo Bongo“ spülten den Verleihern ordentliche Gewinne in die Kassen. Eins aber war klar – die filmischen Werke des eigentlich als Sänger-mit-rauchiger-Stimme („Azurro“ kennt ja wohl jeder) zum Star gewordenen Italieners waren durch die Bank anspruchlose Clownereien. Celentano besass, das wollte sicher niemand bestreiten, einen ordentlichen Humpen komischen Talents, aber als großen dramatischen Schauspieler hätte ihn wohl niemand bezeichnet. So Ende 1985 rum kündigte die BRAVO (ja, ich hab die damals gelesen. Verklagt mich. Im Vergleich zur heutigen BRAVO hatte die damals aber noch echtes literarisches Format) einen neuen Celentano-Film an – eben „Joan Lui“. Die rudimentäre Inhaltsangabe und die Fotos faszinierten mich, aber im Kino verpasste ich den Streifen gnadenlos (der Kinoeinsatz in Tschörmonie war wohl auch ausgesprochen kurz und erfolglos, sicher eben drum, weil’s keine neue Celentano-Klamotte war), aber auf Video ergatterte ich den Streifen relativ schnell. Und er faszinierte mich auch tatsächlich – ich kaufte mir die Soundtrack-LP, führte den Film allen greifbaren Freunden vor, und das, obwohl mir bereits damals klar war, dass das, was wir Deutschen sehen durften, nicht die Vision war, die Celentano im Sinne hatte (das konnte ich mir schon anhand des alten BRAVO-Artikels zusammenreimen, der Szenen referierte und Fotos lieferte, die in der Videofassung schlicht und ergreifend nicht vorkamen).

Mit dem Einmotten meines Videorekorders und seines Futters musste ich mich von der regelmäßigen Joan-Lui-Zuführung verabschieden, aber im Digital-TV tauchte der Film neulich wieder auf (sogar, wenn mich nicht alles täuscht, in einer geringfügig längeren Fassung als die alte Videoversion) und packte mich sofort wieder. Und zwar nun so weit, dass ich mich ernstlich daran machte, eine ungeschnittene Version aufzutreiben. Tatsächlich wurde ich auf dem amazon-Marketplace fündig und ergatterte eine italienische DVD. Die brauchte ewig lang, bis sie bei mir eintraf, und hatte dann auch noch die Frechheit, ohne die versprochenen englischen Untertitel aufzuschlagen, aber die dt. Fassung kenne ich soweit in- und auswendig, dass es mir recht leicht fiel, Unterschiede und bislang fehlendes Material zu identifizeren (es sind immerhin fast 20 Minuten).

Okay, ich vermute mal, meine persönlich-historischen Exkurse interessieren Euch weniger, also zum Film selbst. „Joan Lui“ ist ein absolutes Ego-Projekt von Adriano Celentano, der für Drehbuch, Regie, Hauptrolle, Musik und Schnitt (!) verantwortlich zeichnet – sicherlich aufgrund der Tatsache, dass Celentano in Deutschland zog, konnte er eine deutsche Produktionsfirma mit ins Boot holen (die dann sicherlich angemessen entsetzt war, dass der Maestro einen absolut un-Celentano-igen Film ablieferte und wohl, um zu retten, was nicht zu retten war, die hierzulande bekannte Schnittfassung konstruierte). Und welches Thema könnte für ein Ego-Projekt schöner sein als die Wiederkunft Christi? Storymäßig ist „Joan Lui“ natürlich nichts anderes als eine sich vage an den Stationen des Neuen Testaments orientierende Mär über die Rückkehr des Gottessohns im 20. Jahrhundert im Gewande eines Popstars – eine in den 80er Jahren absolut passende Metapher, da muss man Celentano beipflichten. In unseren Zeiten (Ende 2011, wo ich dieses schreibe) müsste Adriano sicherlich umdenken – jetzt, wo die durchschnittliche Halbwertzeit eines Popstars gerade mal eben bis zum Ende seiner „DSDS“-Staffel reicht und niemand mehr auch nur eine leise Ahnung haben dürfte, was Leute wie Thomas Godoj oder Tobi Regener treiben, und selbst ein weltweiter Mega-Star wie Lady Gaga nicht durch ihre politischen Statements, sondern maximal durch ihre durchgeknallten Outfits ins Gespräch kommt, müsste man die Geschichte vermutlich auf einen Filmstar ummünzen (sicher, es gibt auch heute noch Pop-Prediger wie Bono, aber U2 und damit auch Bonos Ruhm liegen in den 80ern begründet).
Celentano ist nicht der erste Filmemacher, der sich am Motiv des predigenden Popstars abarbeitet – Dokufilmer Peter Watkins beackerte ähnliches Terrain in „Privileg“, den ich auch schon ein Weilchen bei mir rumstehe habe; aber wo es Watkins um die Manipulierbarkeit der Massen ging (sein rebellischer Steven Shorter wird vom konservativen Establishment „umgedreht“, auf dass seine Fans auch seinen neuen, konservativen Botschaften folgen), gibt es bei Celentano keine „hidden agenda“ – Joan Lui *ist*, wer er zu sein vorgibt (er geht damit auch recht offensiv um; es ist seine Umwelt, die nicht begreift, wen er vor sich hat, was er in der Nummer „Il Tempio“ auch thematisiert – „you didn’t understand me when I came the last time“), aber – wenngleich Celentano das vermutlich nicht so beabsichtigt hat – er hat keine klare Botschaft.

Joan Lui wettert sicherlich gegen die Auswüchse des Kapitalismus, gegen die Korruption und Unfähigkeit der Politiker, aber er bietet nicht wirklich eine Alternative an (zumindest keine, die über „macht’s anders“ hinausgeht) – und der nominelle Feind des Kapitalismus, der Sozialismus, steht durchaus ebenfalls auf Joans Abschussliste (er ist in der Hinsicht weniger deutlich, allerdings lehnen die „Vertreter“ des Sozialismus im Film Joan noch eindeutiger ab als die des Kapitalismus, die zumindest versuchen, den predigenden Sänger zu instrumentalisieren, und sei es dadurch, dass sie sich an die Rockzipfel seiner Popularität bei den Massen anhängen). In der Klimax des Films ergeht sich Lui/Celentano (hier verschwimmen sicherlich die Grenzen zwischen Filmfigur und realer Person) in einer mehrminütigen Publikumsbeschimpfung, indem er klar stellt, dass niemand anderes als „wir“ (das Volk selbst) verantwortlich ist für die politische und gesellschaftliche Misere – „wir“ wählen korrupte Politiker in hohe Ämter (was in Italien, in dem Verbindungen der jeweiligen Regierenden zur Mafia ja praktisch nationale Tradition sind, sicherlich noch etwas beissender sein musste als in unseren Landen), „wir“ ändern nichts an den Ursachen unserer Unzufriedenheit – und er, Joan Lui, wird für „uns“ sicherlich keinen Finger krumm machen (er hat, wie sich herausstellen wird, eine ganz andere, unerfreuliche Botschaft, für uns parat). Das ist ein ziemlich radikaler Schwenk vom nachdenklichen, grüblerischen Joan Lui (der bei seiner ersten TV-Liveschalte nur einige Minuten lang stumm vor der Kamera sitzt, sichtlich überlegt, was er Bedeutungsvolles sagen will und dann einfach den Feed abschalten lässt) über den durchaus wütenden, aber aktiven Brandprediger (der gegen Drogen und Kommerzsucht wettert) und Aufdecker grauenvoller Skandale (darauf gehe ich noch weiter ein, wenn ich die Unterschiede zwischen deutscher und italienischer Fassung aufdrösele).

Ein interessanter Punkt, der zumindest für die deutsche Fassung gilt (inwieweit diese von Celentano abgesegnet ist, wäre sicherlich auch mal reizvoll zu klären), ist, dass Joan Lui den *Kapitalismus* für reformierbar zu halten scheint (Judy ist die einzige, die Joans Botschaft begreift, und verzichtet demonstrativ auf ihren Reichtum), während der Kommunismus eine solche „zweite Chance“ nicht erhält (bemerkenswert ist das schon allein, weil die Kommunisten in Italien die wohl breiteste gesellschaftliche Basis im „Westen“ haben dürften); ich betone aber nochmals, dass diese Interpretation nur für die deutsche Fassung gültig ist.

Generell ist Celentanos Symbolik (die, man glaubt es kaum, in der deutschen Fassung noch reichlich entschärft wurde – hier bleiben an offenkundiger religiöser Symbolik „nur“ Joan Luis zerstörerischer Auftritt in der entweihten Kirche [unschwer als Anspielung auf Jesus, der den Tempel von Händlern und Geldverleihern „säubert“, zu verstehen], seine vierzigtägige Versuchung durch Satan/Yarak und eine leidlich erheiternde Nachstellung des Letzten Abendmahls übrig) nicht gerade subtil; er legt Wert darauf, dass seine Message (wie letztlich undeutlich sie auch sein mag) nicht verklausuliert wird, sondern auch einem, sagen wir mal, weniger intellektuellen, dafür aber bibelfestem Publikum begreifbar bleibt (so ist Tinas persönlicher Assistent ein Lenin-Double). Das kann man böswillig „lazy“ nennen, aber es verleiht dem Film eine eigentümliche, eigenwillige und recht einzigartige Bildsprache – es mag die Brechstange sein (dazu passt auch, dass die Hauptcharaktere abseits Joans durchaus eindimensional gezeichnet sind – Judy ist die raffgierige, nur auf ihren eigenen Vorteil bedachte Kommerzhure, Tina Vertreterin einer in linken Kreisen durchaus anzutreffenden „ich-bin-gegen-alles-speziell-wenn’s-auch-nur-so-aussieht-als-könnte-es-populär-sein“-Schule, die aber keineswegs auf persönlichen Luxus verzichtet – „Salonmarxist“ nennt man das wohl), aber das Zauberhafte an der Brechstange ist, dass sie, wenn korrekt geschwungen, durchaus effektiv sein kann; jedenfalls wird deutlich, dass zumindest Celentano selbst überzeugt ist, eine wichtige Botschaft zu haben, und er sich nicht davon stören lässt, dass ihm als Autor ein wenig die eleganten erzählerischen Mittel fehlen (und, wie gesagt, eine echte Aussage jenseits eines „seid gefälligst NETT zueinander, verdammt“). Das investierte Herzblut kann man ihm jedenfalls nicht absprechen und das nötigt Respekt ab, selbst und gerade mir, der ansonsten bekanntlich bei missionierenden Filmen gern mit hämischem Grinsen die Atheistenclub-Mitgliedskarte rausholt und den Prediger schadenfroh auslacht (es hilft natürlich, dass Celentano zwar religiös motiviert ist, aber nicht in Methodiken des evangelikalen Hetzfilms verfällt).

Wohl als kleines Zugeständnis an die Fans seiner anspruchslosen Klamotten gibt’s die ein oder andere humorige Einlage, witzige Dialoge (gleich zu Beginn, als sich Joan erkundigt, ob er denn wirklich in Italien sei, er sich erinnere, dass es früher mal die Form eines Stiefels gehabt habe und sein Gesprächspartner, der später zu seiner rechten Hand wird, meint, dass dies nicht mehr so sei, aber er die „neue“ Form nicht beschreiben kann, z.B.), die aber immer nur als kurze Auflockerung gesetzt und nie in den Vordergrund geschoben werden.

Als Regisseur erweist sich Celentano am Puls der Zeit – in den zahlreichen musikalischen Einlagen (wenn ich richtig mitgezählt habe, werden sieben Songs dargeboten) bedient er sich, wie schon erwähnt persönlich am Schnittpult, der Stilmittel des zeitgenössischen Mitt-80er-Musikvideos, mit schnellen Schnitten und rasch wechselnden Kamerapositionen; aber auch im „Restfilm“ lässt Celentano nichts anbrennen – weder in den (teilweise wirklich gefährlich aussehenden) Stuntsequenzen (für die übrigens der alte Italo-Trash-Haudgen Sal Borghese verantwortlich zeichnet), den Dialogszenen oder den FX-Einlagen. Trotz oder gerade wegen der immer wieder einfallsreich gestalteten Musical-Einlagen (es gibt sowohl „klassische“ Musical-Nummern, in denen ohne ersichtlichen Grund gesungen und getanzt wird, als auch Song-Performances mit Band), die gerne mit originellen Choreographien punkten, legt der Streifen ein flottes Tempo vor. Einzig Celentanos Fimmel, Sequenzen mit Standbildern zu beenden, den Ton aber noch einige Sekunden weiterlaufen zu lassen, geht erstens mit fortschreitender Laufzeit ein wenig auf den Senkel und scheint zweitens keinem echten dramaturgischen Plan geschuldet zu sein.

Was die Production Values angeht, bin ich mir irgendwie unsicher – es gibt Passagen, die nach verhältnismäßig hohem Budget aussehen (z.B. die große, in der DF gekürzte Stunt-Sequenz mit Autoverfolgungsjagd zu Beginn), andererseits ist manch anderes (hier wäre die Skyline der Stadt, die im apokalyptischen Finale nach allen Regeln der Kunst zerstört wird) ein wenig stilisiert, wobei das weniger nach budgetären Nöten denn nach künstlerischer Entscheidung aussieht (trotzdem sieht’s ein wenig aus wie späterer Showa-Godzilla). Okay, die italienische Wikipedia macht schlau – der Streifen war für Italo-Verhältnisse mit 20 Mrd. Lire extrem teuer, aber auch ein extremer Flop mit einem Einspielergebnis von 7,3 Mrd. Lire (und später Gegenstand diverser gerichtlicher Auseinandersetzungen zwischen Celentano und den Produzenten), es war also offensichtlich wirklich eine bewusste künstlerische Entscheidung.

Die Musik lässt sich sehr eindeutig in den 80ern verorten – Celentano lässt die Tradition der klassischen italienischen canzones außen vor und öffnet sich neuen, modernen Sounds; „L’Uomo Perfetto“ erinnert mit seinen wummernden Bass-Synthis ein wenig an Italo-Disco-Produktionen der Ära, „Il Tempio“, ein monotoner Disco-Stampfer mit Lyrics in Gibberish-Englisch, hätte das Zeug zum Club-Hit gehabt (und wäre heutzutage sicherlich ein gefundenes Fressen für Remixer), andere Songs sind von der Songstruktur traditioneller, aber teilweise schon fast Steinman-esque überproduziert mit hundertstimmigen Chören, symphonischen Orchesterklängen und elektronischen Soundeffekten (Celentano überlässt übrigens ein Lied auf dem Soundtrackalbum seiner Ehefrau Claudia Mori, ein anderes dem Starlet Rita Rusic). Wer Celentano nur als den gemütlichen Brummbären kennt, der mit rauchiger Stimme „Azurro“ schmettert, dürfte einen kleinen Kulturschock erleben (das Soundtrack-Album wurde zwar auf CD aufgelegt, ist aber out-of-print und gesuchtes Sammlerstück). Die meisten Songs glänzen, wie schon erwähnt, durch originelle Tanzchoreographien.

Zu den Schauspielern – Celentano selbst geht in der Lui-Rolle voll auf, was man natürlich auch erwarten darf und kann, wenn man sie sich schon nach allen Regeln der Kunst auf den Leib geschneidert hat; er löst sich relativ weit von seinem lustiger-Knuddelbär-Image und erfüllt den charismatischen Star-Prediger mit Leben.
Seine Ehefrau Claudia Mori spielt die kommunistische Journalistin Tina Foster durchaus mit Gusto, Marthe Keller („Der Marathon-Mann“, „Schwarzer Sonntag“, „Georg Elser – Einer aus Deutschland“) leidet ein wenig unter der arg klischeehaften Rolle, die man ihr zugebilligt hat.
Als Celentanos „sidekicks“ fungieren der Sänger und Schauspieler Gian Fabio Bosco, der in den 70ern einige Hits in Italien hatte, und der populäre Stand-up-Komiker Mirko Setaro (zuständig für die meisten lustigen Szenen ist aber wider Erwarten Bosco).
Für die Besetzung der Satans-Rolle mit dem Japaner Haruhiko „Hal“ Yamanouchi musste Celentano Kritik einstecken – so mancher hielt den Schachzug, aus dem Teufel einen Asiaten zu machen, für rassistisch. Ich halte das nicht für beabsichtigt, Yamanouchis „fiese“ Ausstrahlung dürfte da wichtiger gewesen sein als seine Herkunft. Italo-Fans kennen Yamanouchi als character player aus Schundkloppern wie „Nackt unter Kannibalen“, Das Schwert des Barbaren, „Fireflash – Der Tag nach dem Ende“, „Endgame – Das Spiel mit dem Tod“, Die Schlacht der Centurions oder „Flash Fighter“ (na, wäre doch gelacht gewesen, hätten wir nicht eine echte badmovie-Connection hinbekommen).
Warum Federica Moro („Top Jets“, „Spiegelei und Coca Cola“) viertes Billing genießt, dürfte sich dem Zuschauer, der nur die deutsche Fassung kennt, nicht erschließen (da hat sie nämlich vielleicht zehn Sekunden screentime). Sal Borghese hat neben seiner Stunt-Tätigkeit auch eine kleine Nebenrolle übernommen.

So, und *jetzt* geht’s ans Eingemachte – dass wir in Deutschland mit 107 Minuten Laufzeit nur eine Rumpffassung gesehen haben, ist relativ unumstritten und bekannt. Die italienische DVD-Fassung ist mit 126 Minuten zwar deutlich länger, aber ebenfalls noch massiv gegenüber der 163-minütigen Original-Kinofassung erleichtert. Nach dem Totalflop der Langversion schnippelten die Produzenten für einen Kinoneustart eine 133-Minuten-Version zusammen, die für eine TV-Ausstrahlung nochmals auf 123 Minuten editiert wurde. Die DVD-Fassung ist zwar wiederum etwas länger als die Fernsehversion (und dürfte knapp der zweiten Kinofassung entsprechen), ist aber noch weit weg von dem, was Celentano als seine künstlerische Vision ansah (Celentano betrieb, wie oben schon angedeutet, ein Gerichtsverfahren gegen die Produzenten und schaffte es, die 133-Minuten-Version beschlagnahmen zu lassen). Was den Unterschied zwischen DVD- und Original-Kino-Fassung ausmacht, dürften nur Zeitzeugen bezeugen können; es steht zu befürchten, dass der Director’s Cut für alle Ewigkeiten im Giftschrank verschwunden bleibt (man munkelt sogar von Gore-Szenen). Die Unterschiede zwischen deutscher Fassung und DVD-Fassung kann ich allerdings skizzieren.

Zunächst mal ist festzuhalten, dass die DF keine reine „gekürzte“ Version ist, sondern in einigen Punkten eher eine alternative Schnittfassung darstellt. Während die DF die in der Italo-Fassung reichhaltige christliche Symbolik auf ein Mindestmaß zurückfährt (und sämtliche Bezüge auf Drogen und Sex entbehrt), eliminiert oder kürzt die italienische Fassung die Comedy-Elemente auf ein absolutes Mindestmaß. Einige gravierende anderweitige Unterschiede:

– In der DF fehlt die komplette Anfangssequenz, in der Joan Lui mit dem Zug nach Genua reist. Im Zug entdeckt er einen Drogentoten auf dem Klo und landet im Speisewagen, der ausschließlich von Schwarzen besetzt ist, die ihn verächtlich behandeln (hier würde mich eine Übersetzung der Dialoge stark interessieren. Es scheint so, dass die Schwarzen hier exemplarisch an Joan Lui „Vergeltung“ für rassistische Behandlung verüben);

– die Stunt- und Actionsequenz bei Joans Ankunft in Genua ist wesentlich länger und brutaler, beinhaltet Auto-Stunts und Shoot-outs mit diversen Toten;

– Judy durchleidet einen Alptraum, in der sie den Kreuzgang Jesu erlebt und den erhängten Judas in ihrem Schlafzimmer halluziniert;

– die italienische Fassung ersetzt in der Tempel-/Kirchenszene Rita Rusic‘ Song „Sex without Love“ durch eine von eher generischer Mucke beschallte Montage, zu der Rusic nur im Hintergrund schwoft;

– während der Zerstörung der Tempel-Disco schreit Joans Schlagzeuger, dass er „nicht so“ wäre und „bei ihm“ bleiben wolle (was er dann auch tut). Diese Dialogzeile fehlt in der italienischen Version;

– „Mistero“, der Song, den Celentano in Yaraks Refugium singt, ist völlig anders geschnitten; die zweite Strophe ist quasi ein Duett von Joan Lui und Yarak (der, wie auch in der deutschen Fassung kurz angedeutet wird, Joans Stimme annehmen kann); der große Chor, der in der DF durch Schnitte auf Yaraks tanzende Privatarmee kaschiert wird, ist in der italienischen Version ein Chor aus hochdekorierten Generälen;

– als der Präsident Italiens um die Genehmigung für Joans TV-Knopf ersucht wird, liegt der mit einer nackten Nutte im Bett;

– völlig auf der Strecke bleibt in der DF ein Subplot um, tadaa, Federica Moro als Emanuela, Opfer der Entführung aus der Actionszene zu Beginn. Emanuela wird von Drogensüchtigen gefangen gehalten, die versuchen, auch sie abhängig zu machen. Ein weibliches Mitglied der Gang erhält zum Geburtstag einen Kuchen, dessen Kerzen auf Spritzen stecken, und ein De-Luxe-Spritzbesteck, mit dem sie sich sofort einen Schuss setzt. Als Emanuelas Entführer versucht, auch ihr einen Schuss zu setzen, wird er durch Joans parallel laufende Fernsehansprache „bekehrt“, befreit Emanuala und hat Sex mit ihr. Dies bereitet vor, warum Emanuela in der Klimax in Joans Fernsehstudio sitzt und als erste nach Joans „Wiederauferstehung“ auf ihn zugeht und die ersten Zeilen von „L’ora è giunta“ singt;

– ebenfalls völlig geschnitten wurde, dass Yarak – wohl von Joan Lui – ein „lebensgroßes“ Kruzifix „geschenkt“ bekommt, an dem Yarak Joan selbst, der ihm einladend Nägel und Hammer entgegenhält, halluziniert;

– während Joan Lui in der DF Captain Arthur „lediglich“ auf einen verheimlichten Giftmülltransport hinweist, handelt es sich in der Italo-Version um eine Eisenbahnwaggonladung abgetriebener Föten (!), die ausführlich abgeschwenkt werden (inklusive Parallelmontage einer Geburtsszene), und die von Yarak offensichtlich für die kosmetische Industrie verkauft wurden;

– vor seinem letzten Auftritt hat Joan Lui eine „Vision“, in der er von Tina als „Mittlerin“ zwischen Kommunismus und Kapitalismus träumt (symbolisiert dadurch, dass sie ein Kleid trägt, das aus der amerikanischen und der sowjetischen Flagge geschneidert ist), und sie im „Paradies“ sieht. Den dazu von Claudia Mori geträllerten Song (der einzige echte „canzone“ des Soundtracks) verwendet die DF für den Abspann, der in der Italo-DVD komplett ohne Ton abläuft.

– das Attentat auf Joan Lui ist expliziter, dito der unmittelbare „aftermath“ – Panik im Publikum, um sich schießende Polizisten, trauernde Jünger;

– die finale Nummer ist wesentlich länger (der achteinhalbminütige Song wird voll ausgespielt), die Zerstörungssequenzen sind drastischer und ausführlicher (u.a. wird explizit das Weiße Haus vernichtet, das Sternenbanner verbrannt und ausführlichst und zahlreich gestorben). Während die DF mit einem Hoffnungsschimmer endet (als Judy auf das Geld verzichtet, entgegnet Joan zufrieden „wenigstens du hast verstanden, was ich sagen wollte“, Ende), bleibt die Italo-Version apokalyptischer – Joan spricht mit ihr nur über das „Paradies“, ihre Brieftasche verwandelt sich in einen Lederbeutel mit 30 Silberlingen, die Zerstörung der Welt schreitet weiter voran; während Yarak Opfer von „Laserstrahlen“ aus dem ihm von Joan verehrtem Kruzifix wird, die ihn über einige sudelige make-up-Effekte in eine Schlange verwandeln, ereilt Tina ihr Schicksal in ihrer Wohnung – sie wird von herabfallenden Trümmerstücken erschlagen und begraben, gelangt aber in der Schlusssequenz ins Paradies (Judy allerdings nicht, wenn ich den Film richtig verstehe, was mit der Judas-Metapher auch Sinn ergeben würde), die Welt ist aber offenkundig vernichtet.

Insgesamt ist die italienische Version (auch wenn noch eine knappe halbe Stunde kürzer als die Kinofassung) wesentlich drastischer, graphischer, expliziter als die DF (und wäre mit Sicherheit mit einer 16er-Freigabe in Deutschland gelaufen, alleine schon ob der realistischen Darstellung von Drogentoten und Spritzensetzen), düsterer und hoffnungsloser (zwar erlaubt er Tina den Gang ins Paradies, aber warum genau sie „erlöst“ wird und nicht etwa die bereuende Judy, bleibt unklar. Liegt allerdings vielleicht auch nur daran, dass mein Italienisch gerade mal für ’ne Pizzabestellung reicht), da auch die komödiantische Auflockerung weitgehend fehlt. Ob es den Film „besser“ macht, sei dahingestellt – jedenfalls spielt sich „Joan Lui“ in dieser längeren Version schon runder und einheitlicher als die begreiflicherweise oft etwas abgehackt wirkende DF.

Bildqualität: Einem Giganto-Flop angemessen reisst die DVD von Medusa nicht gerade Bäume aus. Immerhin, einen anamorphen 1.77:1-Print hat man aufgegraben, auch wenn der aussieht wie schon fünfmal durch’s Bleichbecken gezogen, die über 20 Jahre Alter des Films, die der Streifen zum DVD-Release auf dem Buckel hatte, sieht man ihm an. An ein Remastering hat da niemand einen Gedanken verschwendet….

Tonqualität: Das gilt leider auch für den Ton (Dolby 2.0 Mono), der einem Musical nun wirklich nicht angemessen ist. Zwar ist’s rauschfrei, aber völlig undynamisch und speziell in den Höhen ausgesprochen dünn. Ach ja, und natürlich gibt’s nur italienischen Ton, die im amazon-marketplace versprochenen englischen Subs gibt’s nur in der Fantasie des Verkäufers.

Extras: Sage und schreibe gar nix, was freilich bannich schad‘ ist, weil mich schon interessieren würde, was die Beteiligten heute von dem Film halten. Naja, vielleicht mag Adriano ja doch noch mal einen Director’s Cut überwachen (übrigens war „Joan Lui“ in Relation in Deutschland und Russland am erfolgreichsten. Besonders letzteres überrascht doch, aber wer weiß, welche Schnittfassung die Russkis gesehen haben).

Übrigens gibt’s offensichtlich mittlerweile eine weitere DVD-Auflage, die englischen Ton, italienische Untertitel und den Trailer bietet. Damn. Wieso hab ich wieder die falsche?

Fazit: Es ist schon komisch – ich mag normalerweise keine explizit religiösen Filme, speziell nicht, wenn sie predigen, aber „Joan Lui“ fasziniert mich nach wie vor. Es ist sicher kein „guter Film“ im Wortsinn, dafür ist seine Symbolik viel zu dick aufgetragen, sind seine Charakterisierungen zu schwach und seine gesamte Machart, als Musical mit biblischen Metaphern, Zitaten von Action-, Thriller- und (in der Italo-Version) Horror-Imagery, völlig uneinheitlich, aber gerade diese krude, idiosynkratische Gestaltung, die alles einer wie auch immer gearteten künstlerischen Vision ihres Schöpfers unterordnet und sich nicht darum schert, ob das dramaturgisch passt oder kommerziell auch nur ansatzweise verwertbar ist (was mich kurioserweise wieder an ein anderes extrem teures und extrem geflopptes Popstar-Vehikel, nämlich Mylene Farmers allerdings wesentlich eleganteren Giorgino erinnert), macht „Joan Lui“ zu einem für den Freund abseitigen Kinos ausgesprochen reizvollen, interessanten Filmerlebnis. Eins ist sicher – „Joan Lui“ ist ein einzigartiger Film (was womöglich durchaus ganz gut so ist…), und gerade wir Filmfans, die uns oft und gern (und zu Recht) darüber beschweren, dass wir mit austauschbarer Massenware vom Fließband abgespeist werden, sollten das zu würdigen wissen. Und wenn alle Stricke reißen, bleibt’s immer noch ein cooles Musikvideo mit Celentanos womöglich experimentiell-modernster Mucke. Da kann ich nicht unter 4 von 5 Punkten bleiben…

4/5
(c) 2011 Dr. Acula


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Markus
Markus
18. März 2021 11:50

Danke für die ausführliche Besprechung. Ich finde den Film toll. Etwas abseitig, aber packend. Die großartige Musik dazu gibt es inzwischen auch auf Spotify in guter Qualität. Was ich noch immer suche, ist die italo Version, die der Kinofassung am nächsten kommt. Any hints?

Jurek Molnar
Jurek Molnar
26. Mai 2021 15:45

Hallo!

Ich bin selbst ein großer „Joan Lui“ Fan und hab die volle Fassung erst vor kurzem auf Youtube gesehen. Ich gebe dir vollkommen recht und finde auch, dass es kein „großer“ Film ist, aber ich mag ihn, weil er Celentanos Humor und seine Präsenz tatsächlich auf die Leinwand bringt und seine Anwesenheit selbst und sein Blick so gut zwischen dem Kitsch und den Ansprüchen vermittelt.Man weiß nie ganz, ob er das einfach brachial überspitzt oder womöglich doch völlig ernst meint. Der einzige Popstar heute, der ähnliche Qualitäten hat, ist wohl Kanye West.

Für mich ist es eine großartige Satire, die das System von Popstars und ihre messianischen Attitüden ordentlich durch den Kakao zieht, ohne sich dafür zu schämen, dass er auch was zu sagen hat. Die Nadelstiche gegen den „Kurier des Ostens“ und die Kommunistische Partei wären heute nicht mehr drin. Würde man sich so heute über linke Politik lustig machen, wäre man gecancelt, bevor die Preproduction begonnen hat.

Deine Rezension hat viele meiner Fragen beantwortet, die mir beim Sehen der Langfassung gekommen sind, also vielen Dank dafür.

Grüße, JM