Betrachten wir die Angelegenheit als abgeschlossen

 
  • Deutscher Titel: Betrachten wir die Angelegenheit als abgeschlossen
  • Original-Titel: No il caso è felicemente risolto
  •  
  • Regie: Vittorio Salerna
  • Land: Italien
  • Jahr: 1973
  • Darsteller:

    Enzo Cerusico (Fabio Santamaria), Riccardo Cucciolla (Prof. Eduardo Ranieri), Enrico Maria Salerno (Don Peppino), Martine Brochard (Cinzia Santamaria)


Vorwort

Als ich letztens aus Versehen meine beiden internen Festplatten gelöscht hatte, durchforstete ich meine externen, um zu schauen, welche persönlichen Daten ich während der letzten Jahre doch gesichert hatte. Da fiel mein Blick auf drei Dateien aus dem Jahre 2005, drei angefangene Reviews, eines davon sollte mein Einstand hier auf badmovies.de werden. Irgendwie ist es nie dazu gekommen. Ich habe in den 12 Jahren nicht geschafft, nur eins davon zu beenden. „Deadbeat at Dawn“, es sollte ein Langreview werden und die ersten gut 20 Minuten waren schon von mir abgearbeitet; „Crying Fields – Sie wurden zu Bestien der Apokalypse“, da steht zumindest schon das Vorwort; „Die Rückkehr der Zombies“, hier bin ich nur bis zur Überschrift gekommen. Aber was soll’s, jetzt habe ich mich aufgerafft, endlich mal etwas produktives beizutragen. Doch es ist nur ein Bit, kein Langreview, und es ist auch kein Trash, sondern ein richtig ernster (und guter) Film. Trotzdem gute Unterhaltung beim Lesen.

„Unglaublich! Die Welt steht Kopf!“


Inhalt

Fabio Santamaria entspannt gerade des Morgens beim Angeln, als er die Schreie einer jungen Frau vernimmt. Er sieht nach dem rechten und entdeckt im Schilf einen Mann mittleren Alters, der eine junge Frau brutal ermordet. Nach der Tat entdeckt der Mann ihn, und er sieht schnellstens zu, dass er Land gewinnt. Er ist etwas panisch, aber er will den Mord melden. In der nächsten Ortschaft gibt es keine Gendarmerie. Eine Stadt weiter trifft er auf einen Polizisten, doch der ist zu beschäftigt, an einer Kreuzung den Verkehr zu regeln. Er entschließt sich, telefonisch mit der Polizei in Kontakt zu treten, ist aber so verunsichert, dass er wieder auflegt.
Am Nachmittag begibt sich ein anderer Mann zur Polizei, es ist Professor Eduardo Ranieri, ein in seinem Metier geachteter, aber recht introvertierter Mann. Und seit heute morgen ein Mörder. Er beschreibt dem diensthabenden Kommissar die Tat, gibt eine grobe Beschreibung des angeblichen Täters und seines Autos ab. Diese Angaben treffen ziemlich genau auf Fabio zu, nur einige Details hält er zurück. Und der Professor bittet darum, das seine Aussage vertraulich behandelt wird und er anonym bleibt.
Fabio indes kann nicht schlafen, am nächsten Tag bei der Arbeit ist er durch den Wind, versucht sich aber nichts anmerken zu lassen. Dann erfährt er aus der Zeitung, dass nach dem Täter des Mordes, den er beobachtet hatte, gefahndet wird. Und dass die Beschreibung des vermeintlichen Täters auf ihn zutrifft, bleibt ihm nicht verborgen. Fortan wird er immer nervöser und paranoider, auch seine vorher schon nicht harmonische Beziehung zu seiner Frau Cinzia leidet darunter. Währenddessen will der Zeitungsredakteur Don Peppino unbedingt wissen, wer sich hinter dem anonymen Zeugen verbirgt, und durch den hartnäckigen Reporter erhält Ranieri in der Folge mehr Aufmerksamkeit, als ihm lieb ist…

Analyse:
Ein Mörder, der den unliebsamen Zeugen als Täter hinstellt. Die Geschichte war Anfang der 70er schon bestimmt nicht mehr neu, aber ich habe bisher keinen Film gesehen, der dieses Szenario so konsequent und realistisch durchexerziert wie „No il caso è felicimente risolto“. Regisseur Salerno läßt den Zuschauer die Perfidität dieses Zuges und das, was dadurch in Gang gesetzt wird, vollkommen klar werden. Und er zeigt auch auf, wie es dazu kommen konnte, durch welche Umstände dieses Verkehren der Wahrheit begünstigt wurde. Das Herzstück seines Films ist das Innenleben Fabios, denn immer wenn er ihm folgt, gibt Salerno dessen Gedankenwelt preis. Man lauscht seinen Gedanken, wodurch sein nach außen fragwürdiges bis scheinbar komplett unlogisches Handeln doch nachvollziehbar bleibt. Denn der biedere Schalterbeamte benimmt sich mehr und mehr wie ein Verdächtiger, legt sich zuerst eine neue Sonnenbrille zu, läßt unter einem Vorwand beim Barbier seinen Schnauzbart entfernen und flüchtet schließlich vom Ort eines von ihm verursachten Unfalls. Später, im Laufe der polizeilichen Ermittlungen, kommen auch seine kleinen Geheimnisse, seine dunklen Ecken ans Licht. Und der Professor als Mörder und berechnendes kriminelles Genie wird entmystifiziert, es verlaufen die Konfrontationen der beiden Männer, sie begegnen sich insgesamt dreimal, am Anfang, zu Beginn des letzten Kapitels und kurz vorm Ende, nicht ganz so, wie man es von einem Film der Spielart Thriller gemeinhin erwarten dürfte. Bei der zweiten Begegnung erklärt sich der durchaus berechnende Ranieri dem aufgebrachten Fabio gegenüber sogar, diesen bringt es im Endeffekt ja auch nichts, es ändert nichts an seiner Situation, doch für den Zuschauer wird die Person des Professors begreifbar. Die beiden großen Nebenrollen hierbei spielen die Polizei und die Presse. Und bei beiden geht es um die Wahrheitsfindung, jedoch unter verschiedenen Voraussetzungen. Die Polizei geht von einer Annahme aus, die dann, wenn die Kausal-Kette schlüssig ist, also die Annahme sich als plausibel erweist, den Fall als geklärt erachtet. Die Presse hingegen stellt Fragen, die Schlagzeilen produzieren: Wer ist der anonyme Zeuge, und was sind seine Motive dabei? Der Redakteur Don Peppino sieht sich teils auch als Kontroll-Instanz zu den öffentlichen Behörden und der Justiz an sich, was bis zu einem gewissen Grad auch funktioniert. Nämlich solange, wie man sich davon eine steigende Auflage verspricht. Und so wird die Wahrheitsfindung von Ergebnisorientierung, auf der einen Seite einer sicheren Verurteilung und der anderen der schiere Kommerz, behindert, der Leidtragende ist der arme Fabio. Man könnte es jetzt plump abtun, dass der ja zum Teil selbst Schuld ist, weil er sich anfangs nicht überwinden konnte, das Verbrechen anzuzeigen, und auch die falsche Zeugenaussage nicht sofort richtig gestellt hat, doch der Film macht es einen hier nicht so einfach, zu nah ist man immer an ihm dran, muss sich ständig fragen, ob man selbst nicht auch so gehandelt hätte. Auch optisch vermeidet Salerno alles, was den Zuschauer ablenken könnte, es gibt keine grellen oder dunklen Orte, die Farbgebung ist als ziemlich nüchtern zu bezeichnen. Und er bringt seine Geschichte, wo in einem üblichen Spannungsfilm ein Happy-End oder als Tragödie der Tod des einen oder anderen, oder beider, gestanden hätte, nur folgerichtig zu Ende. Er verweigert die befreiende Katharsis, er läßt den Zuschauer mit angestauter Wut und einem üblen Gefühl in der Magengegend zurück. Zumindest in der intendierten Fassung. Von den Produzenten wurde ihm aufgenötigt, noch einen wohl Optimismus vermittelnden, völlig unnötigen und unpassenden Nachklapp zu drehen, der das Potenzial besitzen soll, dem Film seiner Aussage und Wirkung fast gänzlich zu berauben.

Vittorio Salerno, Bruder von Enrico Maria Salerno, der hier den Journalisten spielt, drehte insgesamt nur vier Filme, von denen ich sonst keinen weiteren kenne. Den ersten, „Libido“, drehte er mit Autoren-Kollege Ernesto Gastaldi. Daneben schrieb er noch die Drehbücher für einige Western wie „Sartana“ mit Antonio De Teffé und Gianni Garko, und den Episoden-Euro-Crime „Gern hab‘ ich die Frau’n gekillt“. Er war aber nicht sehr umtriebig, es reichte gerade mal zu einem Dutzend Credits in der IMDB. Er inszenierte „Betrachten wir…“ sehr fokussiert und unterfütterte seinen Krimi mit einer guten Ladung moralischer Fragestellungen: Ist der Bürger, nicht nur der zivilen Courage als Grundlage, verpflichtet, ein Verbrechen in jedem Fall zur Meldung zu bringen? Muss die Polizei einen wasserdichten Fall unter allen Umständen nicht doch von jedem Standpunkt aus betrachten und zur Sicherheit überall nach Schwachstellen abklopfen? Endet die Verantwortung der Presse in ihrer Funktion als investigative Instanz, wenn kein Profit mehr in Aussicht steht?
Es ist alles sehr zielgerichtet und offenbart in der Figur des Fabio einen Fatalismus, der sehr deprimierend wirkt. Ich würde gerne seinen anderen eigenständig inszenierten Film, „Fango bollente“, sehen, aber über Veröffentlichungen dieses Krimis ist auf die schnelle nichts zu eruieren. Und nach „Libido“ arbeitete er 1981 nochmal mit Gastaldi an einem okkulten Horrorfilm zusammen, der dem Vernehmen nach (4,1/10 in der IMDB) nicht besonders gut sein soll.

Das musikalische Thema stammt aus der Feder von Riz Ortolani, der unzählige italienische Genre-Streifen mit seinen Kompositionen veredelte, und steht immer im Dienst der Sache. Sie erklingt, wenn im Film ein neues Kapitel aufgeschlagen wird.
Filme dieser Art neigen oftmals dazu, die Kamera-Arbeit nicht nur unspektakulär und pseudo-dokumentarisch, sondern geradezu trist und anödend zu halten. Aber Marcello Masciocchi versteht sein Handwerk sehr gut und sorgt dafür, das der Film alles andere als langweilig, aber auch nicht zu aufdringlich oder effektheischerisch aussieht. Er fotografierte zuvor auch schon Filme wie „Das wilde Auge“, „Der schöne Körper der Deborah“ oder „Hügel der blutigen Stiefel“. Und der versierte Schnitt von Luciano Anconetani hält die Bilder in Einklang und den Film im Fluss.

Schauspielerisch baut der Film wesentlich auf das Talent von Enzo Cerusico, der als Fabio den größten Teil der Handlung schultern muss und das mit einer großen Bandbreite in seinen mimischen Fähigkeiten eindrucksvoll meistert. Man kann sich leicht mit ihm identifizieren, worauf der Film hauptsächlich in seiner Wirkung fußt. Er war größtenteils im TV zuhause und kam in seiner Filmkarriere unverständlicherweise kaum über kleine Nebenrollen hinaus. Eine seiner größten Rollen war als Co-Star neben Superstar Adriano Celentano im Argento-Flop „Die Halunken“.
Riccardo Cucicolla muss als Mörder, Professor Eduardo Ranieri, mit weit weniger Screentime auskommen, um seinem Charakter Leben einzuhauchen, was aber recht gut gelingt, auch wenn er häufig keinen Text hat. Aber wenn es drauf ankommt, ist er überzeugend. Auch er hat nie den großen Wurf im Business gelandet, viel TV in der Vita. Aber in den 70ern war er gut im Geschäft, „Borsalino & Co“, „Gewalt – Die fünfte Macht im Staat“, „Faccia de Spia“ und ein Co-Star Billing neben Gian Maria Volonte im True-Crime-Drama „Sacco und Vanzetti“ als Anarchist Niccola Sacco, der 1920 genau wie sein Mitstreiter Vanzetti unschuldig zum Tode verurteilt wurde. Er war auch in Mario Bavas „Rabid Dogs“ als bemitleidenswerter, gecarnappter Autofahrer zu sehen.
Als Journalist Don Peppino spielt Vittorios älterer Bruder Enrico Maria Salerno. Er gibt den hartnäckigen, integeren Reporter mit zerkauter Zigarre im Mundwinkel ziemlich kauzig und etwas übertrieben, was aber durchaus beabsichtigt scheint, um die zwiespältige Rolle der Presse in dem Fall hervorzuheben. Er sollte Italo-Liebhabern aus Filmen wie Stenos „Das Syndikat“, Luigi Zampas „Die weiße Mafia“ oder Aldo Lados berüchtigten „Night Train – Der letzte Zug in der Nacht“ bekannt sein.
Die einzige sonst noch wichtige Rolle fiel Martine Brochard als Fabios Frau Cinzia zu. Sie gibt eine gute Performance zum besten, anfangs entnervt und wütend, muss sie mit den Nervenzerfall ihres Mannes, der immer mehr droht, zusammenzubrechen, einhergehend eine seelische Belastungsprobe über sich ergehen lassen, die ihr darstellerisch einiges abverlangt. Soweit ich mich erinnere, war sie in Umberto Lenzis „Labyrinth des Schreckens“ die verrückte Schlampe, in „Mannaja – Beil des Todes“ war sie als Tänzerin nett zu Maurizio Merli, und bei Salernos dritter Regie-Arbeit „Fango bollente“ auch am Start.
Alle anderen Rollen sind eher zweckmäßig angelegt und keiner der Darsteller fällt hier negativ auf.

Der Film im von Salerno intendierten Cut erschien Anfang 2016 von Camera Obscura in der Italian Cinema Collection auf DVD und Blu-ray. Das Bild der Blu-ray gibt sich mit guter Schärfe und Kontrast keine Blöße, ist aber bei schnellen Kamera-Bewegungen ein ganz klein wenig verrauscht. Aber für einen älteren Nischenfilm wirklich gut. Der deutsche Mono-Ton ist glasklar, soweit ich das beurteilen kann, um näher darauf einzugehen fehlt mir leider die richtige Hardware.
Als Extras gibt es einen Audio-Kommentar von Marcus Stiglegger und Kai Naumann, das gut 40-minütige Featurette „Mother Justice“ mit Regisseur Salerno und Darstellerin Martine Brochard, den italienischen Trailer, das alternative Ende und eine Bildergalerie. Der Veröffentlichung liegt ein Booklet von Christian Keßler bei.
Auf Eins Festival und dem MDR lief der Film schon als „Zeuge unter Mordverdacht“ im Producer’s Cut mit alternativem Ende.

Fazit:
„Betrachten wir die Angelegenheit als abgeschlossen“ ist weniger ein Krimi sondern mehr ein Psycho-Drama. Es ist aber wirklich spannend anzusehen, wie Vittorio Salerno das Innenleben seines Protagonisten geradezu seziert. So etwas kann in den falschen Händen schnell mal in Langeweile ausarten, aber die flotte Inszenierung, die guten Darsteller, allen voran Enzo Cerusico, und das harte, aber konsequente Ende sorgen dafür, dass der Film einem länger im Gedächtnis hängen bleibt und auch zu dem ein oder anderen Gedanken anregt. Von solcherlei Filmen dieser Qualität dürfte es bitte viel mehr geben.

4/5


mm
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