Tod im kalten Morgenlicht

 
  • Deutscher Titel: Tod im kalten Morgenlicht
  • Original-Titel: In the Cold Light of Day
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  • Regie: Rudolf van den Berg
  • Land: Großbritannien/Niederlande/Tschechische Republik/Deutschland/Luxemburg
  • Jahr: 1994
  • Darsteller:

    Richard E. Grant (Viktor Marek), Lynsey Baxter (Milena Tatour), Perdita Weeks (Anna Tatour), Simon Codell (Vladimir Kozant), Thom Hoffman (Alexi Berka), James Laurenson (Pavel Nowak), Heathcote Williams (Stephan Nuslauer)


Vorwort

Irgendwo in der osteuropäischen Provinz, nach dem Niedergang des Kommunismus – im Wald wird die Leiche eines kleinen Mädchens gefunden, dem fachmännisch die Kehle durchgeschnitten wurde. Es ist der dritte ähnlich gelagerte Fall – die Opfer sind blond, ohne Zeichen eines Kampfes oder sexuellen Missbrauchs aufgefunden worden und am hellichten Tag verschwunden. Polizeichef Nowak, der seine Polizeikarriere zugunsten einer solchen in der Politik aufzugeben gedenkt und einen schnellen Erfolg braucht, schießt sich schnell auf den Kiffer Alexi als Hauptverdächtigen ein. Schließlich hat Alexi eine Vorstrafe wegen Unzuchts mit Minderjährigen und schon sein alter Herr, ein liberaler Professor, war ein ewiger Störenfried im sozialistischen Paradies. Nowaks Stellvertreter Marek, der der Mutter des letzten Opfers in die Hand versprochen hat, den Mörder zu schnappen, glaubt nicht an die Theorie seines Chefs, die eh nur von äußerst vagen Indizien gedeckt wird. Dennoch gelingt es Nowak, mit bewährten Ostblock-Methoden aus Alexi ein Geständis zu quetschen und als der sich dann umgehend in seiner Zelle erhängt, ist der Fall für beinahe alle Beteiligten zu allgemeiner Zufriedenheit abgeschlossen. Nur nicht für Marek, der wutentbrannt die Brocken hinwirft und sich in das Vorhaben hineinsteigert, den wahren Täter zu fassen. Der mit ihm befreundete Psychologe Nuslauer gibt ihm ein paar Tipps, aber richtig vorwärts kommt Marek erst, als er Anna kennenlernt – ein kleines Mädchen, das perfekt ins Opferprofil des Killers passen würde. Marek lässt sich auf ein gefährliches Spiel ein – er will Anna als Lockvogel für den Killer benutzen, natürlich ohne dem Mädchen oder seiner Mutter, die er der Einfachheit halber als Haushälterin engagiert, reinen Wein einzuschenken. Und tatsächlich stellt der Mörder den Kontakt zu Anna her…


Inhalt

Wer irgendwann mal im Laufe seines Lebens ansatzweise eine schulische Ausbildung durchlaufen hat, wird erkannt haben, dass es sich bei „Tod im kalten Morgenlicht“ um eine Neuverfilmung des Heinz Rühmann/Gert Fröbe-Klassikers „Es geschah am hellichten Tag“ und mithin um eine weitere Adaption des zugrundeliegenden Romans „Das Versprechen“ von Friedrich Dürrenmatt handelt. Alarm! Schülerschreck! Wobei man der Fairness halber ja wirklich einräumen kann, dass Dürrenmatt im direkten Vergleich mit all der anderen Literatur, mit der man im Deutschunterricht normalerweise gequält wird, ein Feuerwerk an Spannung, Spaß und guter Laune ist – nicht nur ist Dürrenmatt gut lesbar, ihm gelingt es auch immer, zeitlose große moralische Fragen zu behandeln, ohne dabei in pures Oberlehrertum zu verfallen, vgl. „Besuch der alten Dame“.

Auch „Das Versprechen“ ist von Dürrenmatt nicht in dem Bestreben geschrieben worden, dem Publikum einen Thriller hinzuknallen, bei dem der Leser auf den Nägeln kaut – im Rahmen der vordergründigen Thrillerhandlung behandelt der Autor ein komplexes moralisches Dilemma, eine schwierig zu beantwortende und auch relevante ethische Frage, die man prinzipiell auf ein „Heiligt der Zweck alle Mittel?“ herunterrechnen kann. Welches Risiko darf man eingehen, um, wie in diesem Fall, einen gefährlichen Straftäter zur Strecke zu bringen? Welche persönliche Verantwortung darf man sich aufladen, ohne im Zweifelsfall eine Katastrophe auszulösen? Wenn man so will, kann man von dieser Problemstellung, die hier am Einzelfall „Kindermörder“ (wobei interessanterweise die sexuelle Thematik ausgeklammert bleibt, sexueller Mißbrauch ist ausdrücklich kein Thema) festgemacht wird, abstrakte Linien ziehen zu dem „Folterskandal“ in Frankfurt oder auch der Frage, die Steven Spielberg in seinem aktuellen Streifen „München“ stellt. Dürrenmatt interessieren hierbei allerdings weniger die generellen gesellschaftlichen Implikationen, sondern die persönliche Belastung eines hypothetischen Betroffenen. Sein Hauptcharakter, in dieser Adaption eben Viktor Marek, entwickelt einen ungesunden Fanatismus, wenn es darum geht, den Mörder zu fassen, weil er es der Mutter eines Opfers versprochen hat. Diesem Ziel ordnet er alles andere unter – er opfert seine Karriere, seine Freundschaft zum Psychologen Nuslauer und bringt nicht zuletzt seinen unfreiwilligen Lockvogel Anna, obwohl er das Mädchen liebt und parallel versucht, mit dessen Mutter Melina eine Ersatzfamilie aufzubauen (er selbst ist geschieden und sieht seinen Sohn kaum), in Lebensgefahr, ohne darüber wirklich nachzudenken (immer wieder versichert er Nuslauer, dass er die Situation „völlig im Griff“ hat, obwohl jedem klar ist, dass die Wahrheit ganz anders aussieht).
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Darüber hinaus wird versucht, das Innenleben eines Kindermörders zu ergründen. In der heutigen Zeit, in der der Mißbrauch von Kindern auf täglicher Basis Schlagzeilen macht, mag es ein wenig verwundern, dass die sexuelle Komponente negiert wird, andererseits hätte selbst ein Dramatiker wie Dürrenmatt zur Entstehungszeit der Vorlage kaum mit einer derartigen Thematik durchkommen können. So beschränkt sich auch der Psychopath in diesem Film darauf, mit den Kindern zu spielen, und zwar sind damit wirklich Kinderspiele gemeint. Seine Mord-Motivation besteht darin, dass er den Kindern das Leid ersparen will, erwachsen werden und die grässlichen Dinge, die Erwachsene eben tun, erleben zu müssen. Es ist ein interessanter Ansatzpunkt, ob er psychologisch richtig ist, wage ich von meiner Warte aus nicht zu beurteilen.

Nun stellt man sich natürlich die Frage, ob mit „Es geschah am hellichten Tag“, einem Film, der Heinz Rühmann in einer für ihn extrem ungewöhnlichen Rolle zeigte, nicht alles zum Thema gesagt ist, aber selbstverständlich ist eine Neuverfilmung angesichts der immer noch aktuellen Thematik erlaubt (abgesehen davon, dass der internationale, sprich englischsprachige Filmmarkt eine deutschsprachige Verfilmung eh unter „ferner liefen“ abhandelt). „Tod im kalten Morgenlicht“, inszeniert vom Holländer Rudolf van den Berg, der ansonsten mit keinen kinematischen Großtaten aufgefallen ist (eingefleischten holländischen Filmfans mag seine Filmografie etwas sagen, mir nicht), versucht den schwierigen Spagat, für das „gewöhnliche“ Publikum aus der Vorlage eine spannende Thrillerhandlung zu destillieren, ohne dabei die psychologischen und philosophischen Aspekte außer Acht zu lassen. Wie so oft, wenn versucht wird, Anspruch und simple Unterhaltung miteinander zu verbinden, geht die Rechnung nicht ganz auf, und beinahe ebenso „normal“ ist es, dass die Thrillerelemente besser funktionieren als das psychologische Drama. Im Klartext heißt das, dass die ersten zwanzig Minuten großartig sind, sich eine Stunde relativen Leerlaufs anschließt, ehe zum spannungsgeladenen Finale geblasen wird, wobei, angesichts des Themas geschmackvollerweise (wie man’s nicht machen sollte, kann man in meinem Review zu „A Promise Kept“ nachlesen) auf übermäßig spekulative Elemente verzichtet wird – das Thema ist schließlich bedrückend genug, ohne dass man durch graphische Gewaltexzesse nachhelfen müsste.

Die beste Phase des Films ist aber zweifellos sein erster Akt – vom Fund der Mädchenleiche über die hektische Ermittlungsarbeit der Polizei, die Verhöre des Verdächtigen, dessen Selbstmord und Mareks Ausbruch bei Nowaks Abschieds-/Wahlkampfveranstaltung ist das packend inszeniert. Danach geht dem Streifen und seinem Regisseur leider die Puste aus. Mareks langsames Abgleiten in den Wahn, den Killer um jeden Preis fangen zu müssen und der Aufbau seiner „Ersatzfamilie“ um Lockvogel Anna sowie die dem Zuschauer rasch enthüllte Identität des Täters und die Schilderung seiner speziellen Klatsche, das mag alles im Sinne der Vorlage gut gemeint sein, es plätschert nur leider ziemlich dahin (wer daran einen gewichtigen Anteil trägt, verrate ich in der Abteilung „Schauspielerei“). Mit der Kontaktaufnahme des Killers zu Anna zieht wenigstens das Tempo und die Spannungskurve leicht an, obgleich natürlich das Resultat dramaturgisch zwingend vorhersehbar ist und, speziell aus heutiger Sicht, die Naivität, mit der Anna dem Killer gegenübertritt, theoretisch schon fast nicht mehr glaubhaft ist (andererseits passiert heutzutage ja mehr als genug in der Richtung, also scheint sich noch nicht zu allen Eltern und Kindern herumgesprochen zu haben, welche Vorsicht man wann walten lassen sollte). Das Finale kommt dann recht überhastet und hektisch, baut einen ziemlich sinnlosen Autostunt ein und ist vom Outcome her psychologisch nicht ganz befriedigend (ich muss zu meiner Schande aber gestehen, dass ich den Schluss der Romanvorlage und des Rühmann-Films grad nicht im Kopf habe… die Daten hab ich wohl mit wichtigen Trivias über Godzilla-Filme o.ä. überschrieben).
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Optisch ist der Film gefällig, aber kaum bemerkenswert. Obwohl für Kinoeinsatz konzipiert, ist der Streifen im Pantoffelkino fraglos besser aufgehoben, er wirkt sehr TV-mäßig (wohlgemerkt: wie ein qualitativ guter TV-Film, nicht der Durchschnittskram, mit dem uns die TV-Sender alle Nase lang behelligen). Vereinzelte Einstellungen stehen deutlich über dem Rest der Kameraführung (die eindrucksvollste Sequenz ist aber eine Traumsequenz), Schnitt, Ausstattung und Musik liegen auf solidem Niveau.

Kommen wir zu meinem Hauptproblem mit „Tod im kalten Morgenlicht“ und das ist leider sein Hauptdarsteller. Richard E. Grant ist fraglos ein großartiger Charakterdarsteller in Ensemblefilmen wie „Prét-a-portér“ oder „Gosford Park“ sein (außerdem sah man ihn z.B. als exaltierten Millionär in „Hudson Hawk“, im „Kleinen Vampir“ und Coppolas „Dracula“), aber in der fraglos für den Film existentiellen Hauptrolle ist er überfordert. Oder vielleicht ist „überfordert“ das falsche Wort, er ist einfach der falsche Typ für die Rolle. Grant ist nunmal Brite und so legt er den Marek auch an – stocksteif. Den inneren Konflikt, den er drehbuchgemäß ausfechten muss, findet bei ihm mimisch überhaupt nicht statt, anstelle dies irgendwie darstellerisch, eh, „darzustellen“, belässt es Grant dabei, sich im Filmverlauf einen Dreitagebart stehen zu lassen, der andeuten soll, dass sein Charakter auch nicht mehr alle beisammen hat. In seinem Spiel ist keinerlei Emotionalität, er hat immer den selben Gesichtsausdruck, er schafft es einfach nicht, diesen Typus „blasierter englischer Gentleman“ auszuschalten, der für diese Rolle totales Gift ist. Schade – aber es gibt einfach Rollen, die nicht zum Schauspieler passen – Mike Abbott spielt schließlich auch nicht den „Hamlet“.

Die weiteren Darsteller sind besser, aber nicht herausragend. Lynsey Baxter („Die Abenteuer des jungen Indiana Jones“, „Der Knochenjäger“) lässt in ihren größeren Szenen die Emotionalität aufblitzen, die Grant so sehr vermissen lässt (gerade im direkten Zusammenspiel der beiden wird schmerzlich deutlich, wie wenig Grant ihrer Explosivität entgegenzusetzen hat), James Laurenson (vielbeschäftigter britischer TV-Mime, außerdem in Ken Wiederhorns „House on the Hills“) gibt einen angemessen widerwärtigen Polizeichef Nowak, an Heathcote Williams (Heathcote? So heißen Leute doch nur in Cartoons und Sitcoms…; zu sehen war er u.a. in „Dinotopia“, „Wish You Were Here“ und der Bombast-TV-Miniserie „Die Odyssee“) stört mich, dass er mit seiner Wuschelfrisur irgendwie wie Costa Cordalis aussieht – da kann ich mich schon fast nicht mehr auf schauspielerische Meriten konzentrieren. Der kurze Auftritt von Thom Hoffman („Orlando“, „Dogville“, „Wolffs Revier“) als Alexi ist recht eindrucksvoll und Simon Cadell, hauptsächlich in britischen Fernsehserien aller Art beschäftigt, gibt den Kindermörder größtenteils zurückhaltend mit gelegentlichen Ausbrüchen, insgesamt gefällig. Perdita Weeks zieht sich für eine Kinderdarstellerin gut aus der Affäre (sie löst keine Hassgefühle bei mir aus, und das ist eines der höchsten Komplimente, dass ich für Kinder“stars“ vergeben kann).
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Bildqualität: DVDs aus dem Billigheimerhause „Pricelight“ sind auch nicht dafür bekannt, High-End-Criterion-Lösungen auf Silberscheibe zu präsentieren. Die Qualität des verwendeten Prints (non-anamorphes Widescreen, an den Seiten leicht beschnitten, um auf ein ca. 1.78:1-Ratio zu kommen) ist durchschnittlich – es schleichen sich einige Störungen und Verschmutzungen ein, das Bild ist recht grobkörnig und nicht immer auf der scharfen Seite und plagt sich mit leichtem Grundrauschen. Für den Budget-Bereich aber noch tragbar.

Tonqualität: Mehr als deutscher Ton in Dolby Digital 2.0 wird nicht geboten. Die Tonspur ist erträglich ausgefallen, die Sprachqualität ist gut, Sound- und Musikmix durchschnittlich (die Musik ist gelegentlich knarzig), Rauschen ist nicht zu verzeichnen. Auch hier – für die Preisklasse akzeptabel.

Extras: Gar nix, selbst das Kapitelmenü hat man ins Hauptmenü integriert.

Fazit: „Tod im kalten Morgenlicht“ geht mit dem heiklen Thema geschmackssicher um, laboriert aber an dem zu tranigen Mittelteil, der die eigentlich relevanten und im Mittelpunkt der Vorlage stehenden zentralen Punkte behandelt, überzeugt stärker in seinen Thriller-Elementen. Das ergibt summa summarum einen gut gemeinten, sein Thema aber insgesamt knapp verfehlenden Streifen, den man sich gut ansehen kann, ohne sich über die verschenkte Zeit zu grämen, im Endeffekt aber, und das ist angesichts der Vorlage und des filmischen Vorbilds schon eine Enttäuschung, „belanglos“ zu sein. Der ganz große Schwachpunkt ist die schlicht unpassende Performance von Hauptdarsteller Richard E. Grant. Mit einem Schauspieler, der dem Charakter Marek mehr Leben eingehaucht hätte, wäre der Film ein ganzes Stück besser geworden.

2/5
(c) 2005 Dr. Acula


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