Science Of Horror

 
  • Deutscher Titel: Science Of Horror – Wenn die Kettensäge zum Penis wird
  • Original-Titel: Science Of Horror – If the chainsaw is a penis
  •  
  • Regie: Katharina Klewinghaus
  • Land: Deutschland
  • Jahr: 2007
  • Darsteller:

    mit Wes Craven, John Carpenter, Bruce Campbell, Rachel Talalay, Jeffrey Combs, Tom Savini, Lloyd Kaufman, Neil Marshall, Brian Yuzna, Carol Glover, Barbara Creed, Judith Halberstam, Linda Williams, Rhona Berenstein, Joe Hill


Vorwort

Noch eine Dokumentation über das Horror-Genre? In der Tat. Und doch, „Science of Horror“ ist nicht die gewöhnliche „montieren-wir-ein-paar-Filmausschnitte-aneinander-und-kommentieren-irgendwelchen-Blödsinn-drüber“-Doku, wie wir sie als Genrefreunde mittlerweile gewöhnt sind, „Science of Horror“ verfolgt einen, wie man dem Untertitel entnehmen kann, anderen Ansatz.


Inhalt

Katharina Klewinghaus interessiert sich für feministische Tendenzen und Auslegungsmöglichkeiten im modernen Horror-/Slasherfilm und das ist, wenn der geneigte Jason-Fan erst mal kurz drüber gelacht hat, durchaus ein gültiger Untersuchungsansatz, auch wenn man zunächst meinen könnte, derartige Überlegungen seien in einem Genre, das vorwiegend von Männern (wieviele weibliche Genre-Filmemacher fallen Euch ein? Auch bei mir wäre nach Rachel Talalay und maximal noch Roberta Findlay Schluss) für ein überwiegend männliches Publikum gedreht wird, fehl am Platze.

Aber niemand wird abstreiten können, dass sexuelle Motive speziell im Slasher-Film, auf den auch „Science of Horror“ primär abstellt, gang und gäbe sind; das beginnt bei der „Bestrafungsmentalität“ für vorehelichen Sex, geht über eine traditionell androgyne Darstellung des „final girl“ und endet nicht zuletzt bei der Killergestalt selbst, üblicherweise eine männliche Figur, bei der es nicht abwegig erscheint, die Penetration durch Klinge/Kettensäge/whatever mit der sexuellen Penetration gleichzusetzen. Insofern ist es durchaus eine Untersuchung wert, ob und ggf. in welcher Form Slasherfilme gesellschaftliche Entwicklungen wie den Feminismus widerspiegeln.

Erfreulicherweise nähert sich „Science of Horror“ trotz der Vielzahl von interviewten Psychologinnen nicht von einer pur wissenschaftlichen und eindimensionalen Sichtweise her an – und, das muss bei einer eher wissenschaftlich orientierten Arbeit auch erwähnt werden, nicht mit einer negativen Grundeinstellung dem Genre gegenüber – sondern beginnt sozusagen, „am Anfang“, mit einem Exkurs über die Anziehungskraft des Horrorfilms an sich. beleuchtet die Katharsis-Theorie, wonach das „Ausleben“ von Gewaltphantasien durch Ansehen von Horrorfilmen das Gewaltpotential des Zuschauers in einen fiktiven Bereich umleitet, das Äquivalent also zum „Dampf ablassen“ (John Carpenter z.B. ist strikter Anhänger dieser Lehre, wobei seine Sichtweise allerdings etwas arg verallgemeinernd ist) und widmet sich dann der unterschiedlichen Rezeption von Horrorfilmen durch männliches bzw. weibliches Publikum. Ein kurzer Schwenk führt uns zum Thema „Zensur“, ehe wir nach einem Abstecher zum neuen Trend „torture porn“ und damit einhergehend zu Parallelen zwischen Pornofilm und Horror (beide sind auf den „money shot“ hin konstruiert; beim Porno die Ejakulation, beim Horror der Splatter- bzw. Goreeffekt; dass beide Genres voyeuristisch sind, ist sicherlich keine neue Erkenntnis) – rein laufzeittechnisch deutlich nach Halbzeit – den eigentlichen Komplex „Feminismus im Horrorfilm“, der weitgehend durch Überlegungen zum „final girl“ und seiner Rolle bestritten wird, angehen.

Formal gestaltet sich „Science of Horror“ eher schmucklos-sachlich; Interviews mit Genre-Größen wie Carpenter, Campbell, Craven oder Savini (und Stephen-King-Filius Joe Hill) wechseln sich ab mit solchen mit führenden weiblichen wissenschaftlichen Koryphäen des Fachgebiets, garniert mit jeder Menge Filmausschnitten von „Halloween“ bis „Hostel 2“ und einigen süffisant-kommentierenden Cartoons.

Wichtiger als die Form ist zweifellos der Inhalt und hier werden durchaus viele interessante Statements gemacht. Beim Thema „Zensur“ wird die These aufgestellt, dass Zensur und Horrorfilm sich gegenseitig bedingen; auch der Horrorfilm „braucht“ die Zensur, um sich so an die Grenzen der gesellschaftlichen Tabus annähern zu können und sie dann durch kreative Kunstgriffe umgehen zu können (das wird z.B. demonstriert anhand „Dracula’s Daughter“ oder „Rebecca“, bei denen es der Zensur trotz aller Bemühungen nicht gelang, subtile lesbische Untertöne auszumerzen). Lloyd Kaufman (der natürlich mühelos in einem Segment den Troma-Marktschreier par excellence gibt und nicht vergisst auf den „cannibal lesbian ho-down“ hinzuweisen, den Troma jährlich veranstaltet – und den „Naked Cowboy“ singen lässt) weist auf den denkwürdigen Umstand hin, dass es ausgerechnet das Disney-Imperium war, das über seinen Ableger Dimension Films als erstes Filmstudio einen von einem Penis durchbohrten Kopf mit einer Jugendfreigabe durchbrachte (Antwort: „Scary Movie“). Brian Yuzna lässt sich als einziger Repräsentant des Genres ein Statement abringen, dass als Contra-Katharsis durchgeht (er vermutet, dass gewalttätige Videospiele durchaus in der Lage sein können, den Konsumenten Realität und Fiktion nicht mehr auseinanderhalten lassen zu können). Auf der psychologischen Seite wird die durchaus nachvollziehbare These, dass Frauen sich Horrorfilme, in denen nun mal kraft Genre-Gesetz Frauen oft und gern gequält und gedemütigt werden, ansehen, um auf „sichere“ Art ihre masochistische Ader zu befriedigen, ergänzt um den Zusatz, dass Frauen in Horrorfilmen die Opferrolle auch deswegen einnehmen (bzw. Männer sie so gerne in dieser Rolle sehen), damit eben die Männer IHRE masochistische Ader befriedigen können, um danach sagen zu können „was soll’s, war doch nur ein Mädchen“. Beim Thema „final girl“ wird der gesellschaftliche Wandel anhand der entsprechenden Beispiele aus „Texas Chainsaw Massacre“ und „Texas Chainsaw Massacre 2“ dokumentiert – in Teil 1 entkommt das final girl mehr oder minder ohne eigenes Zutun mit Müh & Not, in Teil 2 greift das final girl selbst zur Kettensäge (und vollführt Leatherfaces klassischen Sägentanz), womit wir dann auch den Bogen zum Untertitel des Films schlagen. Das final girl, so die Theorie, überkommt die klassische patriarchalische Geschlechterrolle, in der der Mann (=Penis=Kettensäge) Macht über die Frau hat. Das „wehrhafte“ final girl gewinnt durch Aneignung der Waffe Macht über den Mann – ob man so weit gehen muss, das final girl sogar als Symbol für „queerness“, also einen lesbischen Ansatz, weil das „ass-kickende“ final girl männliche Züge gewinnt, zu sehen, ist fraglich, jedoch eine konsequente Fortschreibung dieser These (interessant wäre in dem Zusammenhang auch ein kurzer Blick auf David DeCoteaus schwul-orientierte Slasher gewesen, aber die sind dann wohl doch zu unbekannt).

Es sind (und ich habe hier natürlich nicht alle aufgezählt) Theorien, denen man als schlichter Konsument von Horrorfilmen freilich nicht bedenkenlos zustimmen mag, die jedoch durchaus etwas für sich haben und, wenn man sich mit Horrorfilmen nicht nur als bloßem Zeitvertreib beschäftigt, man nicht einfach mit einer lässigen Handbewegung wegwischen kann. Schade ist allerdings, dass interview-technische die beiden Komplexe „Macher“ und „Wissenschaftler“ streng voneinander getrennt wurden. Es wäre m.E. durchaus reizvoll gewesen, z.B. einen Wes Craven oder gerade eine Rachel Talalay direkt nach etwaigen psycho-sexuellen Motiven und Motivationen in den Filmen zu fragen.

Ausschnitte (und dabei durchaus heftig gore-lastige) gibt’s u.a. aus „Peeping Tom“, „Psycho“, „The Haunting“, „Frenzy“, „Last House on the Left“, „The Exorcist“, „TCM 1/2“, „Halloween“, „I Spit on Your Grave“, „Evil Dead“ (zu dem Bruce Campbell übrigens erzählt, dass Sam Raimi es für angesichts der ewigen Frauen-Opfer-Rolle es für wirkungsvoller und schockierender hielt, einen Mann als zentrales „Opfer“ zu haben), „Friday the 13th II“, „Good Fellas“ (als Beispiel dafür, dass „Mainstream“-Filme weniger Probleme mit Zensur von Gewalttätigkeiten haben als Horrorfilme), „Das Schweigen der Lämmer“, „Army of Darkness“, „Brain Dead“, „Scream“, „Bride of Chucky“, „Seed of Chucky“, „Hostel“, „Hostel 2“, „The Hills Have Eyes (Remake), „The Descent“.

Übrigens vermeldet der Nachspann, dass noch eine ganze Menge Interviews mit Leuten vom Schlage Andreas Schnaas, Jörg Buttgereit, Andreas Bethmann (!), Jess Franco, David Hess, Gunnar Hansen, Olli Krekel, William Lustig und Christian Kessler geführt wurden. Here’s hoping, dass zumindest einige dieser Interviews noch in der endgültigen DVD-Auswertung ans Tageslicht gebracht werden.

Summa summarum ist „Science of Horror“ eine sehenswerte Dokumentation mit ungewöhnlichen, doch letzlich nachvollziehbaren Überlegungen über Aspekte des Genres, mit denen man sich durchaus auseinandersetzen sollte, wenn einem an einer etwas tief- und hintergründigen Auseinandersetzung mit dem Genres und seinen Archetypen gelegen ist. Wie schon das Schlusswort von „Science of Horror“ lautet – der Horrorfilm ist einzigartig. Und das hat dann wohl doch Gründe, die über Blut, Splatter und Gore hinausgehen…

(c) 2008 Dr. Acula


mm
Subscribe
Benachrichtige mich zu:
guest
2 Comments
älteste
neuste beste Bewertung
Inline Feedbacks
View all comments
Daniel
Daniel
17. Juni 2018 13:38

Wurde dieser Film auf DVD veröffentlicht?