Lady Snowblood

 
  • Deutscher Titel: Lady Snowblood
  • Original-Titel: Lady Snowblood
  •  
  • Regie: Toshiya Fujita
  • Land: Japan
  • Jahr: 1973
  • Darsteller:

    Meiko Kaji, Toshio Kurosawa, Yoshiko Nakada, Sanae Nakahara, Eiji Okada, Noboru Nakaya, Miyoko Akaza


Vorwort

Japan im ausgehenden 19. Jahrhundert – das Land öffnet sich zögerlich dem Westen, aber wie so oft in solchen Situationen wird die Lage von der reichen Oberschicht und den Leuten mit der notwendigen kriminellen Energie ausgenutzt. Inmitten dieser Wirrungen – eine schöne junge Frau, die auffällig gut mit dem Schwert umzugehen weiß. Ihre Aufgabe: Rache! Vor über 20 Jahren hatte eine Viererbande Verbrecher ihren Vater umgebracht. Bereits ihre Mutter hatte den Rachefeldzug begonnen, doch der führte nach dem ersten Mord direkt ins Gefängnis, wo Yuki alias „Lady Snowblood“ geboren wurde. Die Mutter stirbt unmittelbar nach der Geburt und Yuki, von einer entlassenen Mitgefangenen „adoptiert“, beginnt eine eisenharte Ausbildung zur emotionslosen Tötungsmaschine, die das Werk der Mutter fortsetzen soll. Endlich ist es soweit – die Spur zu den Killern ist aufgenommen und Yuki macht sich daran, ihre Todesliste abzuarbeiten. Doch schon nach dem ersten Mord gerät die Angelegenheit ins Stocken, Opfer-in-spé Nr. 2 ist angeblich tot und Nr. 3 verschwunden. Doch ihr Ausbilder weiß, wie man den Feind aus der Reserve lockt – ein blutiges, aber auch tragisches Finale ist vorgezeichnet…


Inhalt

Man kann von Quentin Tarantino halten, was man will – ob er nun ein genialer Filmemacher, ein überschätzter Schaumschläger oder einfach nur ein zwar großmäuliger, aber irgendwie doch sympathischer Filmgeek, der sich seine Träume verwirklichen kann, ist, kann man dahingestellt sein lassen, Fakt ist, dass durch Tarantino etliche Filmperlen, die längst der Vergessenheit anheim gefallen waren bzw. nur noch in den nostalgischen Erinnerungen von Filmfreaks existierten, wiederentdeckt werden. Wie z.B. dieser japanische Genre-Klassiker aus dem Jahr 1973, „Lady Snowblood“, der eins der hauptamtlichen Vorbilder für Tarantinos halbgeglückte Exploitation-Grindhouse-Kino-Hommage „Kill Bill“ war.

Wer „Kill Bill“ gesehen hat, der wird einiges wiedererkennen – nicht nur das komplette Grund-Setup (es wird anhand einer „Todesliste“ Rache geübt für ein lang zurückliegendes Verbrechen), sondern auch die Einteilung in Kapitel, (schüchtern umgesetzte) non-lineare Erzählweise und für das Entstehungsjahr 1973 erstaunlich neuzeitlich-„trendige“ Stilmittel wie Exposition durch Standbildfolgen. Keine Frage, von Toshiya Fujita, dem Regisseur von „Lady Snowblood“ hat sich der gute QT überdeutlich inspirieren lassen (aber das Charmante an Tarantino ist ja, dass er das in keiner Sekunde verleugnet).

„Lady Snowblood“, der sich in den Kontext der klassischen japanischen Samurai-Filme einordnen lässt, auch wenn seine weibliche Protagonistin kein „echter“ Samurai ist, ist kein Actionfilm, maximal ein Actiondrama. Fujita und dem Autorenteam Kazuo Uemura und Kazuo Koike geht’s weniger um vordergründige Action – vielmehr stehen zwei Gedanken im Mittelpunkt; zum einen ist der Film sozusagen das Äquivalent eines Spät-Western (gerne auch eines Italo-Western) – es ist der Abgesang auf eine Ära, der von den Protagonisten (und ohne Zweifel dem Filmemacher) mit gewisser Wehmut begleitet wird. Traditionelle japanische Werte verlieren ihre Bedeutung im Angesicht der westlichen Dekadenz (nicht von ungefähr findet der Showdown in einem „westlichen“ Kulturzentrum vor dem Hintergrund eines walzerbeschallten Maskenballs statt) – der Film nimmt sozusagen die Thematik des Tom-Cruise-Blockbusteres „The Last Samurai“ in gewisser Weise vorweg. Die zweite, intimere Ebene ist natürlich die Charakterstudie einer quasi „gezüchteten“ Killerin – ein Kind, das nicht aus Liebe geboren ist, sondern von seiner Mutter, der wahrhaftig übel mitgespielt wurde, alleinig als verlängerter Arm der Rache instrumentalisiert wird. Beide Handlungsebenen wissen zu überzeugen, wobei mir einzig das Stilmittel eines erklärenden voiceovers gelegentlich etwas zu dick aufgetragen ist. Manches hätte ich auch ohne die Erzähler-Stimme kapiert, auch wenn ich kein absoluter Japanophile bin. Die Plotte jedenfalls funktioniert – obwohl Yuki nicht unbedingt als sympathischer Charakter gezeichnet ist, fühlt man sich als Zuschauer zu ihr hingezogen, denn man weiß, dass sie nicht ihr eigenes Leben lebt, sondern das ihrer hasserfüllten Mutter, die ihr keine Wahl ließ und sie in die Rolle der Rächerin hineingeboren hat – man erkennt die Tragik des Charakters und ahnt, dass es ein übles Ende nehmen wird; das berührt einen sensiblen Zuschauer durchaus.

Fujita zieht technisch so ziemlich alle 1973 möglichen Register – die Kameraführung ist ausgezeichnet, die Choreographie der (wenigen) Kampfszenen effektiv, die Farbgebung brillant. Der Schachzug, dass auch viele Außenaufnahmen ersichtlich im Studio entstanden, lässt den Film erfreulicherweise nicht billig wirken, sondern sorgt für eine eigentümlich-surreale Atmosphäre. Die non-lineare, flashbackorientierte Erzählweise erweist sich als treffliche Wahl (zumal das Stilmittel auch nicht übertrieben wird) und sorgt dafür, dass der Streifen die Balance zwischen character drama und Action-Thriller halten kann. Dennoch muss man sich darüber im klaren sein, dass „Lady Snowblood“ kein Fetzer ist – wie die Kitano-Filme nowadays nimmt sich der Film Zeit für poetisch-lyrische Passagen; richtig aktionsgeladen sind nur wenige Minuten des Films (übrigens ist der Streifen zwar durchaus reich an Dialogen, aber nicht dialoglastig, wenn Ihr versteht, was ich meine).

Die Splatterheads interessiert natürlich der Blut- und Gewaltquotient. Ja, es wird reichlich und explizit gesuppt – Yuki schlägt Gliedmaßen en gros ab und ist auch sonst schnell dabei, eine Übermacht von Mordbuben niederzustrecken (auch hier lassen sich wieder direkte Verbindungen zu „Kill Bill“ herstellen, wenngleich „Lady Snowblood“ nicht so gnadenlos-vulgär übertreibt wie der Tarantino-Film), und die Japaner, das wissen wir mittlerweile, lieben Blut-Fontänen (allerdings musste ich selten so wie hier über das Hochdruckleitungs-Zischen, wenn wiedermal einem Fiesewicht eine lebenswichtige Arterie angezapft wurde, kichern). Aber, wie gesagt, diese expliziten Splattereinlagen sind über den Film verteilt, selten gibt’s zwei blutige Szenen in kurzer Abfolge. Es darf Geduld mitgebracht werden, für zartbesaitetere Gemüter ist der Streifen aber ungeeignet…

Herausragend ist die musikalische Untermalung, tolle Themes, die auf dem Grat zwischen traditioneller japanischer Filmmusik und deutlich hörbaren Einflüssen aus dem Italo-Westernbereich balancieren. Da wäre ich auch einem Soundtrack-Album nicht abgeneigt.

Der Streifen brilliert, für einen Film, der im weitesten Sinne Exploitation ist, mit einem hervorragend aufgelegten Cast. Meiko Kaji, die die Rolle der Lady Snowblood im obligatorischen Sequel wieder aufgriff, in einigen Folgen der „Female Convict Scorpion“-Sexploiter-Serie die Titelrolle spielte und auch wunderschönen „Lady Snowblood“-Titelsong singt, bietet eine ausgezeichnete Vorstellung, sowohl in den Charakterszenen, in der sie (drehbuchgemäß als gefühlskalt geschildert) mit minimalen Mitteln Wirkung erzielt, als auch in den Actionszenen (die allerdings durchaus so choreographiert sind, das stuntmäßig nichts übermenschliches verlangt wird). Toshio Kurosawa (meines Wissens nicht verwandt und verschwägert) spielt den Schriftsteller Ryurei, der zu Yukis Helfer (und PR-Berater) wird, auf sympathische Weise. Ihn sah man später in dem hysterischen Trash-Schmarrn „Weltkatastrophe 1999“ und der kultigen TV-Serie „Die Rebellen vom Liang Shang Po“. Noboru Nakaya (Yukis erstes Opfer von ihrer Liste) war im von mir dringlich gesuchten SF-Samurai-Zeitreise-Epos „Time Slip“ am Start, Sanae Nakahara war im richtigen Leben die Ehefrau von Kenji Fukasaku („Battle Royale“). Eiji Okada, Yukis Endkampf-Gegner, stellte sich in „Guila – Frankensteins Teufelsei“ einem Kaiju-Publikum vor, spielte unmittelbar nach „Lady Snowblood“ in dem nicht minder einflussreichen „Kozure Ôkami“ („Lone Wolf and Cub“), schaute in der „Zatoichi“-Serie vorbei und könnte Trashfans aus dem japanischen „Earthquake“-Rip-off ein Begriff sein.

DVD-Qualität: Die Qualität des anamorphen Widescreen-Prints ist grundsätzlich okay – die Farben sind für einen über 30 Jahre alten Print prächtig, die Schärfe bemerkenswert, der Kontrast gut. Leider kommt es zumindest auf meinem Player zu verhältnismäßig starkem Ruckeln und recht heftigen Nachzieheffekten, die sich schon deutlich bemerkbar machen. Rapid Eye Movies hat auf eine deutsche Synchronisation verzichtet und liefert ausschließlich japanischen O-Ton mit gut lesbaren deutschen Untertiteln (optional) mit. Der Ton ist ein wenig knarzig, was angesichts des Alters der Tonspur auch nicht sehr verwundert, aber erträglich. Die Extras sind vernachlässigbar (ein Interview mit einem amerikanischen Yakuza-Filmexperten, der mehr über „Kill Bill“ als über „Lady Snowblood“ referiert, tut nicht wirklich was zur Sache).

Fazit: Wer ein Faible für den asiatischen Film hat (und „Kill Bill“ zu schätzen weiß), der muss hier, trotz der Schwächen im Bild-Bereich der DVD, zuschlagen – das ist zweifellos einer der ganz großen Klassiker des japanischen Exploitation-Kinos; eine blutige und dennoch poetische Reflektion über die Sinnlosigkeit der Gewalt, von der sich fraglos eine direkte Linie zu den neuzeitlichen Meilensteinen eines Takeshi Kitano ziehen lässt. Must-see-picture, nicht nur, weil Tarantino drauf steht, sondern einfach, weil’s ein großer Film ist.

5/5
(c) 2006 Dr. Acula


mm
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