Et enfin… c’etait toi

 
  • Deutscher Titel: Et enfin... c'etait toi
  • Original-Titel: Et enfin... c'etait toi
  •  
  • Regie: Lars Dreyer
  • Land: Deutschland
  • Jahr: 2005
  • Darsteller:

    Linda (Linda W.)


Vorwort

Abt. Kurz und Kunstvoll

Wenn mich jemand aus dem Dunstkreis der (Gebetsmühle-anwerf) gegenwärtig besten deutschen Independent-Schmiede „Transcendental Pictures“ fragt, ob ich nicht einen neuen Kurzfilm einer kritischen Betrachtung unterziehen möchte, rennt er bei mir schon aus purem Prinzip sperrangelweitoffene Türen ein, und wenn aufgrund des momentan ein wenig, ähm, knappen Zeitplans des Docs dann speziell die Silbe „KURZ“ mental aufleuchtet, dann schon dreimal nicht. Für 25-Seiten-Review-Orgien a la Turkish Star Wars hab ich momentan echt weder Zeit noch Nerv (Forumsleser wissen Bescheid), da kommt so ein kleiner Streifen im handlichen 10-Minuten-Format grad recht.

Schöpfer unseres heutigen Werks ist Lars Dreyer-Winkelmann, den die eingefleischten Veteranenleser als Kamera- bw. FX-Mann der hier gepriesenen Transcendental-Werke Dunkel – das erste Kapitel und Es war einmal… kennen und uns nun mit einem Soloprojekt kommt.

Vermutlich nur, um den (trotz Mylene-Farmer-Ticks) frankophoben Doc (der eigentlich mit der französischen Sprache einen Burgfrieden geschlossen hat – sie tut mir nix, und ich tu ihr nix) zu ärgern, lautet der offiziöse Titel des Streifens Et enfin… c´était toi, was mir Kollege babelfish freundlicherweise sinngemäß mit „Und schließlich warst es du“ übersetzte. Als prophylaktisch-besänftigende Maßnahme gab mir Lars die „Warnung“ auf den Weg, dass es sich um einen eher experimentiellen Short handelt, der auch auf seinem Coverblurb dem geneigten Zuschauer auch nur einen Satz als Interpretationshilfe mit auf den Weg gibt: „Eine junge Frau auf der Suche nach Liebe“.

Und bevor die Einleitung länger wird als das eigentliche Review, denn immerhin dauert der Spaß ja nur 10 Minuten (und Future Doc hat, zugegeben, noch nicht wirklich einen Plan, wie er sich ein, ähm, sinnvolles Review vorstellt), kommen wir an dieser Stelle dann lieber doch gleich zum Film an sich.


Inhalt

Es gibt sicherlich schlechtere Einstiege in einen Film als ein spärlich bekleidetes junges Frauenzimmer, das sich offensichtlich schwer rollig in seiner Bettstatt räkelt und den ein oder anderen mindestens NC-17-freigegebenen erotischen Traum träumt. Zu dem, dem Traum also, scheint es auch zu gehören, dass unsere Blondine, die im späteren Filmverlauf noch auf den Namen Linda hören wird, von unbekannter, dafür aber behandschuhter Flosse (bzw. gleich zwei davon) an erogenen Zonen getäschelt wird (und bevor irgendwelche Ferkel jetzt gleich wieder an Bethmann´sche „an Hardcore grenzende Sexszenen“ denken – nix gibt´s, BH und Schlüpfer bleiben brav an hierfür vorgesehener Örtlichkeit und ich meine NICHT die Dessousschublade). Musikalisch werden wir von einem (noch in der Analyse zu würdigenden) Gothic-Rock-Stück kompetenter Bauart erfreut, was speziell in den ersten fünf Minuten den Eindruck eines Musikvideos erzeugt.

Per Flashback und/oder Traumsequenz erleben wir nun einige ausgesuchte Episoden und Episödchen aus dem (Liebes-) Leben der Linda mit – wir erinnern uns: „eine junge Frau auf der Suche nach Liebe“, und auf ihrem bisherigen Lebensweg ist´s bislang offenbar beim Suchen geblieben – in einer Einstellung wird sie (vermutlich) von einem potentiellen oder gewesenen Liebhaber geohrfeigt, in einer anderen steigt sie wutig in freier Wildbahn dem Automobil eines Freundes, in einer dritten sitzt sie gelangweilt auf der Terrasse eines Eiscafés einem südländisch wirkenden „latin lover“ gegenüber, der ihr mit seinem Blablabla (im Wortsinne blendet der in dieser Phase dialogfreiefilm die Worte „bla bla bla“ aus seinem Munde kommend ein) auf den Keks geht – dazwischengeschnitten immer wieder massiv farbgefilterte Einstellungen des couragiert träumenden Mädels.

Alles in allem scheinen die romantischen Beziehungen Lindas bis dato eher unerfüllend gewesen sein, weswegen sich Flashback-Traum-Linda im Badezimmer vor´m Spiegel auch kräftig ausheult (passenderweise singt der Gothic-Rock-Sänger an dieser Stelle „nothing is so simple“, was, gewollt oder nicht, wunderschön auf die Bilder abgestimmt ist). Kurz blenden wir zurück zur träumenden Linda, dann geht´s wieder in den Flashback-Traum, wo sie, weiterhin stumm, eine heftige telefonische Auseinandersetzung absolviert und erneut (?) bittere Tränen ins Waschbecken tröpfeln lässt (und der verlaufene Lidschatten darf auch nicht fehlen).

Damit endet die Abteilung „Musikvideo“ – Linda wird im Traum (?) von einer Stimme mit Namen gerufen. Wie´s jeder vernünftige Mensch, zumindest im Traum, tun würde, folgt sie dem Ruf, findet sich in einer neuen Ebene ihrer Fantasie (?) wieder (zumindest ist sie jetzt völlig bekleidet und der eingeblendete Wolkenhimmel macht aufgrund seines artifiziellen Eindrucks rasch klar, dass wir uns nicht wirklich in der Realität befinden) und steht erst mal im Wald. In Ermangelung großartiger anderer Ideen schlendert sie durch die Botanik und lächelt – zum ersten Mal sehen wir Linda im Film glücklich, mit sich und der Welt zufrieden und im Einklang (unterstützt durch vorsichtigen Einsatz subjektiver Kamera). Schließlich entdeckt sie einen Baum, an dessen Fuß sich durch einen Spezialeffekt ein Brief materialisiert. Linda fühlt sich korrekterweise betroffen, pickt die ungewöhnlich zugestellte Post auf, öffnet sie und liest…

In der nächsten Einstellung bewundert sich Linda in ihrer Wohnung – und einem ziemlich nett anzusehenden Fummel – im Spiegel, und per voice-over gibt sie uns (zumindest vermute ich das bis auf weiteres) den Inhalt des geheimnisvollen Briefs zu verstehen. Der geht vor Romantik fast über – „ich musste manche Enttäuschung überwinden, doch dann kamst du, auf Pech folgt Glück, ich musste den steinigen Pfad gehen, um frei zu sein und das Leben zu genießen– dafür bin ich dir dankbar!“ Nach einem letzten selbstanerkennenden Blick in den Spiegel verlässt Linda ihre Behausung…

Okay, das wird eines der kürzesten Reviews der badmovies.de-Geschichte – und auch eines, das den Doc vor eine ziemlich schwierige Aufgabe stellt. Wie „bewertet“ man einen Film, der sich selbst einer Bewertung entzieht? Wie Ihr der obigen Inhaltsangabe sicherlich entnommen habt, versucht der Film gar nicht erst, einen nachvollziehbaren Narrative aufzubauen, sondern entscheidet sich für den puren Kunst-/Experimentalapproach. Das Resultat könnte man vielleicht mit folgendem Satz charakterisieren (mit dem üblichen Disclaimer, dass Vergleiche meinerseits nicht per se wertend gemeint ist, die genannten Referenznamen und die hiesigen Filmmacher also nicht automatisch in die gleiche Gewichtsklasse geworfen werden sollten): „David Lynch verfilmt ein Script von Jess Franco“.

Bevor jetzt die ersten Leser in Lars Dreyer-Winkelmanns Namen eine Beleidigungsklage gegen den Doc verfassen, sei erstens angemerkt, dass Lars selbst in seiner Begleit-email gewisse unbeabsichtigte Ähnlichkeiten mit Jess Francos Ouevre, dort vor allem Vampyros Lesbos konstatierte. Was bei Franco allerdings purer Zu- bzw. Unfall war und dazu führte, dass manchen Klopfer des Königs des iberischen Schundkinos ein künstlerischer Anspruch zugestanden wird, den Kollege Jess niemals im Leben im Sinn hatte (vor allem z.B. bei Vampyros Lesbos, den ich in der Tat AUCH für Kunst halte, weil ich durchaus der Ansicht bin, dass mangelnde künstlerische Absicht der Schaffung von Kunst nicht im Wege steht), ist hier, davon gehe ich wenigstens an dieser Stelle mal aus, bewusst eingesetztes Stilmittel – eine Losgelöstheit der Bilder von Struktur und, wie erwähnt, Narrative: mit seinen kurzen, zunächst mal zufällig wirkenden eingestreuten Vignetten aus Lindas Leben, die sich erst bei nachträgliche „Reflektion“ zu einem runden „Ganzen“ zusammensetzen, schafft Lars ein intimes Portrait einer verzweifelten jungen Frau und ihres vergeblichen Ringens nach Glück und Geborgenheit, die sie scheinbar ausschließlich in ihren Träumen, in ihrer Fantasie findet – diese erste Filmhälfte, mit dem sehr gut anhörbaren Gothic-Metal-Stück der Kapelle Sylent Green unterlegt, ist herausragend (und würde, wie erwähnt, auch einen absolut sendetauglichen Videoclip abgeben).

Die zweite Filmhälfte, mit ruhiger Instrumentalmusik unterlegt, ist dann die sicher vielfältig interpretierbare „Auflösung“ der Krisensituation – ohne einen Anspruch auf die allgemeingültige Wahrheit zu haben, gefällt mir momentan folgende Auslegung am besten: Lindas Traum und Brieffund ist eine Botschaft ihres Unterbewusstseins, die Aufforderung dazu, erst einmal sich selbst zu akzeptieren und sich nicht den vermeintlichen Ansprüchen und Erwartungen der Welt um sie herum zu beugen und sich, nur für eine romantische Beziehung, zu verbiegen. Nachdem sie diesen Umstand (in Form des quasi von ihr selbst an sich geschriebenen Briefs) akzeptiert und mit sich selbst im reinen ist (symbolisiert durch den Wald, den sie durchschreitet und in seiner Schönheit schätzen lernt), kann sie der Welt neu entgegentreten und einen Partner finden, der sie so liebt, wie sie ist. Ob das in etwa das ist, was Lars Dreyer-Winkelmann bzw. sein Autor Christoph Lieh sich vorgestellt hat, kann ich nicht beurteilen (und wie ich mich und meinen track record, was Interpretationen von nicht vorgekauten Filmen einschätze, liege ich wahrscheinlich total entgegengesetzt zur Wahrheit – was nicht heißt, dass mir meine Interpretationen nicht oft besser gefallen als die gewollten), für mich macht´s auf jeden Fall so einen durchaus romantischen Sinn (auch wenn DIESER Interpretation etwas im Weg steht, dass Linda sich im letzten Shot ziemlich aufbrezelt).

Filmisch löst Lars Dreyer-Winkelmann die Sache, wie ehrlich gesagt nicht anders erwartet, souverän – der Einsatz von Farbfiltern, bewusst „künstlich“ wirkenden Bildern, der Schnitt, die in der ersten Hälfte, bereits inflationär erwähnt, videoclipartige Gestaltung und die damit kontrastierende extrem langsame, gefühlvolle zweite Hälfte, das alles ist gekonnt ein- und umgesetzt (unter den Beschränkungen, die eine sicherlich quasi budget-freie Indie-Produktion mit minimalster Minimalcrew, die, so wie ich das behind-the-scenes-Material deute, de facto aus einer Person, nämlich Lars Dreyer himself betand, mit sich bringt). In ein-zwei Einstellungen (nominell die „Spiegel“-Shots) schillern schon gewisse Jess-Franco-Trademarks mit (wobei Lars das sicher besser kann als Jess Franco, aber – wenn wir ehrlich sind: Waschmaschinen könnten die Kamera besser führen als Jess Franco) und die gesamte Atmosphäre des zeit- und raumlosgelösten und irgendwie dunkel-romantischen weckt selbstverständlich auch gewisse Erinnerungen an Jean Rollin.

Die musikalische Gestaltung ist hervorragend – ich erwähne hiermit, glaube ich, zum vierten oder fünften Mal innerhalb dieses dreiseitigen Reviews, dass die erste Hälfte perfekt als Videoclip des Sylent-Green-Songs „The Past“ passen würde, die weiteren eingesetzten musikalischen Themes von Transcendental-Score-Hexer Steffen A. Röhrs und Django B. Reinhard sind ebenfalls ausgezeichnet auf die Bilder abgestimmt.

Darstellerisch gibt sich Linda W. keine Blöße – fairerweise muss man auch hier bemerken, dass die Aufgabe insofern etwas „einfacher“ ist, als sie einerseits den Vorteil hat, größtenteils stumm (bis auf den finalen Monolog und die „Linda“-Einflüsterungen ist der Film frei von Sprache) und andererseits praktsich komplett ohne einen sichtbaren Partner spielen zu müssen – aber auch diese Herausforderung muss man erst einmal meistern und der Eindruck, den sie hinterlässt, ist überwiegend positiv.

Mir liegt zur Rezension eine sogenannte „Special Promotion Edition“ vor – ob das qualitativ und quantitativ identisch ist mit dem, was ein „gewöhnlicher“ Kunde ggf. in Empfang nehmen darf, kann ich nicht abschließend feststellen. Aber trotzdem einige Worte – die Bildqualität des in nicht-anamorphen 2.35:1-Widescreen vorgelegten Hauptfilms ist in der mir vorliegenden Fassung sicher suboptimal – das Bild plagt sich mit einigen Schlieren, Kantenübergänge sind gelegentlich etwas verpixelt und der Kontrast geht speziell in den farbgefilterten Szenen manchmal etwas in die Knie. Allerdings schreit die Optik nicht so laut „Indie-Amateur“ wie manch anderes, teureres Konkurrenzprodukt. Der Musikton ist ausgezeichnet und powervoll, die kurze Monolog-Passage bestens verständlich (da sie ja auch in der Post-Production eingespielt werden konnte).

Ein gerüttelt Maß an Extras findet sich an – zum einen ist der Film international vermarktbar, weil er zusätzlich zur „deutschen“ Fassung noch in solchen mit jeweils fest codierten englischen bzw. französischen Untertiteln dargeboten wird. Mit „Nos Morts“ gibt´s einen vierminütigen Bonuskurzfilm, der sogar ganz ohne Darsteller auskommt, nach meiner Lesart offensichtlich auf einem vorgelesenen Poem von Victor Hugo basiert, sich mir allerdings aufgrund meiner oben angesprochenen Problematik mit der französischen Sprache, und in solcher wird „Nos Morts“ präsentiert, nicht erschliesst. Unter „Schnittraumabfall“ verbergen sich einige nicht uninteressante und durchaus amüsante behind-the-scenes-Momente, „alternate scenes“ und „deleted scenes“ sind genau das, was sich der geneigte Filmfan darunter vorstellt (wobei sich weder alternative noch gelöschte Szenen für einen Einbau in den Film wirklich aufdrängen und daher mit Recht da sind, wo sie sind), Ästheten dürfen die opening sequence mit der träumenenden Linda nochmal „uncut“, d.h. ohne „störende“ Credit-Einblendungen verfolgen, eine Trailershow mit diversen Titeln von und aus dem Dunstkreis von Transcendental Pictures schließt sich an (ähm, „Betafield Earth“, den will ich sehen…), und, eine besonders hübsche Idee, die kompletten Scores beider Filme liegen als isolierte Soundtracks vor (inklusive „The Past“).

Fazit: Et enfin… c´etait toi (zu den ungelösten Rätseln des Universums gehört allerdings, warum Filmtitel und Credits en francais gehalten sind) ist sicherlich kein Partyfilm, kein Unterhaltungsfilm für die gesellige Runde (deswegen auch „nur“ sechs Bier), sondern etwas, was man in Ruhe, alleine und in offener Stimmung anschauen und genießen sollte. Gefällt mir vielleicht sogar noch etwas besser als der vor einiger Zeit besprochene Splitter – Freunde des etwas anderen, anspruchsvolleren und experimentielleren Kurzfilms sollten unbedingt unten angegebene Kontaktadresse, äh, kontaktieren und sich nach Bezugsmöglichkeiten erkundigen. Sehr schön!

Kontakt: darkcloudscasa(at)web.de

(c) 2006 Dr. Acula


BOMBEN-Skala: 3

BIER-Skala: 6


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