Edmond

 
  • Deutscher Titel: Edmond
  • Original-Titel: Edmond
  •  
  • Regie: Stuart Gordon
  • Land: USA
  • Jahr: 2005
  • Darsteller:

    William H. Macy (Edmond Burke), Rebecca Pidgeon (Ehefrau), Joe Mantegna (Man in Bar), Denise Richards (B-Girl), Bai Ling (Peepshow Girl), Debi Mazar (Matron), Mena Suvari (Whore), Jeffrey Combs (Desk Clerk), George Wendt (Pawn Shop Owner), Julia Stiles (Glenna), Dylan Walsh (Interrogator), Bookem Woodbine (Prisoner)


Vorwort

Eine Zufallsentscheidung wirft das Leben des 47-jährigen Schlipsträgers Edmond Burke aus der Bahn; nach einem einer Laune entsprungenen Besuch einer Wahrsagerin, die ihm verrät, er sei nicht „da, wo er hingehört“, verlässt er Knall auf Fall seine Ehefrau und stürzt sich ins wilde Nachtleben von New York. Auf der Suche nach einem Sinn hält er es so, wie’s wohl jeder tun würde: erst mal käuflicher Sex, bitteschön. Leider hat Edmond von den diesbezüglichen Gepflogenheiten wenig Ahnung; aus einem noch gehobeneren Stripclub wird er nach einer peinlichen Preisdiskussion freundlich verwiesen, in der Peepshow bringt er sich nicht nur wegen seines von der entsprechenden Dame schlecht aufgenommenen Wunsch nach Wechselgeld selbst um den Spaß und für eine gediegene Nummer im Ambiente eines „Health Club“ reicht die bare Penunze nicht. Auf der Suche nach Cash lässt er sich von Hütchenspielern ausrauben und verprügeln. Nächster Stop ist eine Pfandleihe, wo er seinen Ehering versetzt und ein Messer erwirbt. Mit dem Besitz des Pieksers geht eine Steigerung des Selbstbewusstseins einher, wie ein schwarzer Pimp, der Edmond über’s Ohr hauen und erneut ausrauben will, schmerzhaft erfahren muss. In einem Diner finden er und seine abstrusen Thesen über den Sinn der Existenz Gehör bei der Kellnerin Glenna. Zwar kommt Edmond nun endlich zum GV, doch die postkoitale Diskussion endet in einer Katastrophe…


Inhalt

Splatterpapst Stuart Gordon („Re-Animator“, „From Beyond“) verfilmt ein Stück des gefeierten Dramatikers David Mamet („Glengary Glenn Ross“, „The Postman always ring twice“)? Das ist eine Kombination, die sich nicht unbedingt aufdrängt und allein deshalb schon eine tiefere Betrachtung rechtfertigt. Auf den zweiten Blick ist’s nicht ganz so abwegig, da ja auch Gordon vom Theater kommt und wohl eher zufällig in die Splatter-Schiene rutschte. Inhaltlich setzt sich freilich Mamet durch, dessen Stück über die plötzliche Midlife-Crisis und Sinnsuche eines in seiner inhaltsleeren Existenz frustrierten Mittvierzigers bereits 1982 Premiere feierte.

Es liegt nahe, dass Gordons übliches Publikum mit „Edmond“ (der hierzulande mit zweijähriger Verspätung auf dem Fantasy FilmFest debütieren wird) so seine Probleme haben wird. Anstelle plakativen Horrors kommt uns Gordon hier mit einer rüden Psychostudie, die glaubhaft im Zeitraffertempo (der Streifen spielt bis auf die letzten 20 Minuten, auf die ich noch zu sprechen kommen werde, in einer Nacht) den Zerfall einer Persönlichkeit schildert.

Das Script stürzt seinen – nicht wirklich sympathischen, aber mit-identifizierbaren – Protagonisten von zunächst nur eher peinlichen in immer erniedriegendere bis hin zu gewalttätige Situationen, die intensiv zeigen, wie sehr Edmond sein Leben in einer Scheinwelt, einer desinteressierten Wohlstandsblase gelebt hat, wie hilflos er „auf der Straße“ ist. Amüsiert man sich zunächst noch über Edmonds verzweifelte Versuche, sich flachlegen zu lassen, wandelt sich dieses Gefühl bald in ein solches des unangenehmen „Fremdschämens“; das Abgleiten der Titelfigur in einen psychotischen Wahn bleibt – natürlich vor allem aufgrund der noch zu würdigenden darstellerischen Leistung – wird brutal intensiv und nachvollziehbar geschildert.

Eins darf aber nicht außer Acht gelassen werden – sechzig Minuten lang ist „Edmond“ schier brillant; leider tackert Mamet an die Geschehnisse der verhängnisvollen Nacht noch eine Art „Epilog“ an, der kaum spoilerlos angerissen werden kann. Ich belasse es also mit der Anmerkung, dass das Drehbuch hier den Faden verliert. In diesem Schlussakt wird Mamet abschweifend und ähnlich inhaltsleer wie die Existenz seines Protagonisten zu Filmbeginn, es sind nur noch Worthülsen, die die Intensität der vorangegangenen Stunde schmerzlich vermissen lassen (dass der Film mit einer Dialogsequenz endet, die den Protagonisten und seinen Szenenpartner darüber fabulieren lässt, ob und ggf. wie Tiere in Wahrheit Außerirdische sein könnten, die wir Menschen nicht mit dem gebührenden Respekt behandeln, lässt sich zwar einerseits durch den fortschreitenden Wahn Edmonds erklären, stört mich aber andererseits persönlich).

Ich gebe zu, dass ich Gordon trotz aller anerkannten Verdienste um den Splatterfilm nie für einen sonderlich begnadeten Regisseur gehalten habe – nach „Edmond“ muss ich in gewisser Weise Abbitte leisten. Es mag daran liegen, dass „Edmond“ ursprünglich von der Bühne kommt und Gordon sich mit einem stageplay-Stoff wohler fühlt, jedenfalls ist der Film aber auch von der inszenatorischen Seite ausgezeichnet. Ohne visuelle Mätzchen oder Gimmicks einzusetzen, schafft er eine intime Atmosphäre, verfällt dabei aber auch nicht in plumpe Dogma-Anbiederung oder ähnliches postmodernes Arthouse-Gedöns. Unterstützt von einem ausgezeichneten, Badalamenti-artigen Score von Bobby Johnston überlasst Gordon die „Bühne“ seinem Star, und der, mithin der IMMER NOCH sträflich unterschätzte und unterbeschäftigte (weniger von der Quantität als der Qualität seiner Auftritte her) William H. Macy dankt es ihm, ich würde sagen, der „Performance eines Lebens“, wenn Macy sich solch hohe Schauspielkunst nicht schon des öfteren (z.B. in „The Cooler“) aus dem Kreuz geleiert hätte. Macy ist in jeder Szene des Films und zeigt einmal mehr, warum er fraglos einer der besten gegenwärtigen Schauspieler ist. Über „ahnungsloses Weichei“ bis „Psychopath“ und wieder zurück liefert er eine tour de force der Extraklasse, und wenn sich seriöse Filmkritiker Filme anschauen würden, die von einem Horrorregisseur gemacht wurden, müsste Macy allein für die „Edmond“-Leistung einen ganzen Schrank für „best actor“-Awards zimmern lassen.

Die mit 10 Mio. Dollar für einen Indie-Film nicht schmalbrüstig budgetierte Produktion (die eine rekordverdächtige Anzahl von „executive producers“, darunter Ex-Denver-Clan- und Popstar Al Corley) kann sich aber über Macy hinaus für kleine bis kleinste Nebenrollen bekannte und talentierte Namen leisten. Ob TV-Veteranin Frances Bay, Joe Mantegna („Body of Evidence“, „Airheads“), Ex-Bond-Girl Denise Richards, die mich immer wieder irgendwie irritierende Bai Ling („The Crow“), Debi Mazar („Batman Forever“), „American Beauty“ Mena Suvari, „Cheers“-Star George Wendt, „Nip/Tuck“’s Dylan Walsh und natürlich Gordons Protegé Jeffrey Combs („Re-An-,“ äh, das muss ich jetzt nicht wirklich, oder?), eine Fülle vertrauter Gesichter gibt sich die Ehre und sie alle leisten prägnantes und memorables in ihren Kurz- bis Cameo-Auftritten.

Eine kleine Konzession an Gordons bisheriges Ouevre sind zwei Gewaltakte, wobei einer „zelebriert“, der andere dafür verhältnismäßig zurückhaltend (und dennoch blutig) dargeboten wird. FSK 16 dürfte für einen deutschen Release klar gehen.

Auf DVD gibt’s den Streifen bislang außerhalb des nordamerikanischen Kontinents m.W. nur in Frankreich, nachdem nun aber die deutsche Premiere im Rahmen des FFF ansteht, wird sich wohl schon einer der üblichen Publisher-Verdächtigen die Rechte gesichert haben. Die US-DVD bietet einen soliden 1.85:1-Widescreen-Transfer mit Dolby 5.1-Sound.

Fazit: „Edmond“ ist sicher nicht das, was man von Gordon erwartet, schon eher von Mamet – wider Erwarten ergänzen sich Mamets Text und Gordons in diesem Fall zurückhaltender visueller Stil sehr gut, William H. Macy brilliert einmal mehr in einer facettenreichen, anspruchsvollen Rolle; definitiv kein „easy viewing“ für Zwischendurch, aber der eindrucksvolle Beweis, dass Stuart Gordon es nicht nur splattern lassen kann. Wäre der Schlußakt nicht so, hm, konfus, ich würde „Edmond“ an Ort und Stelle heiligsprechen. So bleibt’s bei einem „sehr gut“ statt „herausragend“ und der Empfehlung an aufgeschlossene Filmfans, „Edmond“ eine Chance zu geben.

4/5
(c) 2007 Dr. Acula


mm
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