O.S.S. 117 – Männer, Frauen und Gefahren

 
  • Deutscher Titel: O.S.S. 117 - Männer, Fruaen und Gefahren
  • Original-Titel: O.S.S. 117 n'est pas mort
  • Alternative Titel: O.S.S. 117 Is Not Dead | Geheimagent 117 |
  • Regie: Jean Sacha
  • Land: Frankreich
  • Jahr: 1957
  • Darsteller:

    Ivan Desny (Hubert Bonisseur de la Bath, O.S.S. 117), Magali Noel (Muriel Rousset), Anna Carrère (Lucile Morin), Yves Vincent (Boris Obarian), Danik Patisson (Anita Lead), André Valmy (Joseph Sliven), Georges Lannes (Anthony Lead), Marie Déa (Marion Lead), Béatrice Arnac (Nahedad Sin)


Vorwort

Ein neuer Einsatz für Hubert Bonisseur de la Bath alias O.S.S. 117, den besten Mann des französischen Auslandsgeheimdienstes (was immer *das* auch wert ist, ähempt). Da wohnt nämlich an der Cote D’Azur ein gewisser Mr. Lead, eine wichtige britische Persönlichkeit (konkreter wird’s nicht), der ihm Rahmen seiner Persönlichkeitstätigkeit regelmäßig Geheimdokumente erhält, da er offenbar die Schnittstelle des Dokumententransfers von Frankreich nach Engeland personifiziert. Das wäre insofern nicht weiter bemerkenswert, hätten die Mr. Lead übergebenen Dokumente nicht die eher unvorteilhafte Eigenheit, regelmäßig kurz nach Eintreffen in Leads Gewahrsam in den Händen der Gegenseite wieder aufzutauchen. Grund genug für den Geheimdienst, eine undichte Stelle im und um den Haushalt der Leads zu vermuten.

Da scheint auch was dran zu sein – kaum, dass 117 seine Kontaktfrau Consuela aufsucht, hat die auch schon Besuch von einem finsteren Burschen, der die Herausgabe eines von Consuela im Rahmen einer Kneipenschlägerei vorsichtshalber eingesteckten Hörgeräts beansprucht. 117 kann dem feindlichen Agenten aufs Haupt schlagen, Consuela, zartes Weib, die sie ist, reicht aber „aus Angst“ während der ganzen Aktion den Löffel. Nun, ganz umsonst war ihr Verscheiden nicht, denn der lokale Geheimdienst-Gewährsmann Joseph kann schnell ermitteln, dass das Hörgerät dazu gedacht war und ist, Mikrofilme zu schmuggeln. Es liegt also definitiv Foulspiel vor.

Die Leads werden bereits von der Agentin Muriel überwacht, die in der Nachbarvilla ihr Domizil aufgeschlagen hat und sich als freigeistige Hutmacherin ausgibt. 117 wird als ihr Cousin bei den Leads eingeführt, unter falschem Namen, aber mit dem dezent fallen gelassenen Hinweis, dass er Oberst des Geheimdiensts wäre. Das macht diverse Angehörige des Lead-Lagers verdächtig nervös – von Lead himself über seine Frau, seine Sekretärin Lucile bis hin zu seiner Tochter Anita. Schwung in die Sache kommt durch einen Maskenball bei dem befreundeten Geschäftsmann Boris Oberion und seiner Geschäfts- oder sonstigen Partnerin Nahedad Sin. Als wären Boris und Nahedad nicht schon allein über ihre Namen verdächtig genug, taucht auf dem Ball auch noch der Feindagent auf, den 117 schon bei Consuela (auf die Platte) getroffen hat. Das kann alles kein rechter Zufall sein, meint 117 – zumal er beobachtet, wie Lucile sich heimlich im Park der Villa mit Boris trifft und dort recht aufmerksam einen sehr suspekten Zettel liest. Der Sache würde der Gemeinagent gerne auf den Grund gehen, hat aber ganz schnell andere Probleme – jemand hat die Bremsen seines Wagens manipuliert, was auf der kurvigen Bergstraße, die’s zu bewältigen gilt, eher nachteilig ist. Dem Agenten gelingt es allerdings, sein Auto zum Stillstand zu bringen und Joseph zu alarmieren. Man macht aus der Not eine Tugend, fingiert den geplanten Unfall, schafft 117, scheinbar schwerst verletzt, ins Krankenhaus, und wartet, wer sich dadurch zuerst aus der Reserve locken lässt. Es ist jedenfalls nicht Boris, der vielmehr ausgieibg damit beschäftigt ist, Muriel zu becircen – ein ganz neues Leben will er mit ihr beginnen. Muriel steigt zunächst auf die Verführung ein, aber ganz doof ist das Mädel dann doch nicht und seilt sich rechtzeitig ab, bevor die Sache zu brenzlig wird.

Erste Besucherin des gestrauchelten Agenten im Hospital ist Nahedad Sin mit einem Blumenstrauß. Der bringt allerdings auch eine Wanze mit – weniger von der insektoiden, als der primitiv-elektronischen Gattung. Damit ist nun endgültig klar, dass Nahedad und Boris die Empfänger der Klaudokumente sind. Allerdings bleibt noch die entscheidende Frage – wer ist der Verräter im Hause Lead? Doch auch die Gegenseite bleibt nicht untätig… Joseph wird auf dem Weg zu einem Besuch bei 117 erschossen. Die offenen Fragen kann 117 nicht vom fingierten Krankenbett aus aufklären. Also schleicht er sich ins Lead-Anwesen – just als Muriel ein Häuschen weiter von Boris‘ Schergen überwältigt wird…


Inhalt

Es gab schon Geheimagenten vor James Bond. Das dürfte soweit niemand überraschen, aber ebenso unwidersprochen dürfte bleiben, dass Agent 007 das cineastische Bild des dynamischen, frauenaufreißenden Agenten entscheidend geprägt hat. Doch nur weil man der Populärste ist, ist man eben noch lang nicht der erste… Als Ian Fleming gerade mal in seinen kühnsten Träumen darüber nachdachte, ob er vielleicht basierend auf seinen Kriegs-Erfahrungen eine Karriere als Schriftsteller ins Auge fassen sollte, da brachte der Franzose Jean Bruce bereits das erste von insgesamt 91, allesamt von ihm persönlich verfassten Abenteuer von O.S.S. 117 in die Buchhandlungen. Wie auch Flemings Bond-Romane waren die Geschichten von Bruce keine hohe Kunst, sondern „Gebrauchsliteratur“ für den Massenmarkt, und als solche fanden sie rasch ihr Publikum. Klare Sache, dass früher oder später Filmproduzenten auf die erfolgreiche Reihe aufmerksam werden mussten.

1957, immer noch deutlich vor dem ersten „richtigen“ Bond-Film, war es dann soweit – „O.S.S. 117 n’est pas mort“ kam in die Kinos (irgendwie ein etwas unglücklicher Titel für den ersten Film einer angedachten Reihe), dem bis 1971 noch sechs weitere Kinofilme plus ein Fernsehfilm folgen sollten, bevor die Figur 2006 in Michel Hazanavicius fähigen Händen und mit dem großartigen Jean Dujardin ihre Parodie-Version erfuhr (und auch wenn der zweite „moderne“ 117-Film nun auch schon wieder neun Jahre her ist, ist nun doch ein dritter Teil in Vorbereitung). Im Kielwasser der populären Comedy-Filme kamen zumindest einige der klassischen Agentenabenteuer auch wieder auf den Markt. Grund genug für mich, mir drei DVDs zu besorgen. Immerhin kann man ja die These aufstellen, dass „Männer, Frauen und Gefahren“ (was wohl der generischte deutsche Titel für einen Agentenfilm ist, den man sich ausdenken kann) der erste echte Eurospy-Film ist.

Regisseur Jean Sacha, hauptberuflich Cutter mit gelegentlichen Ausflügen auf den Regiestuhl, hatte immerhin schon Erfahrung mit knallharten Helden. 1947 hatte er als sein Regiedebüt eine heutzutage ziemlich vergessene „Fantomas“-Verfilmung vorgelegt und 1953 mit „Dieser Mann ist gefährlich“ den zweiten Lemmy-Caution-Film inszeniert. Nun ist Hubert Bonisseur de la Bath schon ein anderes Kaliber als Lemmy Caution, der nie etwas anderes war als ein tumber Haudrauf (und gerade deswegen auch bei Godard funktionierte). O.S.S. 117 ist der Prototyp des smarten Gentleman-Agenten, auf du und du mit der High Society, stylisch, elegant, gewitzt, eben „suave“, wie man so schön sagt und damit tatsächlich eine Art früher Vorläufer des Moore-Bonds.

Die Aufgabe, aus der Romanvorlage gleichen Titels einen Film zu adaptieren, fiel Jean LeVitte und Jacques Berland zu, letztgenannter zeichnete auch für die ersten beiden Lemmy-Caution-Abenteuer verantwortlich. Man kann trefflich darüber streiten, ob der spezifische Roman ein besonders gelungener Einstieg in die Kino-Karriere des Superagenten war. Das Buch dürfte, wenn ich die Veröffentlichungshistorie der Serie korrekt lese, ein ziemlich aktueller Band gewesen sein, also einer, in dem der Charakter des Helden schon definiert war. Nun kann man davon ausgehen, dass das zeitgenössische Publikum, besonders in Frankreich, mit der Figur vertraut genug war, um sich problemlos einzufinden, ist es für ein nicht mit der Serie aufgewachsenes Publikum schon schwieriger, weil uns keine echte Introduktion der Hauptfigur geboten wird, sondern wir einfach in eines seiner Abenteuer reingeworfen werden. Großartige Charakterisierungen finden nicht statt, weder auf der Seite des Guten noch bei Bösmanns. Speziell die Schurken bleiben völlig undefiniert – weder ihre Herkunft noch ihre Pläne werden konkretisiert. Wir müssen davon ausgehen, dass es osteuropäische Hintermänner gibt, aber der Film selbst bleibt völig vage, worum’s geht, was eigentlich die „stakes“ sind (man verrät uns z.B. auch nicht, was genau in den Geheimdokumenten steht, an denen Boris und Nahedad so brennend interessiert sind). Es bleibt somit nur der whodunit-Aspekt, um Spannung zu erzeugen, aber auch da hat der Film nicht wirklich viel zu bieten. Das Script versteift sich so auf den primären red herring, dass die Auflösung am Ende ziemlich aus dem Nichts kommt (also schon fast giallesk, ähm).

Das gravierendste Problem des Films ist aber zweifellos, dass er kein guter Showcase für seinen Titelhelden ist – 117 nimmt sich für einen Großteil des Films durch die fingierte Unfallverletzung selbst aus dem Spiel, zieht zwar aus dem Krankenbett heraus die Fäden, unternimmt selbst aber wenig; erst im Showdown darf 117 zeigen, dass er auch in den praktischen Aspekten des Agentenberufs seinen Mann stehen kann. Gut, optimistisch kann man auf dem Standpunkt stehen, dass ein eher zerebral orientierter Agent die Sache realistischer macht und von den typischen Agentenfilmklischees entfernt, aber diese Klischees des tatkräftigen, virilen Draufgängers ist ja das, was „uns“ als Filmpublikum eigentlich an der Materie fasziniert (für realistische Agentenstories halten wir uns dann an John Le Carré). Auch in anderen Bereichen ist das Script etwas blutarm – die Beziehung von Muriel zu Boris bleibt unglaubwürdig, sowohl in ihrer Entstehung als auch der abrupten Beendigung durch die Agentin; wobei ich auf der anderen Seite auch wieder dem Umstand Respekt zolle, dass Muriel nicht klassisches eye-candy am Arm des Helden ist, wie’s die Bond-Girls zu sein pflegen, sondern als durchaus kompetent und selbständig behandelt wird, für 1957 ist das schon richtiggehend progressiv.

Was der Film auf der dramaturgischen Ebene nicht immer richtig macht, macht er aber auf einer handwerklichen Ebene gut. Obwohl Jean Sacha nun nicht gerade ein ganz großer Name im Business ist, so versucht er dem Streifen doch eine gewisse Handschrift aufzudrücken. . Im Zusammenspiel mit Kameramann Marcel Weiss, der später auch Tatis „Traffic“ fotografieren sollte, gelingen ihm einige eindrucksvolle Bilder – die Kameraführung ist für 1957 auch sehr modern, teilweise extravagant, belebt die Bildsprache durch dutch angles, Zooms und Kamerafahrten, die man speziell in einem europäischen Kommerzfilm dieses Baujahrs, der ja meist etwas biederer war als die zeitgenössische amerikanische Konkurrenz, nicht unbedingt erwarten möchte. Pluspunkte verdient sich auch der beschwingte Score von Jean Marion, Schwiegersohn von André Hunebelle, und Komponist einiger Louis-de-Funes-Scharaden, namentlich „Das große Restaurant“ und „Oscar“.

Eine große Tempogranate ist der Film nicht, aber er bleibt kurzweilig genug, auch ohne große Actionszenen oder Ruppigkeiten (es gibt eine einzige etwas blutigere Szene).

Der Cast macht sich durch die Bank nicht schlecht. Ivan Desny, vom Heimatfilm über anspruchslose Komödien bis hin zu Autoren- und Kunstfilmen in so ziemlich allem zu sehen, was an belichtetem Film in der zweiten Hälfe des 20. Jahrhunderts so abgedreht wurde, ist erstaunlich trefflich besetzt als High-Society-tauglicher Gentleman-Agent – attraktiv, groß, präsent, charmant, aber wenn’s sein muss, auch hart (er darf auch einer Frau ein paar Ohrfeigen verpassen und sie rumschubsen). Ich hätte Desny gerne öfter in solchen Rollen gesehen. Magali Noel (später bei Fellini in „Das süße Leben“ und „Amacord“) kommt mit der starken Frauenrolle der Muriel ebenso gut zurecht wie Yves Vincent („Balduin, der Schrecken von St. Tropez“, „Mörder bitten zum Tanz“) als schurkischer Boris – wäre halt schön gewesen, wenn die Rolle etwas mehr Fleisch auf den Rippen hätte. Andre Valmy (in einigen Eddie-Constantine-Filmen zu sehen, später vielbeschäftigt im Franzosen-TV) liefert einen soliden Stint als Desnys Sidekick Joseph ab und Beatrice Arnac („Der Kommissar und sein Lockvogel“) macht als Nahedad einen angemessen sinistren Eindruck. Bemerkenswert sind überdies die auf geschätzt 40 cm geschnürten Wespentaillen der Damen – gesund sein kann das auch nicht…

Die DVD-Fassung ist bei „Magic Pictures“ erschienen. Etwas gewöhnungsbedürftig ist, dass der Film nicht in einem einheitlichen Aspect Ratio präsentiert wird, sondern einer Mischung aus 1.77:1 und 4:3-Windowbox. Das liegt daran, dass der ursprünglich im Widescreen-Format geplante Film während der Dreharbeiten auf Academy-Format umgestellt wurde und die Restaurateure nun versuchten, so nah wie möglich an das ursprünglich intendierte Format zu kommen, anstatt die in Widescreen vorliegenden Parts auf 4:3 zu maskieren. Der Purist dankt dafür. Das bedingt einige Jump-Cuts, aber ansonsten ist das Bild sauber und klar, kontrastreich und weitgehend defektfrei. Der deutsche Synchronton (Dolby 2.0 Mono) ist praktikabel (wobei mich bei der Synchro etwas irritiert, dass Desny als einziger mit französischem Akzent parliert…), französischer O-Ton (ohne Untertitel) wird mitgeliefert. Als Extras gibt’s den Trailer sowie die Trailer für die beiden anderen von Magic Pictures veröffentlichten O.S.S.-Filme sowie Presse- und Fotomaterial als Bildergalerie.

„Männer, Frauen und Gefahren“ ist sicherlich kein Reißer und kann’s in Sachen Action und Abenteuer nicht mit den eine Dekade später im Dutzend billiger gedrehten Eurospy-Kloppern mithalten, ist aber als seriöser „altmodischer“ Agentenfilm nicht zu verachten. Der Film hat deutlliche Schwächen im Script, aber einen gut aufgelegten Cast und einen fähigen Regisseur am Steuer, was den Streifen summa summarum zu allemal akzeptabler Sonntagnachmittags-Unterhaltung macht.

(c) 2018 Dr. Acula


BOMBEN-Skala: 5

BIER-Skala: 6


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