Haschisch

 
  • Deutscher Titel: Haschisch
  • Original-Titel: Haschisch
  •  
  • Regie: Daniel Gräbner
  • Land: Deutschland
  • Jahr: 2003

Vorwort

Im Rif-Gebirge Marokkos wird seit Jahrhunderten Haschisch angebaut – das ist heutzutage nicht erlaubt, wird aber vom marokkanischen Staat einigermaßen geduldet. Für die Menschen in diesem Gebiet ist der Haschisch-Anbau die einzige Quelle des Lebensunterhalts und demzufolge auch das, worum das ganze Leben kreist. Der Film dokumentiert den Alltag in einem kleinen Dorf im Rif und betrachtet nicht nur die traditionellen Methoden der Haschisch-Gewinnung, sondern auch und vor allen den Alltag der Menschen in einer Umgebung, in der außer dem Anbau und dem Verkauf vom Haschisch, dem „Business“, wie die Einheimischen es „liebevoll“ nennen, nichts gibt – keine Arbeit, keine Ablenkung, keine Zukunft. Scheinbar alles dreht sich um Hasch – Haschisch ist Tauschmittel und Währung, Gesprächsstoff und einzige Beschäftigung, sei es durch die Arbeit oder durch den Konsum. Die Alteingesessenen scheinen sich mit der Lage arrangiert zu haben, doch die Jugendlichen träumen von einem besseren Leben in Europa, denn dass die Kiffer-Kultur wirklichen zivilisatorischen Fortschritt unmöglich macht, ist auch einigen der Jungen klar…


Inhalt

Wer mich und meine Sehgewohnheiten etwas näher kennt, weiß, dass ich einer guten Dokumentation immer etwas abgewinnen kann (wie sagte ich so schön dereinst: „Die Nachtschleife von Phoenix ist mein Freund…“). Dabei kommt es eher nachrangig darauf an, ob das Thema mich grundsätzlich anspricht – wenn ein fähiger Filmemacher am Start ist, kann der unter Umständen sogar schaffen, dass mich eine Doku zum Thema „Spitzenklöppelei im Wandel der Zeitalter“ interessiert. Da hat Daniel Gräbner schon mal einen Vorteil: „Haschisch“ hat ein interessantes Thema (und das sag ich nicht nur als Hans-Söllner-Fan). Gräbner geht es in seinem Film aber mitnichten um berauschende Wirkung und soziale Implikationen in Konsumentenländern wie diesem unserem (derjenige, der noch nie einen Joint geraucht hat, werfe den ersten Stein), sondern um die Herkunft des „Kif“ und welche gesellschaftlichen und philosophischen Konsequenzen der Anbau, die Produktion und der Genuss vor Ort an sich hat. Der Film verzichtet dabei (was in gewisser Form, worauf ich noch eingehen werde) auf jegliche erklärenden Narrative – gezeigt werden unkommentierte Bilder aus dem Alltag in einem kleinen marokkanischen Dorf, das ausschließlich vom Haschisch lebt, die Einheimischen kommen ausführlich (wenngleich manchmal ein wenig unzusammenhängend) zu Wort und können von ihrem Leben und ihren Träumen erzählen, und als Ausgleich für so viel Dialoge zum Mitlesen (OmU) gibt’s immer wieder mit authentischer Musik unterlegte Landschaftsaufnahmen, die auch von der marokkanischen Tourismusbehörde gesponsort sein könnten. Zum Teil ist das durchaus erhellend, manchmal aber etwas anstrengend, da die einzelnen „Interviews“ gestückelt und über den ganzen Film verteilt werden und vor allem dem Zuschauer die Zusammenhänge oft nicht klar sind, weil der Film durch seinen konsequenten Verzicht auf Voiceover-Narration oder wenigstens mal ’ne simple Texteinblendung dem Zuschauer nicht verrät, wer da gerade etwas erzählt, in welcher Beziehung die gezeigten Personen zum Haschisch-Anbau und untereinander selbst stehen. Sicherlich kann man sich das im Filmfortgang irgendwann zusammenreimen, aber es erschwert den Zugang zu den Personen selbst. Natürlich kann (und wird) man argumentieren, dass dies die Natürlichkeit des Films fördert und dem Streifen ein eigentümliches Flair verleiht, in dem die „haschbedingte“ Langsamkeit der Dinge ein filmisches Äquivalent findet, aber der Zugänglichkeit und einfacheren Konsumierbarkeit ist es nicht zuträglich; ist halt ein zweischneidiges Schwert, geb ich gerne zu, entweder aufdie hundertprozentige Authenzität zu setzen oder den ein oder anderen erklärenden Kommentar einzubauen.

Persönlich fand ich die Interviewsequenzen sehr interessant – die unterschiedlichen Lebensphilosophien der verschiedenen Generationen (es gibt die Fraktionen „war schon immer so und das ist auch gut so“, „man müsste ja eigentlich was machen, aber in Europa ging’s uns besser“ und „wir müssen bei uns selbst anfangen“, um’s zu simplifizieren) erlauben doch tiefe Einblicke in die nordafrikanische Lebensart und Befindlichkeiten. Dagegen sind einige der unkommentierten Alltagsszenen eher repetetiv (vor allem, da einem, wie erwähnt, mangels Background einfach die Kenntnis fehlt, was da gerade passiert). Dennoch gibt’s auch da natürlich Segmente, die informativer und/oder „spannender“ sind als andere. Gelegentlich schimmert da eine Prise Humor durch, ohne dass der Film seine Protagonisten „vorführt“ (so z.B. in einer der, hm, „besten“ Szenen, in der es zwischen zwei Arbeitern zu einem heftigen Streit kommt).

Bei aller Sympathie, die der Film zweifelsohne für seine Protagonisten entwickelt, verkommt der Streifen aber nie zu einem simplen Werbefilm für Hasch und das Haschrauchen (wenn man mal davon absieht, dass durch die Blume empfohlen wird, die Finger vom qualitativ minderwertigen Exportgelumpe zu lassen) – es wird deutlich, wie aus der „Kultur“ des Haschrauchens, des „Kiffens“, sich eine bleierne Lethargie über den ganzen Landstrich gelegt hat (insofern bestätigt der Film auch ein paar Vorurteile der Anti-Hasch-Front).

Was mir fehlt, ist schlicht und ergreifend ein begleitender Erzähler (oder wenigstens ein paar Texteinblendungen) – dadurch, dass der Film bewusst die Bilder unkommentiert lässt, entsteht erstens ein bisschen der Eindruck hübsch montierter Urlaubsvideos, zweitens fehlt dem Film so etwas wie eine gewisse Distanz zur Materie; nicht nur, dass, wie schon geschildert, ab und zu einfach eine simple Erklärung hilfreich wäre, wer gerade was tut oder erzählt, manchmal würde man sich schon die ein oder andere Hintergrundinformation wünschen. Insofern hat der DVD-Besitzer den Vorteil, auf den Audiokommentar zurückzugreifen, der in dieser Hinsicht die meisten Fragen beantwortet und darüber hinaus noch mit einigen netten Anekdoten vom Dreh dienen kann.

Bildqualität: Präsentiert wird der Film auf DVD (von den Produzenten selbst hergestellt) in einem anamorphen 1.78:1-Widescreen-Format. Da der Film auf Video gedreht wurde, ist das Bild naturgemäß kristallklar und bestechend scharf. Gelegentlich gibt’s ein paar Probleme mit Überbelichtung und mangelnder Ausleuchtung, aber das sind nun mal Dinge, die bei einer Dokumentation, in der man nicht jede Szene gnadenlos oft wiederholen lassen kann, passieren und die nicht wirklich stören. Im übrigen präsentiert sich das Bild ruckel- und kompressionsstörungsfrei, lediglich ein paar seltene Störblitze sind zu verzeichnen.

Tonqualität: Es gibt ausschließlich eine Original-Tonspur, die sich aus französischen, englischen und arabischen Elementen zusammensetzt. Eine Dolby-Bearbeitung wäre hier natürlich völlig überflüssig gewesen – der vorliegende Stereoton reicht vollkommen aus, um auch die natürliche Geräuschkulisse und die traditionelle Musik zur Wirkung kommen zu lassen. Kein Grund zur Kritik vorhanden.

Extras: An Bonusmaterial ist in erster Linie der wie angesprochen sehr informative Audiokommentar von Regisseur Grübner und seinem Tonmann Andreas Hirsch zu nennen. Der Kommentartrack liefert viel an Hintergrundinformation, die zum Verständnis des Films nicht ganz unwichtig ist und ist daher Pflichtprogramm für den interessierten Zuschauer. Da der Film selbst ja sowieso untertitelt angesehen werden muss (es sei denn, jemand beherrscht neben gängigeren Fremdsprachen auch noch das arabische Idiom), kann man den Film durchaus, wenn’s einem hauptsächlich um Infos geht, gleich mit dem Kommentar ansehen (die „beruhigende“ Wirkung der Bilder geht dabei natürlich verloren). Einige Drehanekdoten werden gratis mitgeliefert. Des weiteren finden sich knapp zehn Minuten geschnittene Szenen an, die im Film allerdings nicht wirklich vermisst werden (obwohl die Benzinkanister-Gitarre des in zwei der betreffenden Szenen gewürdigten Musikers schon sehenswert ist). Aus unerfindlichen Gründen ist da wohl was beim Mastering schief gelaufen, denn wenn man z.B. die Szene „Musiker 2“ anwählt, spielt sich anschließend der komplette Block deleted scenes ab. Drei Texttafeln mit Hintergrundinformationen zum Gebiet des Rif an sich, zu Regisseur Gräbner und Produzent El Kacimi runden das Angebot ab.

Fazit: „Haschisch“ ist sicher kein perfekter Dokumentarfilm, dafür hätte ich mir etwas mehr Ausgewogenheit zwischen unkommentierten Szenen und „härteren“ Informationen gewünscht und vielleicht die ein oder andere kritische Nachfrage mehr an die Interviewpartner (wobei man natürlich bedenken muss, dass es gewiss nicht einfach ist, überhaupt ins Gespräch zu kommen. Im Audiokommentar erwähnen Gräbner und Hirsch, dass es z.B. ziemlich erstaunlich war, überhaupt Frauen filmen zu können – zu Wort kommen sie allerdings nicht). Wie gesagt, der Kommentartrack entschädigt für manches, was im Film etwas zu kurz kommt. Schöne und eindrucksvolle Bilder gelingen Gräbner allemal und auch der Blick in eine eigentlich für uns so (geographisch) nahe und doch so ferne Kultur ist reizvoll und erhellend. Prädikat: auf alle Fälle sehenswert. Die DVD ist für ein offensichtlich in Eigenregie entstandenes Produkt ausgezeichnet gelungen.

4/5
(c) 2004 Dr. Acula


mm
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