H6 – Tagebuch eines Serienkillers

 
  • Deutscher Titel: H6 - Tagebuch eines Serienkillers
  • Original-Titel: H6: Diario de un asesino
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  • Regie: Martin Garrido Baron
  • Land: Spanien
  • Jahr: 2005
  • Darsteller:

    Fernando Acaso (Antonio Frau), María José Bausá (Francisca), Martín Garrido (Miguel Oliver), Alejo Sauras (Cristóbal), Raquel Arenas (Rosa), Xènia Reguant (Marisa), Ramón del Pomar (Curro), Sonia Moreno (Tina)


Vorwort

Antonio Frau ist krankhaft eifersüchtig und prügelfreudig – kein Wunder, dass seine Freundin Soledad die Beziehung zu terminieren gedenkt. Das Terminieren übernimmt aber, mit den beliebten Worten „wenn ich dich nicht haben kann, dann keiner“, dann doch Antonio. Vierzehn Jahre später wird er aus dem Knast entlassen und tritt eine Erbschaft an – eine alte Tante hat ihm (bzw. nicht speziell ihm, aber als einziger lebender Angehöriger fällt ihm das Erbe by default zu) eine heruntergekommene Pension in einem übel beleumundeten Stadtteil vermacht. Ideal für Antonio, der in den langen Knastjahren mittlerweile zu mehreren Erkenntnissen gekommen ist: erstens, dass er dem legendären Serienmörder Henri Landru nacheifern möchte und wie dieser seine Mordtaten akribisch dokumentieren will, zweitens, dass er dadurch berühmt und einen Platz in der Geschichte einnehmen wird und, last, but not least, durch sein Wirken und Tun auch noch armen Sündern (sprich: Frauen des horizontalen Gewerbes) Läuterung zuteil werden lässt. Flugs noch zur Aufrechterhaltung einer Biedermannfassade die Krankenschwester Francisca geheiratet (für die die Ehe nur eine günstige Gelegenheit darstellt, ihren Eltern zu entkommen und gleichzeitig ihr Verhältnis mit einem Arzt weiterpflegen zu können), und dann kann schon gemördert werden. Opfer Nummer 1, der junge Herumtreiber Cristóbal, ist noch mehr oder weniger ein Zufall und Testlauf, aber schon ab dem zweiten Opfer geht Antonio planvoll und gezielt vor – er lockt Prostituierte in seine Pension, wo er das Zimmer Nummer 6 schon zu seiner privaten Folterkammer-Gefängniszelle umgebaut hat. Dort werden die bedauernswerten Mädels in Reizwäsche auf einen Tisch gefesselt, vergewaltigt und von Antonio „auf den rechten Weg“ zurückgeführt – was allerdings unweigerlich mit dem Ableben der Damen endet. Polizeikommissar Oliver, der Antonio schon nach dem Freundinnenmord festnahm, plagt ein ungutes Gefühl hinsichtlich seines alten „Bekannten“, aber es fehlen die Beweise…


Inhalt

Serienkiller, die 321. Ich weiß nicht, ob Regisseur/Autor sich absichtlich an McNoughtons „Henry – Portrait of a Serial Killer“ angelehnt hat (eigentlich kann man in dem Genre nicht arbeiten, ohne den zu kennen, und die Titelähnlichkeit ist ein bissl sehr offensichtlich), und es ist mir auch eigentlich wurst, nur macht schon der Titel deutlich, dass wir es höchstwahrscheinlich nicht mit einem sonderlich originellen Genrebeitrag zu tun haben werden.

Auch wenn der Coverblurb „härter als HOSTEL“ dahersülzt und Regisseur Baron im Zusatzmaterial den Zuschauer auf „eineinhalb Stunden Horror“ einzustimmen versucht, konstatieren wir nach Ansicht – ein Horrorfilm ist „H6“ nicht und will es augenscheinlich auch nicht sein; vielmehr haben wir es mit einem weiteren Versuch zu tun, in die Psyche eines Serienkillers einzutauchen und ein Psychogramm eines derangierten Geistes darzustellen (hatten wir ja noch nicht oft genug mit True-Crime-Geschichten wie „Gacy“, „Dahmer“, „Ed Gein“ etc. pp.) – soweit nichts neues unter der Sonne, aber auch nicht verboten, nur leider fährt Baron sein mehr oder weniger hehres Anliegen (geschrieben übrigens von Oliver-Darsteller Martín Garrido, den ich jetzt einfach mal spaßeshalber für den Vater des Regisseurs halte) mit Caramba, Karacho und ohne Whisky frontal an die stabil gemauerte Wand der internen Logik, schlüssigen Dramaturgie und spannenden Inszenierung. Das Plotgimmick des „Tagebuchs“, das Antonio über seine Taten führt, tut kaum etwas zur Sache (die „interessantesten“ Enthüllungen über das Innenleben des Killers finden im Dialog mit einem seiner Opfer statt und läuft, wie hochgradig originell, mal wieder auf die gute alte „unglückliche Kindheit“ hinaus), außer einen (zumindest in der OmU-Fassung) ziemlich unverständlichen Schluss-„Twist“ vorzubereiten; die Motivation des Killers ist nur diffus umschrieben und entscheidet sich nie wirklich für eine der angebotenen Alternativen (fühlt er sich nun berufen, „Gottes Werk“ zu vollführen oder geht’s ihm einfach nur um den Ruhm?), was der ganzen Herumpsychologisiererei natürlich nicht hilft. Äußerst, ähm, unglücklich ist auch Barons Schachzug, den selbstgewählten Weg der Ich-Perspektive aus Sicht Antonios dadurch aufzubrechen, unvermittelt Sequenzen einzubauen, die aus Franciscas POV (und mit ihrer Narration) geschildert werden (es ist freilich notwendig, um überhaupt zu erklären, wieso in Gottes Namen Francisca überhaupt auf die Idee kommt, Antonio – auch ihr bekannt einen verurteilten Mördre – zu ehelichen, aber es wirft halt die Struktur des Films über den Haufen; ähnlich ist’s mit kurzen Szenen, die aus Sicht des ermittelnden Kommissars Oliver erzählt werden, die ansonsten auch nicht im Narrative untergebracht hätten werden können; es ist aber auch doof – da entscheidet man sich für ein Stilmittel und dann stellt man fest, dass das Script so nicht funktioniert…).

Trotz des delikaten Themas entwickelt sich der Film dann auch nur in einem müde vor sich hin plätschernden Tempo und bleibt frei von Überraschungen – Antonios modus operandi ist nicht so filmisch gewinnbringend, wie Baron sich das vielleicht vorstellt, und demzufolge repetetiv (wobei man froh sein muss, dass Baron von den rapportieren 18 Opfern des Killers nur zweien breiten Raum widmet). SPOILER VORAUS. Ein gepflegtes Gähnen konnte ich mir nicht verkneifen, als Antonio sich sein „letztes“ Opfer vornimmt, aber von ihr ablässt, als er feststellt, dass sie entgegen seiner Annahme bereits (bzw. schon immer) gottesfürchtig war (und Marienbildchen in ihrer Nuttenhandtasche mit sich rumträgt) – was ich außerdem nicht für sonderlich gedeckt durch die Charakterzeichnung des Killers halte, schließlich ist sie, gläubig oder nicht, trotzdem seiner „Sünderin“-Definition entsprechend (und seine vormaligen Opfer fanden durch seine gütige „Mithilfe“ ja auch zu Gott, was ihn nicht davon abhielt, sie zu metzeln). Summa summarum stinkt das Script nach künstlerischem Anspruch, entpuppt sich aber bei Ansicht doch wieder nur aus dem Baukasten des „wir basteln uns einen zünftigen serial killer“ zusammengesetzten Konglomerats x-mal aufgewärmter Ideen, die man allerdings selten so spannungslos aneinandergereiht gesehen hat.

Denn, das müssen wir uns vor Augen halten, (Debüt-) Regisseur Baron ist nicht nur Filmemacher, sondern auch Künstler (er frönt der Malerei und hatte bereits einige Ausstellungen), d.h. wir gemeiner Zuschauerpöbel haben’s hier nicht nur mit einem x-beliebigen Unterhaltungsfilm der raueren Machart zu tun, sondern eben mit KUNST und wenn wir das nicht kapieren, sind wir mal wieder selber schuld. Nur fällt dem Herrn Künstler halt weder inhaltlich noch inszenatorisch-dramaturgisch etwas ein, womit er „H6“ von den zahlreichen konkurrierenden Serienkiller-Psychogrammen abheben könnte. Ganz im Gegenteil, wie und warum sein Antonio Frau tickt, macht er weder durch Script noch visuelle Umsetzung desselben deutlich. Sein Protagonist ist im weiten Feld der Kino-Mörder recht farblos gestrickt, es gibt keinen echten Konflikt (demzufolge geschieht auch die „Auflösung“ eher larifari-nebenher und ist nicht Ermittlungsarbeit der Polizei, sondern einem unspezifizierten „Bauchgefühl“ des Kommissars geschuldet), wodurch sich keine Spannung einstellt, und über die ein oder andere moralische Implikation (man muss eine Frau nur lang genug an einen Tisch fesseln, hungern lassen, gelegentlich vergewaltigen, und nach ein paar Tagen ist sie von all ihren weltlichen „Makeln“ geheilt) kann man sich schon mal dezent begöbeln (ja, klar, Antonio ist BÖSE, aber seine Methode funktioniert ja anscheinend…).

Losgelöst vom Inhalt macht der für knapp eine Million Eurodollar entstandene Streifen optisch einen soliden Eindruck. Die beschränkten monetären Mittel zwingen den Film dazu, sich hauptsächlich in stets den selben (und spärlich dekorierten) Sets herumzutreiben, doch die Kameraarbeit des (ebenfalls in dieser Funktion debütierenden) D.O.P. Sergio Delgado müht sich nach Kräften, aus den minimalistischen Locations durch einfallsreiche Einstellungen das Maximum herauszuholen. Stets überdurchschnittliche, manchmal geradezu exzellente (wenn auch oft ein wenig unterkühlt wirkende) Bilder entlockt Delgado seinem Equipment und sorgt so dafür, dass die inhaltliche Leere wenigstens manchmal durch optisches Bravado ein wenig ausgeglichen wird. Schnitt und dezente, unaufdringliche (oft klassische) musikalische Untermalung.

Wer (bzw. ein Verleih, der solches tut) seinen Film mit den Worten „härter als HOSTEL“ bewirbt, sollte den markigen Sprüchen dann auch besser Taten folgen lassen (mal völlig außen vor gelassen, für was für einen Eimer Gülle man nun „Hostel“ halten mag) – sabbernde Gorehounds, die angesichts dieser Bewerbung und des blutige Eingeweide galore versprechenden SPIO/JK-Ratings schon prophylaktisch ejakulieren, können die Hose gerne wieder zu machen. „H6“ ist beinahe reinrassiger psychologischer Horror (bzw. wäre es herzlich gerne, wenn er es könnte) und kommt mit exakt eineinhalb richtig blutigen Szenen aus (und die GROSSE besteht auch nicht aus explizitem Gesplattere, sondern einigen Hektolitern Kunstblut, die über die bedauernswerte gerade zu killende Aktrice geschüttet werden; des weiteren gibt’s noch einen halb expliziten Selbstmord per Schrotflinte) und zeigt uns ansonsten einige Fleischfetzen, die vom Killer in Müllsäcke gepackt werden. Weder krasse Effekte noch Ekel, die Freigabe bzw. der Mangel derselben resultiert wohl ausschließlich aus der sexuellen Komponente – wie sehr unsere Prüfungsgremien auf Bondage stehen, nämlich gar nicht, ist ja einschlägig bekannt, und wenn sie dann erst non-consensual ist, kann man zumindest nachvollziehen, warum die FSK kein Papperl rausrücken wollte. Nudity gibt’s lustigerweise allerdings praktisch nur in den kurzen consensual-Sexszenen zwischen Antonio und Francisca (wobei eine aus unerfindlichen Gründen gar lustig hochgespeedet wurde), des Killers Opfer behalten stets BH, (bis auf eine kurze Ausnahme) Slip und Strapse an (erheiternderweise zieht Baron einen – vielleicht sogar beabsichtigten – Continuity-Goof als „running gag“ durch… nach jeder Vergewaltigung, und das sind einige, sind die Höschen der Opfer züchtig zurechtgerückt).

Dass der Film dann aber zumindest noch ansehnlich genug bleibt, um sich nicht nach einer dreiviertel Stunde frustriert interessanteren Beschäftigungen zuzuwenden, liegt (nicht nur an meinem Bondage-Fetisch, sondern auch) an den plausiblen darstellerischen Leistungen des Ensembles. Fernando Acosa, nach meiner Recherche kein Profi-Schauspieler, sondern eher eine Art spanischer TV-Persönlichkeit in Game- und Realityshows, zieht sich trotz des unausgegorenen Charakters, den er zu spielen hat, achtbar aus der Affäre – größtenteils findet er das richtige Mittel zwischen kühl-distanzierter Berechnung und aufflackerndem Wahnsinn (außer im Epilog vor dem „richtigen“ Epilog, wo er fröhlich overacted, bis die Schwarte kracht, aber das kann, wenn ich den Schlusstwist richtig verstehe, beabsichtigt sein). María José Bausá kämpft als Francisca ebenfalls mit einem eher unverständlichen Charakter (ist aber zumindest in einer der wenigen wirklich funktionierenden Szenen beteiligt), Rquel Arenas und Xènia Reguant sehen nicht nur passabel aus, was schon mal nicht verkehrt ist, wenn man den Großteil seiner Szenen halbnackt an einen Tisch gefesselt zubringt, sondern bringen im Rahmen des Möglichen auch starke, emotionale Performances. Autor/Produzent Martín Garrido, der in den 80er Jahren auch einige eigene Filme inszeniert hat, bleibt als Kommissar Oliver sehr blass. Als „Gaststar“ fungiert Alejo Saurus, der in einigen spanischen Soaps offenbar gewisse Popularität errungen hat (nicht, dass er in diesem Film, in dem sein Auftritt ungefähr drei Minuten dauert, andeuten könnte, warum das so ist).

Bildqualität: Sunfilm präsentiert den Streifen in makellosem anamorphen 1.78:1-Widescreen ohne Fehl und Tadel. Ausgezeichnete Detail- und Kantenschärfe, sehr guter Kontrast, keine Kompressions-Probleme, frei von Verschmutzungen, Defekten, Artefakten oder Mastering-Fehlern. Thumbs up für die optische Präsentation!

Tonqualität: Drei Tonspuren stehen zur Wahl – die deutsche Synchronfassung in dts und Dolby 5.1 sowie der spanische O-Ton in Dolby 5.1. Der, von mir wie so oft aus Authenzititäsgründen bevorzugt, ist rauschfrei und kristallklar, vielleicht insgesamt etwas auf der zu leisen Seite. Ob die optionalen deutschen Untertitel die von Sunfilm/Vicomedia schon gewohnten Übersetzungshauer beinhalten, kann ich mangels tieferer Kenntnis der spanischen Sprache nicht beurteilen 😉

Extras: Neben der üblichen Sunfilm-Trailershow erfreut man uns mit einigen (allerdings außergewöhnlich nichtssagenden) Interviews mit Regisseur Baron, Star Acosa und Gaststar Saurus sowie einer behind-the-scenes-Featurette, dazu gibt’s den Originaltrailer.

Fazit: Wer den auf dem Cover herausgestellten Spruch „Verstörend und radikal… H6 tut körperlich weh, weil er weiter geht, als man als Zuschauer eigentlich geführt werden möchte“ (aus dem FFF-Programm) geprägt hat, der ist scheinbar noch nicht sehr weit rumgekommen, was dieses Subgenre angeht. „H6“ ist nicht verstörend, sondern langatmig, nicht radikal, sondern unoriginell – ein wenig Bondage-Fetisch mit dem Psychokiller-Thema zu verbinden, macht noch keinen provokant-künstlerischen Schocker, sondern nur einen „zensurfreundlichen“, ansonsten aber absolut nicht bemerkenswerten Allerweltsstreifen, der nichts auslotet, was nicht aus den Dutzenden ähnlich gelagerten Killer-Studien bekannt und abgefrühstückt wäre. Wieder mal viel Hype um nichts. „H6“ nervt nicht sonderlich und widert, mangels ausgewalzter Goresudeleien, auch nicht an, sondern ist einfach nur irgendwie da… Völlig egal, ob man den gesehen hat oder nicht…


mm
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