Dolls

 
  • Deutscher Titel: Takeshi Kitanos Dolls
  • Original-Titel: Dolls
  •  
  • Regie: Takeshi Kitano
  • Land: Japan
  • Jahr: 2002
  • Darsteller:

    Miho Kanno (Sawako), Hidetoshi Nishijima (Matsumoto), Tatsuya Mihashi (Hiro), Chieko Matsubara (Frau im Park), Kyoko Fukada (Haruna), Tsutomu Takashige (Nukui)


Vorwort

Der junge Japaner Matsumoto lässt sich, um seiner Familie einen Gefallen zu tun und seine beruflichen Aufstiegschancen zu wahren, darauf ein, anstelle seiner Freundin Sawako die Tochter des mächtigen Firmenpräsidenten zu ehelichen. Praktisch direkt vor dem Traualter wird er aber damit konfrontiert, dass die Zurückgewiesene nach einem Selbstmordversuch den Verstand verloren hat. Kurz entschlossen entführt Matsumoto Sawako aus dem Krankenhaus und geht mit ihr auf eine Odyssee, zunächst noch per Auto, doch später dann zu Fuß – und damit Sawako ihm nicht dauernd abhaut und sich in Schwierigkeiten bringt, bindet er sie mit einer roten Kordel an sich. Auf ihrem scheinbar ziellosen Weg durch Japan kreuzen die den Weg anderer unglücklicher Menschen – ein alternder Yakuza-Boss reflektiert in Angesicht das näherkommenden Todes über sein Leben und erinnert sich an die Frau, die er zugunsten seiner Karriere im Gangstermillieu verlassen hat und die immer noch jeden Samstag mit zwei Lunchpaketen auf einer Parkbank auf seine Rückkehr wartet; und da ist auch Nukui, der größte Fan des Popsternchens Haruna, der in Dauerclinch mit Aoki, einem rivalisierenden Hardcore-Fan der Sängerin liegt. Als Haruna sich nach einem entstellenden Autounfall aus der Öffentlichkeit zurückzieht und niemanden, auch ihre größten Fans nicht, an sich heranlassen will, greift Nukui zum scheinbar einzigen Mittel, Haruna in ihrem selbstgewählten Exil treffen zu können…


Inhalt

Ich gebe es mal wieder zu, diesem Film habe ich entgegengefiebert (was mich selbstverständlich nicht daran hinderte, ihn im Kino triumphal zu verpassen), denn ich bin ein Fan von Takeshi Kitano, dem vielleicht avantgardistischten aller japanischen Gewalt-Poeten, dessen blutige und doch immer wieder fast schon lyrische Gangsterdramen wie „Hana-Bi“, „Sonatine“ und zuletzt „Brother“ das Kunststück fertigbringen, sowohl seriöse Filmkritiker als auch eine stetig wachsende Fangemeinde zu begeistern (Schauspielauftritte wie zuletzt z.B. in den „Battle Royale“-Filmen schaden natürlich seiner Popularität auch nicht, und warum DSF angesichts der Tatsache, dass Kitano langsam, aber sicher zu einem „Namen“ mit Wiedererkennungswert wird, nicht endlich seine Comedy-Gameshow „Takeshi’s Castle“ wiederholt, werde ich nicht begreifen). „Dolls“ allerdings ist, was jedoch auch vorab bekannt war und ist, kein „typischer“ Kitano – nicht nur verzichtet der Meister selbst auf die Übernahme einer tragenden Rolle, nein, „Dolls“ hat auch mit Gewaltexzessen und brutaler Action absolut nichts am Hut (wie ein kleiner dezenter Blick auf die FSK-12-Freigabe auch unwissenderen Gemütern, die normalerweise keine FAZ-Feuilletons lesen, verdeutlichen sollte). Takeshi Kitano wollte ganz bewußt etwas „anderes“ machen, aber obwohl „Dolls“ sich auf den ersten Blick überhaupt nicht in den Kanon seiner Werke einzupassen scheint, wird schnell klar, dass der Film doch – wenn auch mit anderen Mitteln – eindeutig Kitanos pessimistisch-tragische Sicht der Dinge zeigt.

„Dolls“ schildert drei unglückliche Liebesbeziehungen – wobei Kitano nicht ganz von seinem Lieblingsthema „Yakuza“ lassen kann, wobei die entsprechende Geschichte auch in anderem Kontext durchaus funktionieren würde -, die nur tragisch enden können – hoffnungslose, zum Scheitern verurteilte Beziehungen, deren Protagonisten – was wohl eint ypisch jpaanisches Problem darstellt, kaum dazu in der Lage sind, ihre wahren Gefühle, ihre Emotionalität auszudrücken. Z.B. Matsumoto – wenn er seine „ausgesuchte“ Braut vor dem Altar stehen lässt und Sawako aus der Klapsmühle „befreit“, tut er dies, um Sawako zu helfen oder doch nur, um seine Schuldgefühle zu ventilieren? Es scheint, als brauche Matsumoto Sawako wesentlich dringender als sie ihn; seine Gefühle für sie bringt er nur selten zum Ausdruck (was aber eines der besten Stilmittel des Films ist – jeder Ausbruch von echter Emotionalität kommt, gerade bei Matsumoto, dann mit einer fast schon brachialen Vehemenz, die deutlich macht, was sich in diesem Charakter angestaut hat – verdammt, ich psychologisiere hier schon wieder wüst herum, tut mir leid, wird nicht wieder vorkommen…).

Also mehr zurück zum Allgemeinen, bevor das hier in eine tiefgehende philosophische Filmanalyse übergeht. Die zentrale Geschichte ist die um Matsumoto und Sawako, sie nimmt den breitesten Raum ein, ist aber kunstvoll mit den beiden „kleineren“ (nicht weniger traurigen) Geschichten verwoben (kleine Details am Rande bringen die verschiedenen Stories miteinander in Verbindung). Alle drei Geschichten sind, wie sagt man’s, ohne peinlich zu werden (oder noch peinlicher als sonst schon), „berührend“, wobei (leider) die Hauptgeschichte vielleicht sogar die schwächste ist, sie scheint ihren Punkt bereits etwas sehr frühzeitig zu machen und steuert danach nur noch auf das melodramatische Finale zu, mir kommt die Story um Nukui und Haruna möglicherweise etwas zu kurz. Aber das ist wirklich nur ausgesprochen nebensächliche Kritik – alle drei Geschichten funktionieren, sind zweifelsohne recht japanisch (und basieren in ihren Stimmungen und Zielsetzungen weniger auf den titelgebenden Burako-Puppen – eine Form japanischen Marionettentheaters – als auf japanischem, hm, „Volkstheater“ des späten 19. Jahrhunderts), sind aber auch für dem fernöstlichen Kulturkreis nicht zugehörige Zuschauer verständlich und anrührend.

Die erzählten Geschichten sind aber nur ein Aspekt von „Dolls“, die filmische Umsetzung der andere. Kitano, der ja aus seinen Thrillern und Gangsterdramen dafür bekannt ist, harte Action und poetische, stille Passagen zu einem schlüssigen Ganzen zu verbinden, konzentriert sich – naturgemäß – auf die poetische Seite seiner Regiekunst. Der Film ist ruhig, langsam, lyrisch und lebt zu einem Gutteil von seinen Bildkompositionen; Kitano selbst führt aus, dass er ganz bewusst einen Kontrast zu seinen vielfach als kalt und steril angesehenen Actionfilmen herstellen wollte und ganz gezielt mit Farben und den dazu korrespondierenden Jahreszeiten als Stilmittel arbeitete. Ein wesentlicher Bestandteil der filmischen Umsetzung sind auch die Kostüme des Modeschöpfers Yohji Yamamoto, der von Kitano „carte blanche“ erhielt – mit der Folge, dass Yamamotos Kostüme den Film wesentlich beeinflußten (das ging soweit, dass gewisse Szenen, gewisse Bilder passend zu den von Yamamoto gefertigten Kostümen gedreht wurden und nicht etwa umgekehrt, wie’s doch eigentlich der Lauf der Dinge ist). Keine Angst, „Dolls“ entwickelt sich nie zu einer Avantgarde-Modenschau im Filmgewand, sondern gewinnt durch die perfekte Abstimmung von Geschichten, Bildern, Kostümen und schauspielerischen Leistungen eine zusätzliche Dimension – die Kostüme sind integraler Bestandteil des Films. Die ausgezeichnete Kameraarbeit von Kasumi Yanagijma und die gefühlvolle Musik von Joe Hisaishi tragen ihr Teil zu der gelegentlich fast schon surrealen Atmosphäre des Streifens bei (und der von „Haruna“ vorgetragene Popsong „Magical Beam“, eine Art Blümchen-Nummer auf Japanisch, ist einer dieser pervers-süßlichen Ohrwürmer, die man leider Gottes stundenlang nicht mehr aus dem Ohr bekommt. Damn them Japanese!)

Wie schon angedeutet sind auch die schauspielerischen Leistungen durch die Bank ausgezeichnet – Hidetoshi Nishijima liefert als Matsumoto eine Glanzvorstellung, kombiniert aus stoischer Ruhe und heftigen Gefühlsausbrüchen, Miho Kanno gelingt es, ihrem Charakter der Sawako trotz der Beschränkung, die eine Rolle als mindestens Halb-Katatonikerin mit sich bringt, großartige Nuancen in ihr Spiel zu legen (vgl. die Szene, in der Sawako sich in ein doofes Kinderspielzeug „verliebt“ und ihr Entsetzen, als sie das Ding dann wieder verliert). Auch für die anderen Darsteller – wäre jetzt ein wenig müßig, alle einzeln aufzuzählen, weil bis auf wenige Ausnahmen kaum einer internationalen Bekanntheitsgrad aufweisen kann – agieren überzeugend, wobei eigentlich durch die Bank für alle das Label „fein nuancierte, eher minimalistische Darstellkunst“ gilt. Teilweise gehen die Performances tatsächlich unter die Haut und der sentimentale alte Knochen von Reviewer wurde von dem Gesamtbild aus tragischen Geschichten und großer Schauspielkunst doch emotional mitgenommen…

DVD

Bildqualität: Sunfilm erkennt mittlerweile eine Prestige-Veröffentlichung, wenn sie sich anbietet und spendiert auch „Dolls“ das „Collectors Edition“-Doppel-DVD-Treatment. Auf Disc 1 findet sich der Hauptfilm in einem sehr schönen anamorphen Widescreen-Transfer (1.85:1, was wohl auch, soweit von mir jetzt recherchierbar, das Original-Aspect-Ratio sein dürfte). Der Print ist ausgezeichnet, störungsfrei und absolut bar jeder Verunreinigung. Bei einem Film, der von seinen Farbkompositionen lebt, ist natürlich vor allem die entsprechende technische Umsetzung wichtig – kein Problem hier, die Farben sind brillant und genau wie gefordert sozusagen „überlebensgroß“ (es gibt herausragende Szenen, in denen die Personen eine Art „unwirkliche Aura“ zu umgeben scheint, und das wird von der Disc perfekt umgesetzt). Auch in den weiteren Einzeldisziplinen gibt sich der Bildtransfer kaum eine Blöße – selten stellt sich ein minimales Ruckeln ein, das aber kaum den Sehgenuss beeinträchtigt. Schärfe- und Kontrastwerte sind durch die Bank sehr gut, auch die Kompression bietet keinen Anlass zur Klage.

Tonqualität: Hier hat man bei Sunfilm auch selten Grund zur Beschwerde – auch „Dolls“ wird mit satten fünf Tonspuren ausgeliefert, wobei die Verteilung dem üblichen Muster der Sunfilm-Releases entspricht. Deutsch gibt’s in Dolby Digital 5.1, 2.0 und dts, die japanische Originaltonspur in 5.1 und 2.0. Der alte Originalfassungs-Spezi Yours Truly kümmerte sich natürlich hauptsächlich um den Originalton (da „Dolls“ nicht wirklich dialogintensiv ist, würde ich jedem Filmfreund empfehlen, die Originalfassung mit den – optionalen – deutschen Untertitlen zu betrachten, da die deutsche Synchro auch gelegentlich ein Eigentor schießt); diese ist vollkommen rauschfrei, die Dialoge sind klar, die Musik wunderschön abgemischt. Sehr anhörbar!

Extras: So, und jetzt kommt der kritische Part dieser bisherigen Heiligsprechung. Zunächst mal zur Verpackung – ich bin nach der wunderschönen Verpackung von „Zug des Lebens“ doch über die Machart und Verarbeitung der „Dolls“-CE leicht enttäuscht. Das Cover selbst ist wunderschön, keine Frage, aber das Digipak-Innenleben ist doch recht billig wirkendes Plastik – richtig „edel“ wirkt das nicht. Auch der Schachzug, anstelle eines anständigen Booklets nur ein aufklappbares Faltblatt mit ein paar Interview-Auszügen beizulegen, ist m.E. nicht der Weisheit letzter Schluss (wenn ich wieder den Quervergleich zu „Zug des Lebens“ bemühen darf: auch bei „Dolls“ hätte sich ein ausführliches Booklet mit Hintergründen zum vom Film zitierten japanischen Theater, den Burako-Puppen und Kitano selbst heftig aufgedrängt). Die eigentlichen Extras befinden sich auf Disc 2 und umfassen ca. 75 Minuten Gesamtlaufzeit. Neben schön gestalteten Biographien für alle wesentlichen Darsteller, Kitano und Modemann Yamamoto finden sich gut zwanzig Minuten unkommentierte Drehaufnahmen (ich wiederhole mich: ich bin kein Fan unkommentierter Making-ofs), ein achtminütiges Irgendwas aus relativ wahllosen und unkommentierten Aufnahmen vom Filmfest Venedig 2002 sowie das Highlight, die Interviewsektion. Informativ und ausführlich ist ein gut halbstündiges Gespräch (allerdings aus zwei unabhängigen Interviews zusammengestellt) mit Takeshi Kitano, interessantes weiß auch Yohji Yamamoto in seinen knapp 10 Minuten zu berichten. Die jeweils nur drei- bis vierminütigen Kurzinterviews mit Kanno und Nishijima verraten kaum etwas, was über „Kitano ist der tollste Regisseur“ hinausgeht. Auf Disc 1 finden sich zudem der Originaltrailer und eine Sunfilm-Trailershow. Letztlich finden sich gerade knapp vierzig Minuten wirklich *brauchbare* Extras an, so dass das Zwei-Disc-Treatment nicht unbedingt gerechtfertigt erscheint.

Fazit

„Dolls“ ist zweifellos das, was Feuilleton-Kritiker gern mit den Worten „großes Kino“ bezeichnen (soll’n die auch mal recht haben). Wie die meisten Kitanos ist auch dieser hier gewiss kein Streifen für ein breites Publikum, obwohl durch den Verzicht auf seine gewohnen Gewalteinlagen (gestorben wird dennoch reichlich, aber halt fernab der Kamera) andere Zuschauerschichten angesprochen werden (dafür wird wohl der Kitano-Fan, der von der Action- und Blutseite her komm, auf „Dolls“ verzichten). „Dolls“ erfordert schon eine gewisse Geduld, die Bereitschaft, sich auf einen schwermütigen, langsamen (nicht langweiligen), traurigen Film einzulassen, der weniger von Dialogen oder „Aktionen“ lebt, sondern von Stimmungen, Landschaften, Bildern, Farben und Kostümen. Nicht gerade das, worauf man vom durchschnittlichen Hollywood-Blockbuster heutzutage gepolt wird und selbst für modernes Art-House-Kino auf der ruhigeren, anspruchsvolleren Seite (wenn ich mich zu einem nun wirklich abgehobenen Vergleich, der beiden Seiten auch nicht wirklich gerecht wird, aber mir fällt halt gerade kein besserer ein, versteigen darf: „Dolls“ ist in Stimmung und Ausführung einem zugänglicheren – aller dings *sehr viel* zugänglicheren – Greenaway-Film nicht völlig unähnlich. Puh, gerade noch so die Kurve gekratzt…). Ich persönlich empfehle den Film sehr enthusiastisch weiter. Die Sunfilm-DVD überzeugt von ihren technischen Aspekten, die Extras und die Aufmachung können aber für eine Sammler-Edition nicht voll überzeugen.


mm
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