Devot

 
  • Deutscher Titel: Devot
  • Original-Titel: Devot
  •  
  • Regie: Igor Zaritzky
  • Land: Deutschland
  • Jahr: 2003
  • Darsteller:

    Annett Renneberg (Anja), Simon Böer (Henry)


Vorwort

Eigentlich wollte Anja gerade von der Brücke hüpfen und ihrem traurigen Dasein ein Ende machen, doch da funkt ihr das Schicksal (oder der Zufall?) in Person von Henry dazwischen. Der ist gerade in spontaner Stichlaune und hält Anja versehentlich für eine Vertreterin des ältesten Gewerbes der Welt. Anja steigt auf das Angebot ein und lässt sich in Henrys geräumige Industriehallen-Wohnung chauffieren, wo er schon bald herausfindet, dass es mit ihrer Nuttigkeit nicht weit her ist. Als Anja versucht, Henry zu beklauen, greift er zur Selbsthilfe, fesselt sie an einen Stuhl, droht mit Einschaltung der Polizei und lädt zum fröhlichen Seelen-Striptease ein. Der Deal: a la „1000 und 1 Nacht“ soll Anja ihm eine Geschichte erzählen, dann lässt er sie frei. Anja tischt die tragische Geschichte von Lily auf, dem von seiner Mutter verlassenen halbtauben Mädel, das Opfer einer Massenvergewaltigung wird und mit der es wohl das zu erwartende üble Ende nehmen wird… Henry ist willig, seinen Teil der Abmachung zu halten, doch plötzlich plagt Anja ein dringendes Verlangen nach rauem Sex – was sich Henry natürlich nicht zweimal sagen lässt. Doch als Henry nach dem Liebsakt Anja mit aufgeschnittenen Pulsadern in der Badewanne findet, nimmt die Sache einen recht unerwarteten und unerfreulichen Verlauf und nichts ist mehr so, wie es scheint. Was ist Wahrheit, was nur Trug?


Inhalt

Man muss nicht unbedingt in hoffnungsfrohe Erwartung ausbrechen, wenn ein deutscher Psychothriller vom Coverblurb in eine Reihe mit „Panic Room“ und „9 1/2 Wochen“ gestellt wird (was sowieso nicht unbedingt eine Verbindung ist, die hundertprozentig Sinn ergibt) – gut, den „Panic Room“-Vergleich hat’s von der Cinema, und dass in Europas größter Filmredaktion nicht speziell die Leute sitzen, die was von Film verstehen, ist ein so offenes Geheimnis, dass es vermutlich selbst die dortigen Redakteure wissen. Dazu kommt noch ein etwas unglücklich gewählter Titel – bei „Devot“ denkt manch einer ja zunächst mal an S & M und ähnliche Scherze und vielleicht an eine deutsche Variante von „Secretary“; obwohl die Story natürlich ein paar minimale Bondage-Elemente und, ehm, robusteren Sex beinhaltet, hat der Film nicht wirklich mehr mit SM zu tun als die gute alte „Machtfrage“ (und das ist keine nichts SM-exklusive Thematik). Nun gut, wir sind natürlich vorurteilsfrei wie immer…

… und stellen fest, holla, das Ding ist verblüffend gut. Es ist nicht perfekt, aber es ist interessant. Die vom Verleiher angeführten Vergleiche mit den Fincher- und Lyne-Werken sollte man allerdings getrost noch vor Ansicht des Films in die Tonne kloppen, das würde eine falsche Erwartungshaltung zur Folge haben. Wenn man schon Vergleiche ziehen will, dann drängt sich mir eher der Name David Lynch auf, was die sich nur langsam erschließende Struktur des Films und vor allem sein Finale (das, wie der Film selbst ausführt, „nichts interpretiert und nichts erklärt“, das soll der werte Zuschauer dann doch bitte selbst erledigen, aber das ist ja auch nicht immer schlecht) anbetrifft, einiges wird sicher auch Joe Berlingers unterschätztem „Blair Witch 2“ geschuldet (nicht nur das Setting, sondern auch Spielereien mit der Thematik „Was ist Realität und was nicht“).

Nun liegt angesichts der Grundkonstellation der Verdacht nach, dass es sich bei „Devot“ um ein reines Psycho-Kammerspiel handelt und der Film gibt sich zunächst auch redlich Mühe, den Zuschauer auf diese Fährte zu lotsen, um etwa zur Halbzeit mit diesem System zu brechen und sowohl Thrillerelementen, leichten Horroreinflüssen und Lynch’esquer morbider Surrealität Tür und Tor zu öffnen, in der sich Sein und Schein mischen und verschieben, sich die Story einige Male dreht und wendet (wobei aber die Glaubwürdigkeit gelegentlich arg strapaziert wird [Spoiler-Alarm] Henry findet Anja geselbstmördert in der Badewanne liegen und was macht er? Er hebt hinter’m Haus ein Grab aus, um die Leiche zu verscharren… äh, ja, sure[/Spoiler-Alarm]) und den Zuschauer bis zur letzten Sekunde (und einschließlich derselben) im Unklaren lässt, was jetzt genau die Wahrheit ist – ein interpretationsfähiges und -bedürftiges Script, das für den Konsumenten, der alles und jedes vorgekaut serviert bekommen möchte, unverdaulich sein dürfte (für die nicht ganz so erfahrenen Gemüter gibt’s zwar auch einige leichter aufzudeckende Twists und falsche Fährten, aber spätestens im Finale wird so mancher das Handtuch werfen). Nicht immer sind die Handlungsweisen der Hauptakteure logisch (zumindest nicht auf den ersten Blick), aber daraus sollte man in diesem Fall dem Film keinen Strick drehen, weil die Undurchschaubarkeit, die Nichtnachvollziehbarkeit der Charaktere ja irgendwo der Punkt an der Geschichte ist (oder zumindest von mir dafür gehalten wird).
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Selbstredend ist der Film, angesichts nur zwei handelnder Personen, sehr dialoglastig. Prinzipiell schadet es dem Streifen nicht, da er durch seine düstere Atmosphäre, geschaffen durch ein ausgezeichnetes Szenenbild und entsprechend „dunkle“ Ausleuchtung punktet und die Story an sich spannend und geheimnisvoll genug ist, nur sind die Dialoge, da schlägt dann doch das alte deutsche Autorenfilmerproblem durch, stellenweise furchtbar gestelzt und jenseits jeder Normalität – so REDEN Leute einfach nicht, schon gar nicht in Extremsituationen wie der hier geschilderten. Es tut dem Filmvergnügen nicht wirklich schmerzhaften Abbruch, aber es veranlasst schon hin und wieder zum dezenten Augenrollen.

Filmisch kann Writer/Director Igor Zaritzky (mit dem TV-Film „Game Over“ zumindest mir nicht aufgefallen) nicht immer überzeugen. Obwohl ihm die latent bedrohlich-geheimnisvolle Atmosphäre, wie erwähnt, ganz gut von der Hand geht und er ganz gut damit zurechtkommt, kleine stilistische Gimmicks wie kurze, farbgefilterte Flashback- (oder „alternative Realität“-, je nach Gusto) Sequenzen einzubauen, ist die Kameraführung manchmal etwas zu statisch. Zu oft arbeitet der Film, vor allem in den längeren Dialogpassagen, mit dem arg konventionellem Schuss-Gegenschuss-Prinzip, wo man sich etwas mehr visuelle Dynamik durch die ein oder andere Kamerafahrt hätte wünschen können. Exploitationfreunde sitzen bei einer semi-expliziten und ausführlichen Sexszene sowie einigen kurzen blutigeren Einstellungen in der ersten Reihe (die FSK 16 geht voll in Ordnung, mehr wäre übertrieben, weniger aber auch). Pluspunkte verdient sich der Streifen noch durch den dezenten, aber effektiven Einsatz der Musik.

Zwei-Personen-Stücke stehen und fallen mit der Qualität ihrer Darsteller und obwohl ich nicht wirklich viel erwartet hatte, wurde ich doch positiv überrascht. Annett Renneberg, die Fernsehgucker aus der ARD-Reihe der Donna-Leon-Brunetti-Krimis und Kinofreunde aus dem letztjährigen Überraschungserfolg „Erbsen auf halb 6“ kennen könnten, gibt sich nicht nur freizügig (auch wenn ich ihr bescheinige, dass sie mit der roten Perücke besser aussieht als mit den kurzen blonden… aber das mag persönliche Präferenz meiner Wenigkeit sein), sondern auch darstellerisch durchaus überzeugend. Klar, die, wie oben gesagt, verbesserungswürdigen Dialoge rauben etwas von der Glaubhaftigkeit des Charakters, aber sie agiert mit vollem Einsatz. Newcomer Simon Böer, der bislang nur einige Gastauftritte in Krimiserien wie „Wolffs Revier“ zu verzeichnen hat, gefällt mir schauspielerisch aber noch besser – was aber auch daran liegen mag, dass sein Charakter auf den ersten Blick der geradlinigere ist (und die etwas besseren Dialoge hat). Auf jeden Fall ist das auch bei Böer eine darstellerlische Leistung, auf der man aufbauen kann.
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Bildqualität: mcOne lässt im allgemeinen wenig anbrennen und auch hier gibt sich das Label keine Blöße. Der Film wird in anamorphem 1.78:1-Widescreen vorgelegt, das sich wirklich sehen lassen kann. Der Bildtransfer überzeugt sowohl von den Schärfewerten, bietet trotz der überwiegend dunklen Farbgebung gelungenen Kontrast und liegt ins ehr guter Kompression vor. Störungs- und verschmutzungsfrei ist der Print sowieso. Kann man nicht wirklich was dran aussetzen.

Tonqualität: Wahlweise kann man sich vom deutschen Dolby 5.1- oder 2.0-Ton beschallen lassen, wobei der Streifen natürlich alles andere als ein Surround-Effekt-Gewitter vom Stapel lässt, da kommt man auch mit dem ordinären Stereoton vom Fernseher gut zurecht und muss nicht unbedingt die Dolby-Anlage anschmeissen. Die Tonspuren sind absolut rauschfrei, perfekt verständlich und gelungen abgemischt.

Extras: Auf den ersten Blick gar nicht mal so wenig, aber doch recht wenig brauchbares – das dreizehnminütige „Making-of“ besteht aus unkommentierten, mit Musik unterlegten Szenen vom Dreh, dann gibt’s zwei Trailer, ein „Musikvideo“ (zwei Minuten, eigentlich nur Filmszenen, die mit dem Song aus dem Abspann unterlegt sind), eine geringfügig längere Variante der Sexszene, einen knapp vierzigsekündigen Kurzfilm „Lucky Day“ (der ist offenbar einer spontanen Sektlaune am Dreh von „Devot“ zu verdanken und ist eher, äh, doof), drei deleted scenes, wobei zwei nur sekundenkurze throwaway-Szenen sind, und die erste, wenn ich sie richtig einordne, etwas vom Mystery wegnimmt (und daher gut ist, dass sie geflogen ist), sowie ein gut fünfminütiges Castingvideo (in gruseliger Bild- und Tonqualität). Die übliche Trailershow rundet das Extraprogramm ab. Klingt vom Umfang her gar nicht so schlecht, aber wirklich verwertbar sind eigentlich nur die deleted scenes und die längere Sexszene… was leider völlig fehlt, sind Interviews oder sonstige Statements der Macher und Beteiligten, und die hätten mich hier mal wirklich interessiert.
Im übrigen schießt mcOne mit dem Backcover der DVD noch einen richtigen Bock, denn die abgedruckten Stabangaben sind nicht etwa die von „Devot“, sondern die des vor einiger Zeit erschienenen „Motown“… da wär doch ein Covernachdruck angebracht, oder?

Fazit: „Devot“ ist ein interessantes Experiment – Igor Zaritzky versucht, ein Psycho-Kammerspiel-Drama mit einem Realitätsvexierspiel Marke Lynch oder „Blair Witch 2“ zu verknüpfen und garniert das mit einer nicht zu unterschätzenden Prise Sex. Das Resultat ist nicht vollends gelungen, was vor allem an den unnatürlichen Dialogen und der manchmal zu langweiligen Kameraarbeit liegt, doch die guten schauspielerischen Leistungen und die Unvorhersehbarkeit der Story trösten über die Mängel hinweg. Nichts für Freunde des geradlinigen, temporeichen und schnörkellosen Thrills, aber wer sich von den mehrfach (von mir jetzt, nicht denen vom Cover) zitierten Vergleichen arrangieren kann und keine grundsätzliche Abneigung gegen alles Deutschgefilmte hat, sollte mal reinschauen – für Spannungskino MIT Anspruch aus Deutschland ist „Devot“ aller Ehren wert. Der Streifen hat durchaus seine Reize und damit mein ich jetzt nicht unbedingt die nackten Tatsachen – spannend, verwirrend, verstörend – es darf interpretiert werden… (aber wer den Klappentext geschrieben hat, würde mich auch mal interessieren. Was bitte sind „knochentiefe Schocks“?) Die DVD von mcOne ist bild- und tontechnisch gelungen und weist durchaus eine Menge Extras auf, aber etwas mehr Informationswert hätte dem Bonusmaterial nicht geschadet.


mm
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