Dahmer

 
  • Deutscher Titel: Dahmer
  • Original-Titel: Dahmer
  •  
  • Regie: David Jacobson
  • Land: USA
  • Jahr: 2002
  • Darsteller:

    Jeremy Renner (Jeffrey Dahmer), Bruce Davison (Lionel Dahmer), Artel Kayàru (Rodney), Matt Newton (Lance Bell), Dion Basco (Khamtay), Kate Williamson (Grandma), Christina Payano (Letitia), Tom’ya Bowden (Shawna)


Vorwort

Jeffrey Dahmer ist ein Durchschnittstyp, arbeitet in einer Schokoladenfabrik und fällt niemandem wirklich auf. Keiner ahnt, dass Dahmer ein Serienkiller ist. Mit kleinen Nettigkeiten lockt er seine jungen, männlichen Opfer in seine Wohnung, schaltet sie mit K.O.-Tropfen aus und tötet sie, um sie als Sexspielzeuge zu benutzen und/oder zu zerstückeln und zu verspeisen. Der Film schildert in paralleler Erzählweise einerseits, wie Dahmer, schon als Teenager aufgrund elterlicher Vernachlässigung Alkoholiker, seine homoerotischen Neigungen und Mordtendenzen entdeckt und erstmals umsetzt, andererseits (in recht freier Nacherzählung) einen Abend mit seinem potentiellen Opfer Rodney, einem jungen schwarzen Schwulen, der letztendlich zu Dahmers Festnahme führt.


Inhalt

„Dahmer“ stammt aus der gleichen Produktionsschmiede wie der vor einigen Wochen besprochene „Gacy“ und beschäftigt sich also ebenfalls mit einem berühmt-berüchtigten Serienkiller der Neuzeit. Jeffrey Dahmer, dem die Morde an insgesamt siebzehn jungen Männern zur Last gelegt wurden, zu weit über 900 Jahren Knast verurteilt und im Gefängnis von einem Mithäftling getötet wurde, geniesst in Fachkreisen besonders aufgrund seiner kannibalischen Neigungen besondere Aufmerksamkeit.

Im Gegensatz zu „Gacy“, der sich hauptsächlich auf die Umstände konzentriert, die zur Enttarnung des dortigen Killers führten, geht „Dahmer“ einen völlig anderen Weg und präsentiert die Story als reines Psychogramm des gestörten Killers, verschwendet an die Aufklärung der Verbrechen keinen Zentimeter Filmmaterial (hm, war das ein Spoiler? Wenn ja, habt Ihr Pech gehabt. Andererseits ist’s eh ein real-life-Fall, weiß eh jeder, wie’s ausgeht). Das macht den Film schon mal von Haus aus wesentlich interessanter als „Gacy“, der an seinem Anspruch, quasi sowohl eine herkömmliche Thrillerhandlung zu erzählen als auch die Psychose des Killers zu erkunden, scheiterte. „Dahmer“ setzt als Rahmenhandlung die Begegnung des Killers mit seinem potentiellen Opfer Rodney, in deren Verlauf immer wieder in Dahmers Jugend zurückgeblendet wird, um zu erklären, wie seine Geistesstörung entstand und sich entwickelte (von der Entdeckung seiner Homosexualität bis hin zu seinem ersten Mord und der Vertuschung der Tat), dieweil in der „relativen Gegenwart“ in quasi kammerspielartiger Atmosphäre Dahmer nach einem anfänglichen bunten Abend mit Rodney Einblicke in sein Seelenleben und seine Lebens- bzw. Todesphilosophie offenbart. Schon daraus allein wird deutlich, das spekulative Gewaltexzesse die Sache des Films nicht sind, auch wenn die ems-DVD von einer KJ-Freigabe geziert wird (die trotzdem m.E. berechtigt ist) – Regisseur und Autor David Jacobsen sind nicht an Splatter- und Gore-Einlagen interessiert (erst in den letzten zwanzig Minuten gibt’s ein paar blutige und ansatzweise splattrige Szenen zu sehen), als vielmehr an der Frage, was Dahmer „ticken“ liess. Letztendlich hat auch „Dahmer“ keine endgültigen Antworten (wen wundert’s) und blendet einige Facetten des realen Dahmers (so z.B. dass er als Kind sexuell mißbraucht wurde) aus, lässt aber, gerade durch die parallele Erzählstruktur, einige eindrucksvolle Momente zu (z.B., wenn Dahmer, sich gerade über seine sexuelle Orientierung klar geworden, völlig unsicher erstmals eine Schwulenbar besucht). Die parallele Struktur des Films erweist sich auch tempo-mäßig als Glücksgriff, denn die Story selbst weist doch einige Längen auf (vor allem in der ersten Hälfte des Films), die durch die Überleitungen in den jeweils anderen Erzählstrang allerdings relativ geschickt kompensiert werden. Dennoch ist „Dahmer“, sicher auch nach dem Willen seiner Macher, kein reinrassiger Spannungsfilm, nicht wirklich ein Thriller, sondern eher als Psychodrama einzustufen. Auch wenn einige Stellen etwas langsam sind, ist der Film bei weitem nicht so zähflüssig wie der (wesentlich kürzer) „Gacy“.

Stilistisch weiß Jacobsen durchaus zu überzeugen – während der Part in der „Gegenwart“ sehr düster in dunklen Rottönen gehalten ist, werden die Rückblenden in hellen Farben gezeigt. Eine Montage-Sequenz in der Schwulenbar, die überragend geschnitten und fotografiert ist, ist fast schon atemberaubend, wird aber in ihrer Intensität vom Restfilm nicht mehr getoppt. Insgesamt macht der Streifen aus seinen sicherlich begrenzten finanziellen Mitteln nahezu das Optimum – obwohl der Streifen natürlich Schauspielerkino ersten Ranges ist, kann die visuelle Umsetzung durchaus gefallen, zumal auch die musikalische Untermalung gelungen ist – neben diversen Alternative-Stücken und einem zurückhaltenden, nuancierten Score featured der Soundtrack auch einige (kommerzielle) Techno-Stücke.

Wie bereits anklang, ist der Streifen nicht hart im Sinne von expliziten blutigen Gewaltakten, weist aber, gerade durch die noch zu würdigende darstellerische Leistung von Jeremy Renner in der Titelrolle, eine recht verstörende, kranke Atmosphäre auf, die auch im Zusammenspiel mit der Tatsache, dass der Film Dahmer quasi „entkommen“ lässt, die fehlende Jugendfreigabe gerechtfertigt erscheinen lässt. Interessanterweise blendet „Dahmer“ die wohl berüchtigste Facette an den Bluttaten seines „Helden“, nämlich den Kannibalismus, völlig aus. Ich weiß nicht, ob Jacobsen dieser Aspekt vernachlässigenswert erschien oder man eher Schwierigkeiten bei der kommerziellen Auswertung befürchtete (ich denke fast mal, letzteres).

„Dahmer“ ist die große Ein-Mann-Show von Jeremy Renner („S.W.A.T.“), dessen einprägsame, glaubhafte und trotz aller Abgründe, die sich in der Psyche seiner Rollengestalt auftun, sympathisch-nachvollziehbare Darstellung den Film trägt. Renner hat den „nice boy next door“, der vermeintlich kein Wässerchen trüben kann, genauso souverän drauf wie den plötzlich gewalttätig explodierenden Psychopathen (wobei Dahmer kein Slasher-Killer ist, dem bei einem blutigen Mord vor Begeisterung der Draht aus der Mütze springt, sondern seine Taten berechnend-kaltblütig begeht). Eine sehr intensive, packende Vorstellung, die größtes Lob verdient.

Für weitere schauspielerische Glanzleistungen bleibt, schon allein aufgrund der Tatsache, dass kaum eine Sekunde vergeht, in der Renner nicht zu sehen ist, kaum Platz – Bruce Davison (Senator Kelly aus den „X-Men“-Filmen) liefert eine gute Leistung als Jeffrey Dahmers Vater ab, auch wenn scriptbedingt die Rolle, die jener in Dahmers mörderischer Entwicklung spielte, nicht ganz klar wird. Artel Kayàru („Save the Last Dance“) als Rodney ist in den kammerspielartigen Szenen ein würdiger Gegenpart zu Renner.

Bildqualität: ems legt den Film in anamorphem Widescreen (1.78:1) vor. Der Transfer ist verschmutzungsfrei und von der Farbdarstellung her überzeugend, vielleicht etwas auf der grobkörnigeren Seite und in den Punkten Detail- und Kantenschärfe leicht verbesserungsfähig. In einigen dunklen Szenen wäre etwas mehr Kontrast wünschenswert. Die Kompression verrichtet ihren Dienst klaglos und unauffällig, allerdings bemerke ich einmal mehr, dass die Scheibe auf meinem Billig-Player Marke United einige Hänger zu verzeichnen hatte (immerhin wenigstens keinen Totalfreeze).

Tonqualität: Drei Tonspuren stehen zur Auswahl, die deutsche Synchronfassung in 5.1-Mix und 2.0-Surround, englischer O-Ton in 2.0. Die deutsche Fassung zeichnet sich durch eine gute Synchronisation mit guten und passend besetzten Sprechern aus, allerdings sind die Dialoge in der DF erheblich zu laut gemischt und übertönen dese öfteren Score und Nebengeräusche. Auch die Bässe der deutschen Spuren scheinen mir etwas sehr extrem aufgedreht, brachten jedenfalls, im Gegensatz zur O-Ton-Spur, meine Fensterscheiben bei mittelmäßiger Lautstärke an der Dolby-Anlage zum Klirren. Die englische Fassung ist wesentlich nuancierter abgemischt, ohne dass die Verständlichkeit der Dialoge leidet. Leider liefert ems keine deutschen Untertitel mit.

Extras: Neben dem deutschen Trailer und einer eher knappen Biographie des Real-Life-Dahmers (7 Texttafeln) und der üblichen Trailershow gibt’s nur eine völlig unbrauchbare Fotogalerie, die in einem mikroskopisch kleinen Bildausschnitt ein paar ausgewählte Filmstandbilder zelebriert.

Fazit: „Dahmer“ ist im Vergleich zu „Gacy“, der sich schon deswegen als Vergleichsobjekt anbietet, weil er eben von der selben Produktionsfirma ins Leben gerufen wurde, der wesentlich bessere Film. Obwohl verständlicherweise nicht wirklich endgültige Antworten geboten werden können, erlaubt „Dahmer“ einen wesentlich tiefgründigeren Blick in die seelischen Abgründe eines Serienkillers, auch wenn nicht alles, was der echte Dahmer erlebte und tat, seine Widerspiegelung im Film findet (Stichwort Kannibalismus). Aber allein schon aufgrund der brillanten Darstellung von Jeremy Renner kann man dem Film jedem ernsthaft an einer Auseinandersetzung mit dem Thema „echte Serienmörder“ Interessierten guten Gewissens empfehlen. Es ist kein Splatter, kein Horror, ja noch nicht mal richtig ein Thriller, aber eine sehr intensive Charakterstudie eines psychisch derangierten Menschen – kein easy viewing für nebenbei oder für ’ne Horrorparty, jedoch erfolgreich in dem, was der Film sein will – ein verstörendes Psychogramm eines Killers. Die DVD von ems ist akzeptabel, aber weder in Bild noch Ton perfekt.

(c) 2006 Dr. Acula


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