Brother

 
  • Deutscher Titel: Brother
  • Original-Titel: Brother
  •  
  • Regie: Takeshi Kitano
  • Land: Japan/USA/Großbritannien
  • Jahr: 2000
  • Darsteller:

    Aniki Yamamoto (Takeshi Kitano (als Beat Takeshi))
    Denny (Omar Epps)
    Ken Yamamoto (Kuroudu Maki)
    Shirase (Masaya Kato)
    Kato (Susumu Terajima)
    Jay (Royale Watkins)
    Mo (Lombardo Boyar)
    Harada (Ren Osugi)
    Ishihara (Ryo Ishibashi)
    Sugimoto (James Shigeta)
    Latifa (Tatyana Ali)
    Hanaoka (Kouen Okumura)
    Hisamatsu (Naomasa Musaka)
    Marina (Joy Nakagawa)
    Moose (Bradley Jay Lesley)
    Victor (Amaury Nolasco)
    Taxifahrer (Peter Spellos)


Vorwort

In meinen Reviews zu Versus und Battle Royale hatte ich mich schon ein wenig grundsätzlich über die new wave des japanischen Genre-Kinos ausgelassen – wenn momentan in einer grösseren Filmindustrie (note that – ich sagte „grösser“ und therefore stehen Korea & Co. aussen vor) das Prinzip „almost anything goes“ gilt, dann in der japanischen. Es wäre sicherlich vermessen, wenn man einen Mann als Urheber oder Katalysator dieser Entwicklung speziell hervorheben würde, aber von der Hand zu weisen ist es nicht – Takeshi Kitano hat mit seinen Ego-Projekten wie Violent Cop, Sonatine oder Hana-Bi, dunklen, tiefschürfenden Reflektionen über Gewalt und ihre Protagonisten, viele Türen für ambitionierte Jungfilmer geöffnet – stilistisch, inhaltlich und natürlich auch, was exzessive Gewaltdarstellungen angeht.

Der gemeine deutsche Fernsehzuschauer kennt Takeshi Kitano, der sich als Schauspieler stets „Beat Takeshi“ nennt, vermutlich nur aus der herrlich-doofen Gameshow Takeshi´s Castle, einem hervorragenden Beispiel schrägen japanischen Humors – seine ungleich ernsthafteren Filme gelten dagegen gemeinhin als Geheimtipps in Cineastenkreisen und werden das wohl auch bleiben, denn das breite Publikum dürfte mit dem, was Kitano normalerweise auftischt, nicht viel anfangen können. Dies dürfte auch für unser heutiges corpus delicti, Brother, gelten. Voranschicken muss ich allerdings, dass mir zum Review nur die um fast 25 Minuten (!) erleichterte FSK-16-Fassung vorlag, aus der ich nicht immer gänzlich schlau wurde. Damit aber weder Ihr noch ich dumm sterben müssen, hab ich mich über die gröbsten fehlenden Stellen informiert.


Inhalt

Aniki Yamamoto kommt per Flieger in Los Angeles an und macht dort erst mal einen ziemlich verlorenen und leicht deprimierten, vor allen Dingen aber schweigsamen Eindruck. Er lässt sich von Fred-Olen-Ray-Stammschauspieler Peter Spellos (Attack of the 60-Foot-Centerfold, Dinosaur Island – mir kam der Typ doch gleich bekannt vor) ins ein Luxushotel chauffieren und quartiert sich dort ein. Aniki sucht jemanden – die Adresse hat er auf einem Zettel, und der führt in ein japanisches Restaurant. Dort erfährt er allerdings, dass der Gesuchte wegen krummer Geschäfte gefeuert wurde, aber ein hilfreicher Angestellter weiss wenigstens, dass der geheimnisvolle Unbekannte nicht weit weg wohnt. Aniki watschelt los (tut mir leid, aber Takeshi hat nun mal einen gewissen Watschelgang drauf) und rennt dabei einen Schwarzen beinahe über´n Haufen, auf jeden Fall zerbröselt der seine gerade gekaufte Weinflasche. Immer in der Laune, einen Ausländer übers Ohr zu hauen, behauptet der Schwarze frecherweise, die Pulle hätte schlappe 200 Dollar gekostet (also ob Du Dir sowas leisten könntest, Punk!) und verlangt Herausgabe des entsprechenden Gegenwerts in grünen Scheinen. Aniki klaubt wortlos die zerbrochene Flasche auf und rammt sie dem verblüfften Schwarzen ins Auge. Autsch. Tja, mit unserem kleinen japanischen Freund is´ nich´ gut Sushi essen. Den fröhlich vor sich hin Blutenden lässt Aniki weiterhin wortlos stehen und latscht zu dem Lagerhaus, in dem der Gesuchte zu residieren beliebt. Klopf-Klopf, but nobody´s home. Wenn man schon eh warten muss, denkt sich Aniki wohl, kann man auch genauso gut mit einem ausführlichen Flashback erklären, wer er denn ist (offiziell wissen wir noch nicht mal seinen Namen, da er bis jetzt keine einzige Dialogzeile gesprochen hat) und was er hier treibt…

So ganz einfach ist das ganze mal wieder nicht zu durchschauen (immer diese Asiaten und ihre komplexen Rituale), aber das ist wohl Sache: seit einiger Zeit hauen sich die Yakuza-Clans der Hanaoka- bzw. Hisamatsu-Familien gegenseitig mächtig auf die Glocke, und zwar so sehr, dass sich der Oberboss aller Yakuza-Clans, ein grauhaariger alter Zausel, der sich aber ersichtlich mehr für junge hübsche Japanerinnen als ernsthafte Gangster-Angelegenheiten zu interessieren scheint, eine Konferenz aller wesentlichen Beteiligten einberuft, an der u.a. auch der Polizeichef teilnimmt (!). Allgemeiner Konsens ist wohll, dass die Hanaoka-Jungs, denen auch Aniki angehört, zurückstecken müssen und ihr Clan aufgelöst werden soll bzw. diejenigen Hanaoka-Yakuza, die die bisherigen feindseligen Auseinandersetzungen überlebt haben, in den Hisamatsu-Clan übernommen werden – im Rahmen einer shintoistischen Tee-Zeremonie wird das auch durchgeführt, nur Aniki, den auch seine eigenen Clan-Freunde für nicht ganz sauber halten, will Hisamatsu nicht in seiner Sippe haben – und in Gangsterkreisen wird so was normalerweise kurz, schmerzlos und endgültig gelöst. Ausgerechnet Anikis rechte Hand und Kumpel Kato soll Aniki a) die schlechte Nachricht überbringen und b) bei der Gelegenheit gleich mal killen. Jedoch bringt treue Seele Kato es nicht übers Herz, den alten Buddy zu plätten und unterbreitet ihm vielmehr den Vorschlag, auszuwandern. Aniki erinnert sich an seinen in Amiland hausenden Bruder (eigentlich Halbbruder, oder noch genauer: Waisenjungs aus dem selben Heim) Ken und räsonniert, dass er dort untertauchen könnte. Gute Idee, meint Kato, mach ma, aber zackig…

Und so steht Aniki nun in L.A. vor dem Lagerhaus, in dem Ken haust und wartet auf das Erscheinen seines Brüderchens – der taucht in Begleitung zweier typischer L.A.-Slum-Kleingangster-Gangmember-Typen auf und sieht selbst auch aus wie ein solcher. Das Auftauchen Anikis irritiert Ken schon ein wenig, denn der hat ihn bislang finanziell unterstützt, um ein Studium zu betreiben, was Ken aber zu langweilig war, weswegen er unter die Dealer gegangen ist. Das darf Aniki um Himmels Willen nicht wissen, was aber eher unproblematisch zu bewerkstelligen ist, da der Herr Yakuza der englischen Sprache nicht mächtig ist. So hockt denn Aniki sowohl unterhaltungstechnisch als auch emotional eher unbeteiligt dumm in Kens Wohnstube rum, während der und seine zweifelhaften Freunde ihre neusten Operationen planen. Einer fehlt aber noch, nämlich Denny, der taucht nach weiterer Wartezeit auf und trägt ne frische Augenklappe. Könnte es sein, dass? Selbstverfreilich – Denny ist der Schwarze, dem Aniki vor ein paar Minuten seine kaputte Weinflasche „nähergebracht“ hat und er spekuliert nicht falsch, dass der schweigsame Anzugträger, der versonnen vor sich hin starrt, derjenige welcher gewesen sein müsste. Ken gelingt es, Denny durch gezielte Verunsicherung („Du kannst doch einen Japaner nicht vom anderen unterscheiden“) vor Kurzschlusshandlungen zu bewahren (wobei Ken ja nicht weiss, dass Aniki tatsächlich usw.). Auf jeden Fall fühlt sich Denny durch diese gesundheitliche Beeinträchtigung nicht in der Lage, an den kriminellen Aktivitäten der Ken-Gang teilzunehmen. Auch recht, meint Ken, dann unterhalt dich mit meinem Bruder, aber übrigens, er spricht nur japanisch. Dürfte ein hoch unterhaltsamer Abend für Denny werden…

Naja, immerhin spricht Aniki gut genug Englisch, um Denny zu einem kleinen Würfelzock zu überreden und ihm mit dem ältesten Trick der Welt (wie Denny geplagt feststellen muss), dem gute alten „Guckloch im Würfelbecher“, sechzig Mäuse aus der Tasche zu leiern und dann zu verschwinden. Währenddessen haben Ken & Co. Ärger – ihr Drogenlieferant Victor hat nämlich eine schlappe hundertprozentige Preiserhöhung vorgenommen und unsere sympathischen Jungdealer sehen sich ausserstande, diese Forderung zu begleichen. Victor droht Ungemütlichkeiten an, doch aus den Schatten schält sich Aniki und schlägt Victor brutal zusammen (naja, in der 16er-Fassung verpasst er ihm genau einen Schlag in die Magengrube).

Wieder in Kens Bude haut Aniki seinem Bruderherz erstmal brüderlich eine aufs Maul (Strafe muss schliesslich sein) und bewaffnet sich. Gute Idee, denn vor der Tür wartet bereits Victors Brutaltrupp, um mit Aniki eine kleine Spritztour zu unternehmen. Dem routinierten Yakuza gelingt es mühelos, während der Fahrt den Fahrer des Wagens mit der Kanone seines Bewachers zu killen, das Auto in einen heftigen Crash gegen einen Laternenpfahl zu dirigieren und der Wreckage unbeschädigt zu entsteigen.

Aniki verordnet seinem Bruder und dessen Kumpel Stubenarrest, denn „wenn wir rausgehen, sind wir tot.“ Deswegen kommt auch erst mal einer rein, und das ist zu allgemeiner Überraschung (zumindest der des Publikums) Kato (ein Mini-Flashback verdeutlicht uns, dass Kato seinen Kumpel nicht allein in die USA ziehen lassen wollte und ihm gefolgt ist). Da Kato anstatt herzlicher Begrüssung in den Lauf einer Pistole blickt, kann er sich die Frage, was zum Geier denn hier los sei, nicht verkneifen. „Bandenkrieg, genau wie zuhause,“ grinst Aniki. Die beiden erfahrenen Schufte debattieren, was man tun könnte – das Resultat, ein Verhandlungstermin mit Victors vorgesetzten Mafiosi in einem ordentlichen Hotel-Konferenzraum, ganz business-like. Der clevere Yakuza baut vor und so werden einige Schiessprügel im Konferenzraum nächstgelegenen Klo versteckt. Die Verhandlungen laufen an und einer der Mafiabosse droht unverhohlen die totale Auslöschung von Aniki und seinen Freunden an. Über seinen Dolmetscher Ken lässt Aniki ein fröhliches „Versucht´s doch“ ausrichten. Der Boss der Bosse auf seiten der Mafia gibt sich gönnerhaft-geschäftsmässig und bietet Aniki an, doch das streitgegenständliche Revier komplett zu übernehmen, was Aniki nonchalant annimmt und dann Ken vor die Tür schickt, um die Knarren zu holen. Blöd nur, dass die Dillerbude gerade belegt ist und an die Schiesseisen nicht ranzukommen ist, wie Ken seinem Bruder leidgeprüft mitteilen kann. „Fühl mal unter den Tisch,“ lächelt Aniki auf japanisch und der verblüffte Ken ertastet dort angeklebte Pistolen… „Ich bin auf Nummer Sicher gegangen,“ grinst der Yakuza. Den Rest der Szene überlässt die FSK-16-Fassung unserem Vorstellungsvermögen.

Da wir aber mit einer „Ein Jahr später“-Einblendung weitermachen und Aniki sich in einer 12-Meter-Stretchlimousine (die Sorte mit eingebauter Bowlingbahn, ganz bestimmt) herumchauffieren lässt, können wir davon ausgehen, dass Aniki mehr als nur ein Revier übernommen hat, ganz im Gegentum, er ist jetzt ein überaus erfolgreicher Crimelord in L.A., hat einige seiner japanischen Freunde nachkommen lassen und Ken sowie dessen Spezis Denny, Mo und Jay zu seinen Adjutanten neben Kato erklärt. Nebenher, und das ist dem in solchen Dingen eher konservativen Kato nicht gar so recht, hat er sich mit der flippigen Marina (ein lispelndes Stück Dummbrot) eine Konkubine angelacht, von der Kato nicht weiss, ob er sie „hübsch oder hässlich“ finden soll (ich wüsste es, und „hübsch“ wäre nicht meine Antwort). Denny, dem der plötzliche Reichtum ganz gut zupass kommt, schmeisst für seine liebe Mutti eine amtliche Geburtstagsfete und der freigiebige Aniki überschüttet die ganze Sippe mit hochpreisigen Geschenken.

For no particular reason spielen dann diverse Schergen des aufstrebenden Gangsterimperiums Basketball, wobei mit einem mitspielenden Japaner (Kato? Keine Ahnung) keiner spielen mag, niemand spielt ihn an, und das ist auch gut so (1,65-Japaner gegen 2-m-Amis macht sich nicht gut, okay, es gab Maxi Bowes, oder wie der hiess, der seinen Gegenspielern zwischen den Beinen durchlaufen konnte, aber der war auch kein Japaner), obwohl er sich für „Michael Jordan“ hält. Angesichts ausgeprägter Freiwurfschwäche ist Denny der Ansicht, der Typ sollte sich eher „Shaquille O´Neal“ nennen.

Dann spielen Denny und Aniki, mittlerweile official best friends, ein seltsames Spiel – sie wetten, ob um eine bestimmte Hausecke mehr Frauen oder Männer schlendern. Da Aniki aber nicht mal so ein Hirnrissspiel verlieren mag, lässt er, der auf Frauen gesetzt hat, seine Marina zigmal auf- und abmarschieren. Very weird.

Als Denny eines Abends Aniki besucht, wird der gerade von einem mir völlig unbekannten Gangster (und zumindest die 16er-Fassung geht auch nicht weiter drauf ein) mit der Waffe bedroht. Aniki bittet Denny um Anbringung eines finalen Rettungsschusses, aber weil Denny nicht gerade der allerbeste Schütze dieser Welt ist, ballert er erst mal Aniki eins in den Wanst, ehe er dan fiesen Übeltäter entleibt. Kato will Denny ob dieses Desasters an die Gurgel, aber da Aniki überlebt hat und Denny schon von sich aus mächtig zerknirscht ist, wird diese Episode abgehakt (übrigens muss ich mein Gedächtnis hier korrigieren – erst jetzt wird der Flashback eingefiedelt, aus dem sich ergibt, dass Kato aus Loyalitätsgründen Aniki ins Exil gefolgt ist, rätselhafterweise kombiniert mit einigen Totalen-Einstellungen von Beach-Ball-Spielen der Herren).

Aniki erholt sich, was Kato zum Anlass nimmt, die Expansion der Gang voranzutreiben. Seiner Ansicht nach wäre eine Fusion mit der „Little Tokyö kontrollierenden Bande eines gewissen Shirase wünschenswert, auch wenn Buchhalter Sugimoto warnt, dass Shirase „zu gefährlich sei“. „Wir etwa nicht?“ grinst Ken. Ergo wird ein Verhandlungstermin mit Shirase vereinbart. Aniki fährt zwar mit zum Treff, bleibt aber im Wagen (und scherzt mit Denny über dessen „Attentat“). Shirase lehnt jegliche Kooperation mit Anikis Clan rundheraus ab und kontert sogar Katos emotionalen Ausbruch „Wir könnten euch vernichten“ mit dem lässigen „Probiert´s doch,“ mit dem schon Aniki die Mafiosi entnervte. Unverrichteter Dinge packen Anikis Leute ihren Kram zusammen und blasen zur Heimfahrt, aber Kato entschuldigt sich, er müsse noch was unbedeutendes erledigen. Das Unbedeutende ist eine zweite, private Verhandlungsrunde mit Shirase, in der Kato (angeblich mit Anikis Segen, was ich nicht nachvollziehen kann) Shirase eine 50%ige-Partnerschaft anbietet und dafür mit seinem Leben bürgt…

Die nächste Szene führt uns zur Trauerfeier für den verschiedenen Kato. Während wir armen mit einer FSK-16-Fassung gestraften Seelen noch grübeln, was denn nun schon wieder passiert ist, taucht plötzlich und offenbar ungefragt und uneingeladen Shirase auf. Da Denny gleich mal seine Knarre zückt und nur mit Müh´ von seinen mit japanischen Ehrenbezeugungen vertrauteren Compadres an einer umgehenden Exekution gehindert werden kann, könnten wir vermuten, dass Shirase Kato gemeuchelt hat. Dem ist aber nicht so, wie man, nach nur einstündiger Internet-Recherche, herausfinden kann – das war ein offenbar ziemlich perfider Plan von Kato. Da Shirase wohl auch das zweite unterbreitete Angebot abgelehnt hat, beging Kato als Yakuza-Ehrenmann von Welt wie in solch Situation von ihm gefordert Selbstmord und das nötigt Shirase sichtlich nicht nur genügend Respekt ab, dem Harakiri-Begeher die letzte Ehre zu erweisen, sondern sich auch Anikis Fuchtel zu unterwerfen.

Aniki akzeptiert Shirases Beitritt zwar, ist aber von Stund an nicht mehr der selbe – er schreit seine Konkubine an und ist allgemein noch unleidlicher als sonst. Zudem plagen die aufrechten Yakuza noch Anfeindungen seitens der sonstigen ethnischen Mafia-Ableger und einer davon erdreistet sich, Marina zu entführen. Zumindest in der FSK-16-Fassung (scusi, dass ich da drauf rumreite, aber die Kürzungen machen Brother eher zu einem Rate-Krimi als zu einem Film) sieht es so aus, als würde Aniki diese Bösartigkeit schlichtweg ignorieren und Marina einfach abschreiben.

Anschliessend wird Shirase von einer Autobombe geplättet (die etwas unübersichtliche Schnippelei liess mich zuerst vermuten, Aniki wäre das Opfer, weil er auf dem Weg zum von den Mafiosi veranschlagten Geiselübergabetermin sei). Obwohl Shirase sprichwörtlich erst seit drei Minuten zum Clan gehört, schwören Anikis Gefolgsleute umgehend Vendetta und greifen, all guns blazing, das Hauptquartier der Mafiosi an. Die FSK-16-Einstufung hindert den bestwilligen Distributur, uns Einzelheiten dieser Attacke zu zeigen (stattdessen wird uns eine Art Endlosschleife mit Baller-Baller-Bang-Bang-Soundtrack vorgeführt).

Der Angriff wird scheinbar erfolgreich, aber mit schweren Verlusten beendet und Aniki beschliesst, dass die geschäftlichen Aktivitäten für eine Weile unterbrochen werden und die Führungsriege untertauchen soll. Denny will zuvor noch seine Mama besuchen, aber die wurde von den nachtragenden Mafiosi (also ganz so erfolgreich kann das Gemetzel nicht gewesen sein) gekillt, was Denny ziemlich fertig macht. Und auch Ken, der die totale Panik kriegt, seinen Ausstieg verkündet und nur noch mal schnell im Hauptquartier vorbeischaut, um etwas Cash für ein neues Leben abzustauben. Dort ist allerdings alles, was da mal kreuchte und fleuchte, hingemordert und in Form des japanischen Schriftzeichens für „Tod“ arrangiert worden. Ken endet wenig später tot im Strassengraben.

Indes hat sich Denny moralisch-seelisch weit genug gefangen, um Rachepläne in Angriff zu nehmen und Aniki will ihn dabei unterstützen, auch wenn Denny ihm versichert, dies sei nicht nötig, aber der japanische Yakuza ist, wie wir alle wissen, bekanntlich ein Mann von höchster Ehre und Loyalität zu seinen Brüdern (im übertragenen Clan-Sinne). Deswegen fahren die beiden zum Haus des Obermafioso, locken den einzigen Wache stehende Bodyguard mit einem fingierten Verkehrsunfall von seinem Wachtposten weg und killen ihn und entführen anschliessend den Mafiaboss, um mit ihm in die Wüste zu fahren. Dort hocken sie ihn gefesselt auf den Boden und lassen ihn in den Lauf einer an einen Stock gebundenen Pistole blicken. Jep, it´s death game-Zeit. Fünf Drähte haben Aniki und Denny ausgelegt, einer führt zum Abzug. Der Mafiaboss darf dreimal raten, welche Drähte „sicher sind“. Ist er dann immer noch am Leben, darf er gehen, versichert Denny glaubhaft. El Mafioso liefert drei korrekte Antworten (und Denny und Aniki amüsieren sich dabei königlich – naja, jeder hat andere Auffassungen von gutem Entertainment, and it sure beats DSDS), aber mit der Freilassung war´s dann doch nicht so ernst gemeint. Vielmehr findet sich der Boss immer noch gefesselt zwischen den Sitzbänken Dennys Autos wieder. Aniki lässt Denny anhalten und zwingt ihn mit vorgehaltener Knarre zum Aussteigen. Während Denny sich noch wundert, was jetzt wieder los ist, hört der Mafiaboss vier Schüsse… und ist von nun an im Glauben, Aniki hätte Denny umgepustet, was ihm bei nächster Gelegenheit ein anerkennend-entsetztes „Dreckschwein“ wert ist. In Wahrheit natürlich hat Aniki Denny nur geraten, sich zu verpissen und ihm seine alte Sporttasche, mit der er einst in L.A. ankam, mit „Klamotten zum Wechseln“ in die Hand gedrückt.

Aniki lässt den Mafiaboss im Irrglauben, seinen besten Freund gekillt zu haben, laufen und hockt sich in einen von einem Japaner geführten Truckstop irgendwo in der Pampa. Da fahren draussen mehrere dunkle Limousinen auf. Aniki weiss, was ihm blüht, legt dem alten japanischen Shop-Keeper einen Batzen Kohle „für die Reparaturen“ auf den Tisch und tritt vor die Tür, um sich (FSK 16!) offscreen von einem schlappen Dutzend MPs in alle Einzelteile zerlegen zu lassen…

Und Denny, der sich ein neues Auto beschafft hat (?) und Aniki noch verflucht, weil er glaubt, nach wie vor auf der Todesliste der Mafia zu stehen, entscheidet sich endlich, mal einen Blick in die Sporttasche zu werfen und die ist, wie wir es als staatlich anerkannte Allesseher sicher schon lange vermutet haben, prallgefüllt mit Kohle, dem löchrigen Würfelbecher und einer handgeschriebenen Note „Hier die 60 Dollar, um die ich dich beschissen habe, nebst Zinsen. Gruss, Aniki“ (sinngemäss), was Denny erst in Tränen und dann in hysterisches Gelächter ausbrechen lässt…

Hm, wie bespricht man einen Film fair und angemessen, wenn man eigentlich gerade mal gut zwei Drittel davon gesehen hat? Am besten gar nicht, ich weiss, aber solche Sitten wollen wir hier ja gar nicht erst einreissen lassen. Lasst mich daher die Nachbetrachtungen einmal mehr mit einem aus tiefster Seele kommendem Stossseufzer beginnen:

WER ZUM TEUFEL HÄLT SO KASTRIERTE FSK-16-FASSUNGEN VON HARTEN FILMEN FÜR EINE GUTE UND GEWINNBRINGENDE IDEE?

Excuse my yelling, aber das musste raus. Wenn ich einen Film von 109 Minuten Lauflänge um 25 Minuten beschneiden muss, damit er eine 16er-Freigabe erhält und damit den Zuschauer, dem das Unglück widerfährt, sich diese gekürzte Fassung ansehen zu müssen, praktisch über die halbe Restlaufzeit mit seinem fragenden Gesichtsausdruck und einem „Hä? Ich versteht hier nur Bahnhof!“ im Regen stehen lasse, dann, verdammt noch mal, dann lass ich´s doch lieber bleiben und verzichte auf die paar Euro, die mir das zusätzlich einbringt, habe dafür lieber ein reines Gewissen und kann die ungekürzte Fassung an die Leute verkloppen, die der FILM interessiert und nicht nur Fragmente thereof. Ich kann diese Schnitte aus wirtschaftlichen Gründen ja noch halbwegs nachvollziehen, wenn ich ein-zwei Minuten an Gewaltausbrüchen und übermässig brutalen Effekten wegschnippeln muss, um ein FSK-18 bzw. „Keine Jugendfreigabe“ neuerdings-Rating zu bekommen, aber ein VIERTEL des ganzen beschissenen Films, das ist eindeutig too much. Diese Zeiten glaubte ich eigentlich seit den unsäglichen Schnittstümpereien von New Vision im VHS-Bereich (erinnert sich noch jemand an die John Woo- und Dario-Argento-Filme, die New Vision mit Kürzungen von bis zu 25-30 Minuten herausbrachte, allerdings das dann noch mit 18er-Freigaben?) überwunden. Cult Movies belehrt mich da eines besseren, wenngleich die Klitsche wenigstens anständig genug ist, eine ungeschnittene 18er-Fassung zusätzlich auf den Markt zu schmeissen.

So, rant beendet. Jetzt versuche ich, dem Film, bzw. dem, was von ihm übrig geblieben ist, auf den Leib zu rücken, wobei ich zunächst aber doch noch mal auf die Schnitte eingehen muss, das aber immerhin mit einer kleinen positiven Meldung. Handwerklich sind die Schnitte perfekt – wären nicht die plötzlich eintretenden Handlungssprünge, Szenen, die nirgendwohin führen und andere, die quasi aus dem Nichts kommen, man würde rein vom Editing-Prozess her nicht merken, das was fehlt – die Schnitte sind hochprofessionell ausgeführt, führen nie zu abrupten jump cuts, sondern tun ihr bestes, um den „Flow“ des Films nicht zu stören – dass man sich dazu allerdings auch eher unüblicher Stilmittel wie der wiederholten Aneinanderreihung derselben Einstellung bedient, um die Soundspur nicht unsauber zu unterbrechen, ist zwar gewöhnungsbedürftig, aber letztendlich eine akzeptable Methode (bitte zu differenzieren: „akzeptabel“ meint hierbei „technisch akzeptabel“, natürlich nicht akzeptabel vom Standpunkt eines Cineasten, der ganz gerne einen nicht nachbearbeiteten Film sieht – ich bin wahrlich kein Sekundenfuchser, was cut/uncut angeht, aber wie gesagt – ich hätte gern etwas, was ich als einen integralen, zusammenhängenden Film identifizieren kann, und das ist bei Brother nicht mehr der Fall; verdammt, eigentlich sollte DAS Thema doch einen Absatz weiter oben schon abgeschlossen sein.)

Ich denke, meine bisherigen Ausführungen machen schon deutlich, warum es verdammt schwer ist, zum Film selbst ein paar sinnvolle Worte zu verlieren, wenn man schlechterdings nur einige Bestandteile des Films als Besprechungsgrundlage hat, das ist fast so, als sollte man anhand einiger Standfotos und einer Zusammenfassung der Handlung in zwei Sätzen eine vollständige Filmkritik schreiben. Ich versuch´s trotzdem. Dass Brother auch in der gekürzten 16er-Fassung andeutet, um welch kraftvollen Film es sich theoretisch handelt, ist wohl das grösste Kompliment, das ich Takeshi Kitano als Regisseur aussprechen kann (ähnlich ging´s mir mit Bullet in the Head von Woo in der deuschen Videofassung – obwohl auch dort nur Fragmente des Films blieben, konnte man erahnen, dass man es mit einem Meisterwerk zu tun hat) – zweifellos bedient Brother, obwohl es die erste Auslands(ko)produktion von Kitano war, in erster Linie typisch asiatisch und speziell japanische Themen. Denn was ist asiatischer als das in so vielen Filmen aus diesem Raum gepflegte grosse Thema „Loyalität/Freundschaft/familiäre Verbundenheit“ (letzteres in dieser Form im nicht wirklich übertragenen Sinne, dass asiatische Gangsterorganisationen ähnliche wie Mafia-Clans als „Ersatzfamilie“ für ihre Angehörigen fungieren). Die eigentliche Story des Films könnte genauso gut ein klassisches Samurai-Epos aus dem 17. Jahrhundert abgeben – streng genommen ist Brother nichts anderes als ein in ein modernes Sujet versetzter Samurai-Film, bei dem die Yakuza den Part der Samurai übernommen haben (wagemutigere Interpretationen behaupten, dass Brother eine filmische Metapher auf das amerikanisch-japanische Verhältnis während und kurz nach dem II. Weltkrieg wäre – ich stehe sprichwörtlich „so kurz“ davor, das auch zu kapieren, aber noch hab ich´s nicht geschafft).

Was auf jeden Fall zutrifft (und das sollten sich Drehbuchautoren/Regisseure aller Herren Länder hinter die Löffel schreiben, wenn sie „Antihelden“ in den Mittelpunkt ihrer Story stellen), ist dies: es fällt schwer, mit und für einen sicherlich nicht gerade in einem Licht strahlender Güte und Barmherzigkeit gezeichneten Charakter wie Aniki, im Verlauf des Films nicht eine gewisse Sympathie zu empfinden – anders ausgedrückt, der Knabe wächst einem richtiggehend ans Herz, was natürlich auch an einer titanisch-kolossalen stoischen Lakoniker-Performance von Stoneface Takeshi Kitano himself liegt – wortkarger und sparsamer an Gestik und Mimik kann man nicht sicher nicht spielen und dennoch erreicht Kitano damit Höchstmarken an Ausdrucks- und Überzeugungskraft, ganz wie die besten Italo-Western-Antihelden (der Zusammenhang überrascht insofern wenig, als die Spaghetti-Western heftige Anleihen eben bei japanischer Samurai-Mythologie nahmen) – eine ganz grosse Performance; ironischerweise kommt aber vielleicht gerade diesem Aspekt die 16er-bedingte Kürzung zugute: da wir Aniki kaum bei wirklich verwerflichen Taten beobachten (ausser seinem Flaschenangriff auf Denny zu Beginn), bringen wir ihn natürlich nicht vordergründig mit den ausgiebigen Gewaltexzessen, die praktisch die kompletten fünfundzwanig gestrichenen Minuten ausmachen, in Verbindung.

Auch Omar Epps, einem grossen Publikum erstmals in der Baseballklamotte Major League II aufgefallen und später u.a. in Don´t be a Menace to South Central While Drinking Your Juice in the Hood (uff, wat´n Titel), Scream 2, The Mod Squad und Wes Craven´s Dracula am Start, bietet gleichfalls eine grösstenteils überzeugende Leistung – sein grosser finaler Gefühlsausbruch kommt aber vielleicht eine Spur zu übertrieben (wobei genau das auch wieder eine ganz bewusste Allegorie auf den kulturellen Background des Charakters sein kann). Ebenfalls überzeugend: Susumu Terajima als bis-in-den-Tod-loyaler Kato.

Auch von den sonstigen technischen Aspekten kann Brother durchaus gefallen – die Kameraführung ist ansprechend, der Schnitt (jetzt sind mal nicht die Zensurschnitte gemeint) ebenso und ganz besonders gefällt der leicht jazzig angehauchte, easy-listening-mässige Soundtrack. Wenn man dem Film einen kleinen Vorwurf machen kann und will, könnte man bemängeln, dass Kitano die lyrischen-meditativen Passagen früherer Filme wie Hana-bi oder Sonatine zugunsten einer eher westlichen Sehgewohnheiten zuträglichen Erzählweise (dennoch aber sehr nichtlinear) zurückgestellt hat.

Die DVD von Cult Movies überzeugt dagegen nicht, ganz abgesehen von der nun schon zu Tode gerittenen FSK-16-Problematik. Die Bildqualität ist zwar ganz okay, aber nicht spektakulär, grausam dagegen ist der Ton, der so matschig und dumpf ist, wie ich es nur von einer miesen Videokopie erwarten würde, aber nicht von einem offiziellen DVD-Release. Da fallen positive Aspekte wie die Tatsache, dass man gnädigerweise darauf verzichtet hat, die zu 80 % auf japanisch geführten Dialoge zu synchronisieren (nur die englischen Dialoge wurden ins Deutsche übertragen) und statt dessen auf gut lesbare Untertitel zu setzen. Als nicht erwähnten Bonus gibt´s eine kleine Slideshow („witzigerweise“ sogar in Form von „echten Dias“) und einen vollkommen unzusammenhängenden Trailer auf den James-Caan-Film Lucky Town. Einen heftigen Rüffel fängt sich Cult Movies zusätzlich dafür ein, dass die DVD-Box selbst dem vielleicht nicht ganz so informierten Käufer keinen Hinweis darauf liefert, dass es sich um eine gekürzte Version handelt, nur ein Vermerk „deutscher Fassung“ und eine mit 90 Minuten deutlich übertriebene Laufzeit deuten an, dass wir es nicht mit der ungeschnittenen Fassung zu tun haben.

Wie fällt dann das Fazit aus? Brother ist ganz sicher ein enorm bewegender, tiefgründiger Yakuza-Thriller, den man sich allerdings ausschliesslich in der 18er-Fassung zu Gemüte führen sollte – nicht nur wegen der 25 Minuten heftiger Gewaltausbrüche, sondern eben auch wegen der zahlreichen Handlungslücken, die durch die fehlenden Gewaltpassagen gerissen werden – die FSK-16-Fassung bietet nicht mehr als zwar durchaus sehenswerte Fragmente, aber eben auch nur Fragmente, Teile eines grösseren, besseren Ganzen. Wer sich ernsthaft für Kitanos Werk interessiert, sollte also exklusiv nach der uncut-Fassung Ausschau halten, die z.B. auch über unten stehenden Link importiert werden kann (die RC1-DVD ist übrigens auch um gut zehn Minuten cut). Die Bewertungsskalen versuchen einen Kompromiss zwischen Verriss der FSK-16-Fassung und Hochwertigkeit des Films an sich zu halten.

(c) 2004 Dr. Acula


BOMBEN-Skala: 7

BIER-Skala: 7


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