2LDK – Zwei Zimmer, Küche, Bad

 
  • Deutscher Titel: 2LDK - Zwei Zimmer, Küche, Bad
  • Original-Titel: 2LDK
  • Alternative Titel: 2LDK - Zickenterror Deluxe | 2LDK: Duel Project 1 |
  • Regie: Yukihiko Tsutsumi
  • Land: Japan
  • Jahr: 2002
  • Darsteller:

    Maho Nonami (Lana), Eiko Koike (Nozomi)


Vorwort

Wenn razor und ich ins Kino gehen, können wir meistens was erzählen – liegt wohl daran, dass wir oft seltsame Kinos erwischen. „2LDK“ läuft in Berlin im „Central“, gerade, was den asiatischen Film angeht, mittlerweile eine feste Institution des hauptstädtischen Kulturlebens, und deswegen, wie’s sich für Institutionen eher alternativer Kultur gehört, nur über einen wenig vertrauenseinflößenden Hofeingang versteckt in einem runtergekommenen ehemaligen Gewerbehof am Hackeschen Markt zugänglich. Zu den Bedingungen, beim „Central“ als Kassenpersonal eingestellt zu werden, scheint m.E. zu gehören, ständig bekifft zu sein (man ist ja „alternativ“ und „subkulturell“, gelle?) – das erwies sich schon bei der gestrigen Kartenbestellung per Telefon (vermutlich war ich der erste Mensch, der jemals dort eine Karte reserviert hat… diese Multiplexe versauen einen für das wahre Leben), wie auch bei Abholung derselben heute – noch weniger engagiert-motiviert, und man ist tot. Gehört aber zum Charme eines alternativen Kinos, genau wie die unbequemen Sitze im Vollzink-Design, die Wasserflecken an der Decke und der Vorführungsbeginn mit 15 Minuten Verspätung, aber dafür immerhin, chapeau, ohne Werbung (wenn bei 6,50 Eintritt für 70 Minuten Film auch noch 30 Minuten Reklame abgespult worden wären, wären razor und ich vermutlich schnell *sehr subkulturell* geworden). Aber was nimmt man nicht alles für einen Film auf sich, von dem schätzungsweise drei Menschen auf der Welt was gehört haben (oookay, ich übertreibe schamlos, immerhin waren gut 10 Figuren im Kino. Reich wird der „Central“-Betreiber auf die Weise sicher nicht)…


Inhalt

Die beiden Jungschauspielerinnen Lana und Nozomi teilen sich, notgedrungen und auf Anweisung des allmächtigen Produzenten, bei dem sie gerade für die Hauptrolle in „Yakuza-Frauen“ vorgesprochen haben, ein Appartment in Tokio. Nach dem letzten Casting ist klar – eine der beiden wird die Rolle abstauben, die Entscheidung wird man ihnen am nächsten Morgen mitteilen. Unpraktischerweise für ein gesittetes Zusammenleben sind Lana und Nozomi absolut inkompatibel – Lana ist eine flippige Chaotin mit Porno-Vergangenheit, Nozomi eine spießige Ordnungsfanatikerin, die sogar die Eier im Kühlschrank nach Besitzrechten beschriftet. Ist also nicht wirklich überraschend, dass die beiden sich nicht wirklich leiden können, aber nach außen hin erst mal die Maske aufgesetzter kollegialer Freund- und Höflichkeit tragen. Schnell entwickelt sich aus einigen Nichtigkeiten ein Zickenkrieg, wie ihn Anni Friesinger und Claudia Pechstein nicht schöner zelebrieren könnten und irgendwann im Verlauf der Nacht geht eins der Mädel dann den entscheidenden Schritt zu weit – aus verbalen Vorwürfen werden Handgreiflichkeiten und bald schon handfeste Mordversuche – es wird eine harte Nacht…

Man soll Japaner keine Wetten abschließen lassen. „2LDK“ entstand wie „Aragami“ als Folge einer leichtfertigen Wette zwischen den japanischen Jungregisseuren Tsutsumi und Kitamura („Versus“) – Aufgabenstellung: jeder sollte innerhalb einer Woche einen Film über eine Duellsituation an einer Location abdrehen. Während Kitamura in „Aragami“ einen Samurai ins Feld schickt, ist’s bei Tsutsumi eine eher ungewöhnliche Duellkonstellation, aber, ohne „Aragami“ bis jetzt gesehen zu haben, was ich aber noch nachholen will, mir deucht bereits jetzt, „2LDK“ sollte der bessere Film sein – weil: er funktioniert ganz einfach!

„2LDK“ braucht nicht mehr als zwei Schauspieler, eine Wohnung, einen Papagei und ein paar Haushaltsrequisiten (und dass Samuraischwerter in Japan zu letzterer Kategorie zu zählen sind, versteht sich von selbst), um in 70 Minuten eine Psychothrillerhorrorkomödie zu zelebrieren, wie man sie selten gesehen hat. Alles fängt sehr „harmlos“ an – die erste halbe Stunde ist eine hochgradig amüsantes Spiel der falschen Freundlich- und Scheinheiligkeit (während die beiden Frauen sich gegenseitig Honig ums Maul schmieren, lässt man uns an ihren Gedanken teilhaben und unterrichtet uns so, wie sehr sich die beiden doch in Wahrheit ankotzen), um in der zweiten Filmhälfte sich langsam über ein Psychoduell in eine beinhart geführte Schlacht steigert, in deren Verlauf die beiden Mädchen kaum eine Möglichkeit unversucht lassen, sich die Lebenslichter auszublasen und dabei auch vor beherztem Einsatz der Kettensäge nicht zurückschrecken. Erstaunlich, was zierliche japanische Mädchen doch einzustecken imstande sind…

Tsutsumi nutzt einen sehr intimen, fast schon dogma-artigen Stil: die Kamera steht selten still und gelegentlich wandert auch eine der Protagonistinnen aus dem Fokus, die „Kampfszenen“ sind hektisch, rau, ungeschliffen, „unchoreographiert“ (und bestätigt das Vorurteil -?-, dass Frauen, wenn sie losgelassen, fieser sind als Männer je sein könnten, besonders, wenn’s gegen Geschlechtsgenossinnen geht). Gelegentlich ist das Storytelling etwas holprig (weil’s ja nicht wirklich viel Story zu tellen gibt – man könnte darüber diskutieren, ob’s nötig war, Lana einen tragisch-traumatischen Background zu verpassen, das schwächt die Wirkung des Films vielleich ein wenig ab), aber das trägt zum Charme des Filmes eher bei als das es stört. Das Pacing ist flott – Tsutsumi kommt nie in die Versuchung, den spartanischen Plot weiter aufzublasen, als es nötig wäre, wie sagt man so schön auf englisch „the film never overstays its welcome“ – die eher komödiantischen Aspekte der ersten Filmhälfte, in denen’s hauptsächlich um die komplett gegenläufigen Eigenheiten der Charaktere geht (das ist fast ’ne intelligente Ausgabe von „The Odd Couple“) treten rechtzeitig genug, aber nie vollständig, in den Hintergrund, um das eigentliche Duell nicht zu verdrängen. Und das, wie gesagt, ist von absolut nicht von Pappe, lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig, und, das ist erstens das große Kunststück des Films und zweitens der Verdienst der beiden herausragenden Schauspielerinnen, die beide keine Screen-Credits haben, die zumindest mir Japan-nicht-unbedingt-Intimkenner etwas sagen, trotz der Exzesse bleibt der Film auf einem gewissen, psychologischen Level glaubwürdig. Der Film schafft es tatsächlich, beide Charaktere nachvollziehbar zu zeichnen, man kann sich mit beiden (!) Protagonistinnen identifizieren, man hat für beide Personen Verständnis (bis zu einem gewissen Grad, denn wenn man sein Stubenpartnerin mit der Kettensäge zu meucheln versucht, hat man sicher eine Grenze leicht überschritten).

Es ist doch so – wer hat nicht schon mal die Zwangslage erlebt, sich mit einer Person, mit der man nun aus den verschiedensten Gründen überhaupt nichts anfangen kann, über einen längeren Zeitraum abgeben zu müssen (mir passiert so was normalerweise gern im Zug)… irgendwann wünscht man sich, sein Gegenüber einfach nur zum Schweigen zu bringen („Wenn der Idiot noch EINMAL den Mund aufmacht, polier ich ihm die Fresse!“ – Wunschdenken des Docs so manches Mal im Großraumwagen der Deutschen Bundesbahn). Der Film befriedigt insofern die niederen Gelüste, indem er diesen Gedanken konsequent bis in die letzte Einstellung fortsetzt, und das, und das ist auch das Schöne daran, auf eine höllisch komische Weise (der Film beinhaltet neben zahlreichen weiteren Dialogperlen den mit Sicherheit besten Filmspruch des Jahrzehnts, und wer den Film gesehen hat, wird sicher verstehen, was ich meine).

Ähnlich wie Dogma-Filme (wobei der Film den Dogma-Richtlinien natürlich nicht nachzukommen versucht) ist der Streifen auch in der musikalischen Untermalung sparsam, aber pointiert (dass der Film in seiner Stimmung von der fiesen Komödie hin zum handfesten Dresche- und Killfilm ausgerechnet völlig überraschend, aber ungeheuer wirkungsvoll, zu den Klängen eines fetten Metal-Bretts umschlägt, dürfte wieder so manchen Musikpädagogen in seinen Vorurteilen bestätigen).

Genug gelabert – „2LDK“ ist ein Film, über den man nicht großartig sprechen oder schreiben , sondern den man gesehen haben sollte. Der Doc liefert hiermit eine uneingeschränkte Empfehlung und rät jedem, sein örtliches Programmkino so lange zu nerven, bis es den Streifen auf die Leinwand zu klatschen bereit ist (alternativ gehe ich davon aus, dass RapidEyeMovement auch bald mit einer DVD-Veröffentlichung erfreuen wird, der Doc bestellt an dieser Stelle schon mal ein Exemplar vor). So böse, witzig UND intelligent kann das japanische Genre-Kino also doch noch sein (nach „Versus“ und „Battle Royale II“ wagte ich das fast schon zu bezweifeln). Sämtliche verfügbaren thumbs up für diese kleine, fetzige, billige Garagenproduktion. It’s a killer ride (und mindestens ein solider 8-, wenn nicht 9-Bierer), das sagt Euch Euer nachträglich immer begeisterter werdender Doc, und dem vertraut Ihr doch blind, oder?


mm
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